Doch V-Leute in die taz eingeschleust

■ Verfassungsschutzbeamte bestätigen den Einsatz von V-Leuten in der taz seit der Gründung der Zeitung 1979 / Alle taz-Redakteure im NADIS-Computer gespeichert / Schmücker-Anwalt ebenfalls durch V-Mann ausgespäht / Verteidigerstrategie an Anklage weitergeleitet

Berlin (taz) - Drei Mitarbeiter des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) haben in der letzten Woche unabhängig voneinander bestätigt, daß das Amt V-Leute gegen diese Zeitung eingesetzt hat. Die Verfassungsschützer meldeten sich bei dem Fraktionsvorsitzenden der Alternativen Liste (AL), Wolfgang Wieland, und bestätigten seit Wochen kursierende Informationen, die Innensenator Kewenig bislang immer bestritten hat. Danach sei die taz bereits bei ihrer Gründung 1979 vom damaligen SPD-Innensenator Peter Ulrich zum „Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes“ erklärt worden, mit der Folge, daß sämtliche für die taz arbeitenden Journalisten, zum Teil noch bevor sie ihren ersten Artikel geschrieben hätten, im Geheimdienstcomputer NADIS gespeichert worden. Der VS hätte eine Sachkartei und Personalakten angelegt, in der sämtliche Artikel gespeichert worden seien.

Übereinstimmend wußten die anonymen Informanten Wielands, von denen sich zwei telefonisch und einer schriftlich bei ihm gemeldet haben, auch zu berichten, daß der Verfassungsschutz sich nicht mit Archivarbeit begnügte, sondern bereits in der Anfangsphase des Projekts tageszeitung einen ersten V-Mann eingeschleust hatte. Diesen V-Mann habe dann der noch bis 1981 amtierende SPD -Innensenator Ulrich „abschalten“ lassen, was dessen CDU -Nachfolger Lummer jedoch nicht daran gehindert hätte, ihn seinerseits wieder zu „reaktivieren“. Anfang 1982 habe dann für ein knappes halbes Jahr ein weiterer Verfassungsschutzspitzel im nichtredaktionellen Bereich der taz gearbeitet. Der Mann war wegen eines Tötungsdelikts verurteilt und kam in die taz, nachdem er in den offenen Vollzug verlegt worden war. Aufgrund einer neuerlichen Straftat wurde seine taz-Karriere jedoch im Jahr 82 abrupt wieder beendet, und der Mann landete wieder im Knast. An dem Versuch, den Mann in der taz dauerhaft als Spitzel zu installieren, soll auch der damalige Staatsanwalt und heute Staatssekretär im Innensenat, Müllenbrock, beteiligt gewesen sein.

Nach Überzeugung von Wolfgang Wieland sind seine Informanten absolut zuverlässig. Gegenüber der taz sagte Wieland, der Schreiber des Briefes an ihn, sei derselbe, der sich bereits vor einem Jahr schriftlich mit Informationen über die Bespitzelung der AL an ihn gewandt habe. Die damaligen Informationen hätten sich im Laufe des Jahres allesamt als „hunderprozentig richtig“ erwiesen.

Spitzel in Anwaltskanzlei

Aufgrund der neuen jetzt vorliegenden Informationen hat die AL in dem seit Mitte Dezember tagenden Parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu den Skandalen des Verfassungsschutzes einen Beweisantrag eingebracht, aufgrund dessen in einer der nächsten Sitzungen die beiden Ex -Senatoren Ulrich und Lummer zum Thema taz versus VS gehört werden sollen.

Unterdessen platzte in der letzten Woche eine weitere seit Jahren schwärende Eiterbeule des Berliner Verfassungsschutzes. Mitglieder des Vorstandes der Berliner Anwaltkammer machten bekannt, daß Innensenator Kewenig im Mai dieses Jahres gegenüber Kammerpräsident Borck vertraulich den Einsatz eines V-Mannes im Büro des Rechtsanwaltes Heinisch zugegeben hatte. Heinisch ist der Verteidiger der Hauptangeklagten Ilse Schwipper im Schmücker Verfahren.

Der V-Mann war nach den Angaben aus der Kammer während der ersten Hauptverhandlung als Anwaltsgehilfe im Heinisch-Büro und lieferte von dort der Anklage den Erkenntnisstand der Verteidigung. Das Interesse des Verfassungsschutzes an dem Verfahren ist deshalb so groß, weil mehrere V-Leute des Amtes in die Gruppe, die den Fememord an Ulrich Schmücker begangen haben soll, eingeschleust waren.

JG Tagesthema auf Seite 3