: PER ist in der Miete nicht drin
■ Wenn PER im Schlafzimmer ist, müssen die Hausbesitzer ran / Mieter kürzten Miete und gewannen einen Musterprozeß vor dem Hamburger Amtsgericht
Die öffentliche Empörung über neu entdeckte Gifte in der Alltags-Umwelt unserer Städte kommt in Wellen - und scheint, jedenfalls was das öffentliche Interesse betrifft, genauso schnell wieder zu versiegen. Vor Monaten wurde in Häusern, in denen chemische Reinigungen angesiedelt sind, das krebsverdächtige Perchlorethylen (PER) gemessen. Nur aus Hamburg ist bekannt, daß Mieter gegen ihre Hausbesitzer auf die Barrikaden und vor Gericht gezogen sind. Denn Perchlorethylen kriecht durch jeden Ritz im Mauerwerk, es wurde in den Wohnungen über chemischen Reinigungen in erheblichen Konzentrationen gemessen und auch in mehreren Stockwerken entfernten Wohnungen, die in der Nähe der Abluft -Rohre liegen. Und PER lagert sich nicht nur gern im Fett der Käse-und Wurst-Auslagen von Lebensmittelgeschäften an, sondern genauso gern im menschlichen Fettgewebe. Und in entsprechenden Konzentrationen sorgt es dort, so der Verdacht des Bundesgesundheitsamtes, für Krebs.
In Hamburg-Altona hat das Amtsgericht nun einem verklagten Hausbesitzer auferlegt, seine wohnungen PER-frei zu halten und notfalls zu renovieren. Die betroffene Familie, die über einem Wasch-Center am Ottenser Spritzenplatz wohnt, hatte ihre Miete um 50% gekürzt, weil im Schlafzimmer PER-Werte bis zu 14 Milligramm pro Kubikmeter Raumluft gemessen wurden. Zum Vergleich: Nach einem „Richtwert“ des Bundesgesundheitsamtes empfiehlt es sich schon ab 0,1 Milligramm, Verbesserungen an der Wohnung vorzunehmen.
Der Besitzer des Waschsalons zog seine chemische Münzwasch -Anlage auf Aufforderung des Hausbesitzers aus dem Verkehr, „umweltfreundlicher Waschsalon“ prangt seitdem als Reklame auf dem Geschäft. Doch einen Monat später waren die PER -Werte in der Wohnung immer noch erheblich. Während der Hausbesitzer argumentierte, die PER-Konzentrationen könnten nun nur noch aus chemisch gereinigten Kleidungsstücken der Bewohner stammen, erklärten die
Mieter, die Wände hätten das PER aufgesogen und gäben es nach und nach an die Raumluft ab. Schon die begründete Angst der Mieter vor gesundheitlichen Schädigungen, hatte ihr Anwalt argumentiert, müsse ausreichen, um den Vermieter zu entsprechenden Vorkehrungen zu veranlassen.
Das Amtsgericht folgte in seinem Urteil der Version der Mieter und erlegte dem Hausbesitzer die Prozeßkosten auf. Allein nur die Tatsache, daß ein Jahr danach keine relevanten PER-Werte mehr gemessen wurden, bewahrte ihn vor der Auflage baulicher Instandsetzungen. Die Mietkürzungen, die nicht Gegenstand des Verfahrens waren, hatte dieser Hausbesitzer stillschweigend akzeptiert.
Anders steht es in einem anderen Fall klagender Mieter, der am 7. Januar vor dem Hamburger Landgericht von demselben Anwalt, Lukas Weitbrecht, vertreten wird. Dieses Verfahren, eine Instanz höher, wird in Justizkreisen der Bundesrepublik als Musterprozeß mit großem Interesse erwartet.
gh/kw
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