piwik no script img

Fußball auf dem Kiez

■ Übern Zaun geschaut beim Südstern 08 / Sherlock Holmes sucht des Rätsels Lösung

Gegenüber der Wendestelle für Ausflugsdampfer, die sonst vollbeladen mit Touristen das Ufer hinunterschippern, liegt am Maybachufer der Heimplatz des Fußballvereins Südstern 08. An diesem trüben Herbstsonntag hört man jedoch keine beschwingten Stimmen sommerlicher Ausflügler, sondern die Anfeuerungsrufe der Fußballgemeinde aus dem Kiez.

Ein kleiner Mann im Puma-Trenchcoat und mit M+S Berti Vogts Fußballschuhen ist der unbestrittene Star des Platzes. Die Kickerjugend zeigt mit dem Finger auf ihn und lästert: „Da kommt Sherlock Holmes!“ Der Vergleich liegt nahe, trägt er doch eine Anglermütze im grauen Tweed. Wirklich englisch ist auch seine Neigung zu Wetten und zum Alkohol - eine Flasche Sekt für jedes Südstern-Tor ist sein Standard an diesem Sonntag. Insider wissen, es handelt sich um Herrn Lübke, den Trainer der zweiten Mannschaft. Umgeben von fünf bis zehn jungen Leuten steht er meist am linken Spielfeldrand und gibt sachkundige Kommentare zum besten: „Der spielt ja wie Tony Turnschuh.“ Richtig fachmännisch ist auch die Wahl des Standortes getroffen - kaum 20 Meter entfernt liegt der Stadionkiosk, der bemüht ist, die Runde flüssig zu halten.

Die übrigen 20 Fans auf dem Platz sind meist Fußballbräute, traditionell unechte Blondinen mit weißen Stiefeletten und einer Marlboro in der rechten Hand. Gelegentlich feuern sie ihre spielenden Männer an, doch hauptsächlich konzentrieren sie sich auf den neusten Tratsch untereinander. Wird es ihnen wirklich einmal zu langweilig, so schlendern sie rüber zu Holmes, um sich ein wenig beflirten zu lassen.

Fußball am Maybachufer ist Sache des Kiezes. Entsetzt erkennt man bekannte Gesichter im Publikum wieder, wie die Zeitungsfrau aus der Reichenberger, die morgens immer so übelgelaunt und feindselig wirkt. Hier aber beweist sie wahres Temperament und hebt sich mit ihrer lauten Stimme deutlich von den übrigen Damen ab. „Wir sind eine alte Fußballfamilie“, ist sie begierig zu erklären. „Mein Mann spielt bei den Senioren, und mein Sohn hat heute schon ein Tor geschossen.“

Fußball ist zur Zeit eine heiße Kugel in der Kreisliga C. Es hagelt nur so Sperrungen und rote Karten. Es kommt sogar zu Ausschreitungen innerhalb und außerhalb des Spielfeldes. Das betrifft auch den Südstern 08, wie der Mann der Zeitungsverkäuferin berichtet: „Wir sind als Trotzköpfe bekannt. Wenn unsere Jungs auf die ausländischen Hitzköpfe treffen, dann kracht es schon mal.“ Darüber ist sich auch der Vereinsvorsitzende, Herr Götsch, im klaren: „Um das fußballbegeisterte Publikum im Ernstfall hinter den Absperrungen zu halten, müssen die Heimmannschaften Ordner einsetzen.“ Zusätzlich werden die Ordner regelmäßig von Sherlock Holmes inspiziert. Nachdem er sich von ihrer Disziplin überzeugt hat, versorgt er sie mit einem frischen Bier - weitere sollen folgen.

Wächter ganz anderer Art nehmen die Aufmerksamkeit des Publikums in Beschlag und lassen das eigentliche Geschehen in den Hintergrund treten - zwei riesige Dobermänner zerren an ihren Leinen. Sie werfen ihre massigen Körper nach vorn und versuchen sich loszureißen. Ihr Kläffen übertönt die Anfeuerungsrufe der Fußballbräute. „Keine Angst, die wollen nur mitspielen“, versichert das Herrchen einem erschreckten holländischen Touristen. Peter, der Holländer, der nur eine Reihe Abstand zwischen sich und den Hunden weiß, ist davon keineswegs beruhigt. Sein Blick folgt der Hundeleine zum anderen Ende und betroffen stellt er die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Tier fest - der Anblick des stämmigen Mannes mit dem fleischigen Gesicht verspricht keineswegs „fair play“ für den Ball, daß er seinen Dobermann ins Spiel bringt. Auch sein Bruder, der den zweiten Hund hält und mit einer Military-Jacke und Springerstiefeln bekleidet ist, scheint heute weniger auf Fußball eingestellt zu sein als auf eine Safari. „Die Dobermänner sollen bestimmt die Ordner unterstützen“, vermutet der Holländer. Kein abwegiger Gedanke, denn Hunde trinken kein Bier.

Peter Pawlak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen