: Neue AKW's - und keiner merkt's
■ Widerstand gegen Atomkraft-Werke soll durch neues Genehmigungsverfahren umgangen werden Ab Februar können beim Niedersächsischen Umweltministerium Einwände erhoben werden
Was ein Atomkraftwerk ist, wissen alle. Und fast niemand möchte deswegen in der Nähe einer solchen Anlage leben. Die AKW-Firma Siemens betreibt
nun ein ganz neues Objekt mit dem harmlosen Namen „HTR -Modul“. Der große Vorteil: Diejenigen, in deren Nähe in wenigen Jahren ein Prototyp einer solchen
Anlage den Betrieb aufnehmen soll, können noch nichts davon wissen - und also nicht dagegen protestieren.
Ohne daß es zu größeren öf
fentlichen Auseinandersetzungen gekommen wäre, geht zur Zeit beim Niedersächsischen Umweltministerium das Genehmigungsverfahren für den Prototyp dieses Mini-Reaktors in eine entscheidende Phase. Im Februar, so der für Atomenergie zuständige Referatsleiter Horst Zurhorst, sollen die Pläne acht Wochen lang ausgelegt werden, in denen Einsprüche erfolgen können. Zum ersten Mal wird das atomrechtliche Genehmigungsverfahren so in zwei Teilen durchgeführt: Zunächst will die Betreiberfirma Siemens einen standortunabhängigen Vorbescheid erreichen. Im zweiten Verfahrensschritt würde dann nur noch die Genehmigung für einen beliebigen Standort beantragt werden müssen.
Anti-AKW-Gruppen befürchten zudem, daß alle diejenigen nicht gegen die Standortgenehmigung rechtlich vorgehen können, die jetzt nicht bereits gegen die erste Teilgenehmigung formal Einwendungen erheben. Dagegen behauptet Horst Zurhorst im Namen seines Chefs, des niedersächsischen Umweltministers Werner Remmers, daß „keinerlei Rechte der Bürger auf irgendeine Art und Weise eingeschränkt werden.“ Wie sich diese Remmers Zusage allerdings in schriftlicher Form in dem Genehmigungsverfahren niederschlagen wird, darüber wird derzeit noch zwischen Hannover und Bonn verhandelt. An der Einschätzung von Lothar Hahn, Physiker beim Öko-Institut Darmstadt, ändert die Remmers-Zusage aber sowieso nichts. Der hatte in einem Papier die Folgen des neuen Genehmigungsverfahrens so beschrieben: „Ein standortunab
hängiger Vorbescheid stellt de facto die Bescheinigung dar, daß die betreffende Anlage grundsätzlich an allen konkret in Frage kommenden Standorten genehmigungsfähig ist.“
Mit dem geplanten Hochtemperatur-Reaktor soll etwa 100 Megawatt elektrische und 250 Megawatt thermische Leistung erzeugt werden, dazu soll Prozeßdampf, interessant insbesondere für industrielle Nutzer, erzeugt werden. Im Vergleich zu den Leichtwasserreaktoren, die um die 1.300 MW elektrischer Leistung erzeugen, ein Mini-AKW.
„Siemens gewinnt mehr Planungssicherheit, keine Planungsrechte“, versucht Zurhorst die Bedenken des AKW -Kritikers herunterzuspielen. Versehen mit dem Stempel „Geprüft in Deutschland“, so die Hoffnung, ließen sich die HTR-Module besser verkaufen, zum Beispiel ins Ausland.
Doch mögliche Geschäfte im Export sind nur ein Kalkül. Zurhorst: „Wir müssen alle Optionen für die Zukunft offenhalten. Beim HTR zeigt sich, daß mittel-und langfristig in der Kernenergie mehr Sicherheit in der Handhabung und Entsorgung zu erreichen ist.“ Aber spätestens nach vier Jahren nach Erteilung des Vorbescheids muß Siemens mit dem Bau einer Pilotanlage begonnen haben.
hbk
Informationen über die Einwendungen beim BBA-Laden (0421/ 700144). Am 9.1.89 um 19.00 Uhr trifft sich hier eine HTR -Modul-Gruppe (Bremen, St. Pauli-Straße).
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