: U-Haft wegen vertraulichem „Du“
Seit vier Monaten sitzt Uli W. in Stammheim, Rastatt und Karlsruhe unter strengsten Haftbedingungen in Untersuchungshaft / Bundesanwaltschaft hat ihn mit fragwürdigen Beweisen als RAF-Mitglied „aufgebaut“ ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
Ebenso erfolglos wie illegal hatte die Polizei im Auftrag des Generalbundesanwalts seit Mai die Republik mit Kontrollstellen zur Terroristenfahndung überzogen. Schon seit Jahren können Bundesanwalt Kurt Rebmann und seine Fahnder der Öffentlichkeit keine steckbrieflich gesuchten RAF-Mitglieder mehr präsentieren. Am 8.September letzten Jahres schlug das baden-württembergische Landeskriminalamt im Auftrage Rebmanns dennoch zu. Allein in und um Stuttgart wurden 20 Wohnungen durchsucht, auch die von Uli W.
Erfolglos? Einen Tag später kamen die Fahnder wieder, Uli W. wurde auf einem Parkplatz als mutmaßliches „Mitglied der RAF“ verhaftet. Uli W., so der Beschluß des Ermittlungsrichters am BGH, identifiziere sich seit Jahren mit den Zielen der RAF, in einem Brief an den Gefangenen Volker Staub habe er sich 1985 für den Aufbau einer „antiimperialistischen Front“ ausgesprochen. Uli W., so der Generalbundesanwalt in seiner letzten Pressekonferenz vor Weihnachten, sei der Beweis für eine anhaltend terroristische Präsenz der Roten Armee Fraktion.
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Verhafteten war neben Aktenmaterial und Landkarten ein größeres Gebinde des Narkosemittels „Ketanest“ beschlagnahmt worden. Ampullen eines Narkotikums vom selben Hersteller sollen auch schon in konspirativen Wohnungen der fränzösischen Action Direct gefunden worden sein. Das Mittel würde zu logistischen Zwecken bei Geiselnahmen bereitgehalten, so Generalbundesanwalt Rebmann in seinem Halbjahresbericht. Auf den beschlagnahmten Landkarten, so der Vorwurf, seien Punkte zur Ausspähung amerikanischer Militäreinheiten beziehungsweise eines Ausbildungszentrums von Daimler Benz und von Erddepots verzeichnet.
Uli W. und sein Stuttgarter Rechtsanwalt Roland Kugler bestreiten das vehement. Sein Mandant, so der Anwalt auf einer Pressekonferenz, habe 1983 und 1984 als Mitglied der Friedensbewegung zusammen mit anderen die Standorte und Bewegungen von Pershing2-Raketen im sogenannten Bombenwald bei Ulm beobachtet und sie auf Karten verzeichnet.
Bereits seit zwei Jahren, so Rechtsanwalt Kugler, habe sich sein Mandant (wie auch die Hilfsorganisation Medico International) an einer Medikamentensammlung für palästinensische Flüchtlingslager im Libanon beteiligt. Das Narkotikum Ketanest war Bestandteil der Sammelaktion. Auch diese Feststellung konnte von der Bundesanwaltschaft bisher nicht widerlegt werden.
Dennoch sitzt Uli W. seit fast vier Monaten in Stammheim, Rastatt und Karlsruhe in Untersuchungshaft. Mit Trennscheibe bei Besuchen, isoliert selbst beim Hofgang - wie RAF -Gefangene auch. Die Verteidigerpost wird überprüft, von Gemeinschaftsveranstaltungen ist er ausgeschlossen. Bis heute wurde seinem Anwalt jegliche Akteneinsicht verweigert, ein Haftprüfungstermin wurde abgelehnt.
Uli W. schreibt Briefe an seine Freunde, aber auch an inhaftierte, ehemalige RAF-Mitglieder. Das vertrauliche „Du“ in Briefen seines Mandanten an die RAF-Mitglieder Christian Klar und Eva-Sybille Haule, befürchtet sein Anwalt, sollten ihm jetzt als „Mitgliedschaft“ angelastet werden. Die Haltlosigkeit solcher Vorwürfe durch die Bundesanwaltschaft, glaubt Rechtsanwalt Kugler, könnten leicht als Krebsgeschwür in der Friedensbewegung und anderen politische Gruppen wirken.
Kugler ist für die Grünen Mitglied des Stuttgarter Gemeinderats. Er verteidigt zum ersten Mal in einem 129a -Verfahren. Das bisherige Vorgehen der Bundesanwaltschaft hatte er nicht für möglich gehalten. Jeder Amtsrichter, so Kugler, hätte bei dieser Beweislage seinen Mandanten längst freilassen müssen. Eventuell, so die ermittelnden Bundesanwälte, könne der Rechtsanwalt die Akten noch in diesem Monat einsehen. Unter Aufsicht, versteht sich, in der Karlsruher Bundesanwaltschaft.
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