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ALLZWECKNECKEREIEN

■ Das „Liebeskonzil“ von Oskar Panizza im Schillertheater

Immer, wenn man sich keine wirklichen Feinde machen will, möglichst niemandem Schaden will und sonst keinen findet, von dem man sicher weiß, daß er auch frisch bepinkelt nicht zurückpisst, aber man dennoch auf die nonchalante Elegance minimaler bourgeoiser Verruchtheit und oberflächlicher Unterwanderung estimabler Exzellenzen und Zelebritäten nicht verzichten zu können meint, schweift man flammenschwertbewehrt - offenbar gern in respektable Höhen und geziemende temporale Distanzen zwecks untertänigstem Schaukampf und possierlichen Allzweckneckereien. Kurz: Die Kirche und ein möglichst seit mehreren Jahrhunderten mausetoter Papst müssen her. Denen können wir dann mal so richtig zeigen, was der revolutionäre Ungeist noch im brävsten Biedermann ist.

Gestochen und gemeuchelt wird im Schillertheater der ebenso uninteressante wie wehrlose alte Tattergreis „Gott Vater“ plus Muttermariasöhnchen „Jesus Christus“ inklusive seiner Peinlichkeit Papst Alexander VI nebst Töchterchen Lucrezia B. und Gespielen. Die Verteidigungsrede des Unholds von einem ohnehin irre gewordenen Schriftstellersmann wird gleich dramatisch mitgeliefert. Und stumm und saubersolidarisch säuselt der Ruf aus unzähligen wohlgestopften Bürgersmündern in parkettglatten Gesichtern von der Bühne in den Zuschauerraum und wieder zurück: Freiheit für Oskar Panizza, den Autor des „Liebeskonzils“. Zu dumm, daß dieser wegen „Vergehens wider die Religion“ eh nur ein Jahr eingefahren war und 1896 wieder freigelassen wurde, um später sein offenbar wohlverdientes schattiges Fleckerl im Irrenhaus zu besetzen. Strafe muß halt doch sein - wie auf der Erde also auch im Himmel.

Denn dort verzweifelt der Herr Gott in seinem Plaste und Elaste-Himmelblau nebst Staubwedelengelein recht sehr über den Schweinkram seines Stellvertreters im mösenroten Minnendom - denn jede Drehbühne hat schließlich zwei Seiten

-und sinnt und singt im Gesangverein mit Maria Frustrata, blutenden Heiligen und pampersgewickelten Cherubim auf Rache, die der Teufel bringen möge. Dies Singen, Trachten und Drehen am Regler der Verstärkeranlage kostet reichlich Zeit - doch im Himmel sind ja bekanntlich tausend Jahre wie ein Tag. Trotzdem, Konstantin Weckers Liedkompositionen mit hausbackenem Selbstgedichtetem gehen einem recht flott auf die irdische Eieruhr: „Ich dummes Lamm war zu geduldig...“ Und der Teufel hat‘ s leider nicht so eilig mit der Erfindung der Syphilis, zwecks Abstrafung der Menschheit bei gleichzeitig garantierter „Erlösungsfähigkeit“. Nach dem Motto: „Wir warten auf eine Seuche“ schnurrt nämlich vorher noch drei Stunden der bunte Abend mit Musik, Spiel und Tanz, und Technik, Tand aus Schkopauland in fernsehballettöser Perfektion ab. Doch ist‘ s kein Musical, denn die Musik ist, obzwar immer berieselungsfähig nicht das Salz in der Suppe, sondern eher grober Rollsplit aus dem Land des Lächelns, und auch die vomhimmelhoch-dramatische Beilage ist ebenso zäh wie überflüssig. Und wollüstig ächzen nur die Kulissen, ausschweifend ist nur der Kostümstoffverbrauch. Umso sparsamer dafür die Mädcheninternatskomik, wenn Inri stets Stigmen zeigt oder der Höchste heftig kollabiert.

Mal tanzen Adam und Eva im züchtigen Fleischtrikot, mal muß es Salom'e ohne Schleier sein, mal ein finstrer - das Böse als Beilage - Negersmann mit Lendenschurz, mal balletiert einen The Devil's Dance Ensemble featuring the Satan‘ s Rap, mal organisiert man eine Orgie, mit Flacharschmädels und Brutalgesichtbubis, mal schalmeit die vermaledeite M. Maria einen von Sünde und bla, bla, wie geil die das findet etcetera. Und die Musik spielt dazu, juhu! Ein Satz mit x das war wohl nix!

Gabriele Riedle

Bearbeitung: Marijnen, Boeser, Wecker / Regie: Franz Marijnen / Musik: Konstantin Wecker / Bühne: Paul Staples / Kostüme: Mechthild Schwienhorst / Maria: Angelika Thomas / Panizza-Teufel: Burghart Klaußner / Gottvater: Thomas Schendel / Jesus: Wolfgang Ransmayr + 12 weitere Schauspieler, 9 Choristen, 11 Tänzer, 18 Statisten, 1 Orchestergraben mit Musikern.

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