: Pistoleiros regieren im Regenwald
■ In den letzten Tagen sind in Brasilien zwei Umweltaktivisten ermordet worden
Mit Kugeln und Krediten wird der Kampf geführt. Jetzt sind zwei bekannte Verteidiger des Amazonaswaldes ermordet worden: der Kautschukzapfer Chico Mendes und Jose Francisco Argelino, ein Führer der Basiskirche. Derweil steht die brasilianische Regierung in letzten Verhandlungen mit der Weltbank über einen 500-Millionen-Dollar-Kredit für neue Staudämme. Die Bundesregierung hat sich noch nicht festgelegt, wie sie in den Weltbankgremien stimmen wird. (Kommentar auf Seite 4)
Vollmundig hatte der Staatsmann die Völker dieser unserer Welt zum Schutz des so bedrohten tropischen Regenwalds aufgerufen: Kanzler Kohl in Toronto, auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1988. Doch die Politik, die derweil am Bonner Kabinettstisch gemacht wird, läßt Amazonasindianer und brasilianische Umweltschützer Schlimmes fürchten. Wenn öffentliche Proteste den Kanzler nicht noch zu einer Kehrtwende bringen, dann wird die Bundesregierung in wenigen Wochen einem 500-Millionen-Dollar-Kredit der Weltbank zustimmen, der das größte Regenwaldgebiet der Welt weiter zerstören hilft. Schon 1986 hat die Bundesregierung ihren 5,5prozentigen Stimmenanteil bei der Weltbank in die Waagschale geworfen, um einen ersten Teilkredit („Tranche“) zugunsten des gigantischen Energieprogramms der brasilianischen Regierung auf den Weg zu bringen.
Das Ganze nennt sich „Plano 2010“ und sieht bis zu diesem Jahr den Bau von 136 neuen Staudämmen vor. Die entstehenden Seen würden riesige Regenwaldflächen überfluten und eine halbe Million Menschen vertreiben.
Das weitaus größte Projekt - die Regierung nennt es „das größte nationale Projekt bis zur Jahrhundertwende“ - soll die Wasserenergie des Xingu, eines Nebenflusses des Amazonas (siehe Karte), nutzen. Die Elektrizitätsgesellschaft Electronorte plant dort fünf Staudämme, zwei weitere solen am Iriri, einem Nebenfluß wiederum des Xingu, gebaut werden. Überflutet werden dann insgesamt 18.000 Quadratkilometer und damit die Territorien von zwanzig Indianervölkern.
Allein die erste Etappe des Mammutprogramms, zwei Staudämme in der Gegend der Stadt Altamira, wird neben Teilen der Stadt ein Stück der Transamazonica-Straße unter Wasser setzen und sieben indianische Völker vertreiben. Die Assurini do Xingu, die Juruna, Kararao, die Parakana do Bom Jarim, die Arara und die Xikrin do Bacaja würden zwangsumgesiedelt. Diese bislang weitgehend unbeeinflußt von der Zivilisation lebenden Völker würden eine Umsiedlung möglicherweise nicht überleben. Da sind nicht nur die ihnen unbekannten Krankheiten, denen sich ethnische Gruppen, die so plötzlich mit der Zivilisation konfrontiert werden, ausgesetzt sehen. Die Flußfischer, die am Rand des Xingu nebenher Landwirtschaft betreiben, besitzen auch keine Landtitel, haben daher keine Rechtsansprüche und werden ihre Existenzgrundlage verlieren.
Erfahrungen mit anderen Stauseen in Brasilien wie dem Tucurui in der Nähe von Maraba lassen Übles befürchten: Dort hat die gleiche Elektrizitätsgesellschaft Electronorte - sie ist nach dem Gesetz verpflichtet, den Indianern ein neues Gebiet zu verschaffen - die zwei kleinen Völker der Gegend in einem kleinen Reservat zusammengepfercht. Angeblich eine „Übergangslösung“, doch Rechtsanwalt Marcelo Silva de Freitas von der Menschenrechtsorganisation SPDDH sagt: „Electronorte kümmert sich überhaupt nicht um zusätzliches Land für die Indianer. Wir versuchen jetzt, gerichtlich gegen die Gesellschaft vorzugehen.“
Zu den Verlierern werden bei den geplanten neuen Staudämmen auch die Familien gehören, die gar nicht an den überschwemmten Teilen des Flusses leben - ähnlich wie am Tucurui-Staudamm. Dort nutzten früher Hunderte von Familien die starken Schwankungen des Wasserstandes, um auf dem durch den Fluß gedüngten Land in der Trockenzeit Gemüse und Reis anzubauen. Seit dem Staudammbau fließt das Wasser nun langsamer und gleichmäßiger. Auf dem kilometerbreiten Uferstreifen liegt ein 30 Zentimeter dicker, stinkender Schlamm, auf dem nichts mehr angebaut werden kann. Die Electronorte weißt alle Ansprüche von sich: Das Problem liege außerhalb ihres Verantwortungsbereichs.
„Pro Indio„-Kommission
Diesmal allerdings hat sich der Widerstand schon in der Planungsphase organisiert. In Sao Paulo, haben sich 1986 Akademiker und Akademikerinnen - von Theologen bis zu Juristen - zusammengetan und die „Pro Indio„-Kommission gegründet - eine gemeinnützige Organisation, die seitdem eine Kampagne gegen den Bau der Staudämme am Xingu koordiniert - gemeinsam mit internationalen Umwelt- und Menschenrechtsgruppen wie Survival International.
Sie kritisieren nicht nur die unmittelbaren Ökoschäden, die durch die Staudämme verursacht werden, sondern auch die „Industrialisierung“, die mit ihnen vorbereitet wird. Nur ein kleinerer Teil der Stromproduktion wird nämlich mithilfe von 2.600 Kilometer langen Überlandleitungen - in die Industriezonen des Südostens gehen. Der Rest, so vermuten die Kritiker, soll dabei helfen, die Bodenschätze Amazoniens auszubeuten. Mit Eisen, Gold und Bauxit vor allem will Brasilien Geld für seine Auslandsschulden beschaffen.
Das Interesse der ausländischen Kreditgeber ist nur zu deutlich. Von der EG über die Weltbank, die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau bis hin zu japanischen Großbanken haben sie sich schon eingekauft: bei der Erschließung der riesigen Eisenerzmine Serra do Carajas (geschätzter Vorrat: 18 Milliarden Tonnen) und der Finanzierung einer fast 900 Kilometer langen Eisenbahnlinie nach Sao Luis, wo das Eisenerz verschifft wird. Und die EG hat sich bereits ein Drittel des geförderten Eisenerzes sichern lassen - zum Vorzugspreis. Entlang der Eisenbahnlinie sind schon die ersten beiden von 22 geplanten Hochöfen in Betrieb gegangen. Die arbeiten mit... ja, wirklich mit Holzkohle, bequem zu gewinnen durch weitere Abholzung des Regenwaldes.
Michael Rediske
Dieser Artikel beruht im wesentlichen auf Recherchen der Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW) sowie der Grünen im Bundestag. Die ASW hat eine bundesweite Aktion gegen den Staudammbau in Brasilien gestartet. Informationsmaterial gibt es hier: ASW, Hedemannstr.14, 1000 Berlin 61. Wer etwas tun will, kann sich auch an die „Kampagne für das Leben in Amazonien e.V.“ wenden. Im vergangenen Oktober hat die Kampagne ein erstes Seminar für „Multiplikatoren“ veranstaltet und wartet auf weitere Interessenten. Kontakt: Ch.Moser (0228-214366) oder H.Seul (05542-6249).
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