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Der Meeresboden meldet Land unter

Der Ölboom und seine Kehrseite: Durch die massive Erdölförderung in der Nordsee sackt der Meeresboden unaufhaltsam ab / Absenkung im norwegischen „Ekofisk„-Feld liegt bei jährlich zirka 45 Zentimetern / Stark zunehmendes Risiko von katastrophalen Unglücken auf den Förderplattformen und Meeresverschmutzung durch auslaufendes Öl  ■  Von Karl-Heinz Spiess

Hamburg (taz) - Anfang Juli vergangenen Jahres kam es zum bislang schwersten Unglück in der Geschichte der Ölförderung in der Nordsee. Nach einer Serie heftiger Explosionen brach auf der vor Schottland gelegenen Ölplattform „Piper Alpha“ ein Großbrand aus. Bei der Katastrophe kamen 167 Menschen ums Leben.

Am 27.März 1980 kenterte im norwegischen Ölfeld „Ekofisk“ die Wohnplattform „Alexander Kielland“. Eine Riesenwelle hatte einen der Stützpfeiler eingeknickt: dabei starben 123 Männer. Zwei Unglücke, die möglicherweise nicht nur unvermeidliche „Betriebsfehler“ des Ölbooms in der Nordsee sind. Sie weisen vielleicht auf geologische Gefahren hin, die direkt aus der seit fast zwei Jahrzehnten betriebenen Ölförderung resultieren.

Anfänglich war man in der Nordsee nur auf der Suche nach Erdgasfeldern, die Erdölsuche kam erst im Jahre 1970 mit der Entdeckung des norwegischen „Ekofisk„-Feldes und der britischen „Forties“ richtig in Gang. Seitdem reiht sich bis in die achtziger Jahre hinein eine Erdöl- und Erdgasentdeckung an die andere. Heute werden die sicheren Nordsee-Ölvorräte auf fünf Milliarden Tonnen geschätzt. Darüber hinaus sollen sich die Erdgasvorräte auf etwa sechs Billionen Kubikmeter belaufen.

Die Norweger aber, die den größten Anteil an den Reserven haben, sehen sich wachsenden Problemen gegenüber. Etliche norwegische Förderfelder wie „Ekofisk“, „Troll“ und „Ula“ drohen in größere Meerestiefen zu versinken und somit förderuntauglich zu werden.

Die Meeresboden-Absenkung im Ekofisk-Feld beläuft sich jährlich auf etwa 40 bis 45 Zentimeter. Bereits seit einigen Jahren verlautete deshalb aus dem norwegischen Öl- und Energieministerium, die dort installierten Bohrinseln seien über vier Meter abgesackt. Bei einem derart hohen Absenkungstempo wächst die Gefahr, daß bei einem Orkan oder extrem hohen Wellengang die Nordsee-Bohrinseln kentern oder stark beschädigt werden könnten - mit katastrophalen Folgen für die Flora und Fauna der Nordsee und der Anrainerstaaten durch auslaufendes Öl.

Bei der 1972 erfolgten Förderaufnahme im Ekofisk-Feld hatten die Ingenieure die Bohrplattformen in dem vor Ort etwa 70 Meter tiefen Wasser so konstruiert, daß sie im Verlauf einer hundertjährigen Betriebsdauer nur einmal von der maximalen Wellenhöhe oder „Jahrhundertwelle“ von errechneten 26 Metern Höhe überspült werden. Während der bisherigen Nutzungsdauer des Ekofisk-Feldes wurden schon mehrfach um 20 Meter liegende Wellenhöhenwerte gemessen. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen 26-Meter-Welle im Ekofisk steigt - vor allem bei permanenter Absenkungsgeschwindigkeit des Feldes - immer mehr.

Unter den gegebenen geologischen Verhältnissen mußte man in den Erdölfeldern solche Meeresbodenabsenkungen durchaus erwarten. Wird nämlich dem unter dem Meeresboden liegenden Speichergestein Förderöl entnommen, dann zieht diese Entnahme gleichzeitig auch eine Oberflächenabsenkung nach sich. Meist aber fallen solche Absenkungen kaum oder gar nicht auf, weil der entleerte Hohlraum allgemein durch nachfließendes Wasser aufgefüllt wird. Hierbei entstehen manchmal seismologisch meßbare Mikro-Seebeben.

Auch die Gefahr einer Meeresverschmutzung wird durch die Bodenabsenkungen erhöht. Das Phänomen eines natürlichen Erdölzuflusses durch Bodenrisse und Verwerfungen ist bekannt, allerdings gehen die Schätzungen über die Menge weit auseinander. Sowjetische Experten beziffern sie weltweit auf zwischen 20.000 und zwei Millionen Tonnen jährlich. Die Deutsche Shell AG spricht von weltweit nicht mehr als einer Million Tonnen. Ein Teil des Öls wird jedoch von Mikroorganismen noch unter Wasser wieder abgebaut. Der „natürliche“ Austritt von Erdöl in der Nordsee soll nach Schätzungen der Shell AG bei rund 50.000 Tonnen jährlich liegen. Nun sind allerdings Bodenabsenkungen wie beim Ekofisk-Feld selbst für Geowissenschaftler etwas gänzlich Neues und Einmaliges. Gerade bei einer solchen rapiden Bodenabsenkung besteht eine erhöhte Gefahr der Rißbildung im Untergrund, durch die explosive Gase austreten können, wie es möglicherweise bei „Piper Alpha“ passierte.

Das Problem verschärft sich dadurch, daß die versuchte Stabilisierung des Nordseeuntergrunds anscheinend nicht die erwarteten Erfolge zeitigte. Vor vier Jahren wurde mit Gegenmaßnahmen begonnen. Während einer drastischen Verringerung der Ekofisk-Förderung um etwa 60 Prozent wurde festgestellt, daß sich die jährliche Absenkungsrate des Meeresbodens um 90 Prozent reduzierte. Die Anfangserfolge wurden allerdings nicht bestätigt. Auch in das Speichergestein eingeführte Injektionen mit Wasser, Ölgas und Erdöl blieben erfolglos.

Wo alle Mittel versagen, soll die Lösung des Problems nun auf zweifelhafte Weise erreicht werden: Inzwischen wurde damit begonnen, die gefährdeten Bohr- und Förderplattformen vor der norwegischen Küste mit Hilfe überschwerer Schwimmkräne anzuheben und ihre Standbeine einfach zu verlängern.

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