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Die Zeit heilt polizeiliche Kinnhaken

Zwei Schwerter Polizisten wurden Ende Dezember von der Anklage „Körperverletzung im Amt“ freigesprochen  ■  Aus Hagen Süster Strubelt

Nach dem Prozeßverlauf konnte das Urteil niemanden überraschen. Die beiden Polizei-Obermeister Dieter Meckelburg und Reiner Klein wurden am 27.Dezember vor dem Schöffengericht in Hagen freigesprochen. Ob Stefan Wagner und sein Freund Axel Karneil am 16.Juli 1986 nachts auf der Schwerter Polizeiwache zusammengeschlagen und anschließend in zwei Krankenhäusern nicht behandelt wurden - weil die Polizei angerufen und vor zwei „Randalierern“ gewarnt hatte

-, meinte das Gericht wegen zu vieler „Unwägbarkeiten“ nach zweieinhalb Jahren nicht mehr klären zu können.

Daß sie die übereinstimmenden Aussagen der beiden arbeitslosen und zudem vorbestraften Jugendlichen für unglaubwürdig hielt, hatte die Richterin während des dreitägigen Prozesses zur Genüge gezeigt. Auch der Staatsanwalt fragte den Nebenkläger Stefan Wagner mehrmals, ob er nicht doch vielleicht zu viel getrunken und auf der Wache schon doppelt gesehen habe. Ist doch der Wachtmeister im kleinen Ruhrgebietsstädtchen Schwerte eher als „Freund und Helfer“ denn als „Bulle“ bekannt, und Ärger über ein Strafmandat gibt es seltener als ein gemeinsames Bier im „Old Inn“. Der Zeuge Hans-Joachim Frentz, Schwager des Nebenklägers Stefan Wagner, zeigte durchaus Verständnis für den Streß der Polizisten, mit denen er sonntags Fußball spielt und die er auch während des Prozesses mit Handschlag begrüßte. Aber sein Verhältnis zu den Ordnungshütern ist gespalten, seit ihn sein Schwager Stefan in jener Unglücksnacht verzweifelt anrief, weil ihm in zwei Hospitälern der Eintritt verwehrt worden war. Erst auf die Intervention des Zeugen hin wurde die stark blutende Platzwunde schließlich genäht. Hans-Joachim Frentz hatte keinen Grund, an der Aussage seines Schwagers zu zweifeln, zumal sich die Polizisten, wie er in der Verhandlungspause der taz gegenüber erklärte, bei privaten Gesprächen am Rande des Fußballfeldes wiederholt in Widersprüche und offensichtliche Lügen verstrickten. Und daß der Staatsanwalt ihn bei der vorgerichtlichen Vernehmung der Falschaussage bezichtigte, als das Gespräch auf die Größe von Stefan Wagners Wunde kam, fand Frentz „reichlich seltsam“.

Noch mehr Merkwürdigkeiten mußte allerdings Stefan Wagner erleben, der sich auf Anraten seines Hausarztes entschloß, gegen die Schwerter Polizei Anzeige zu erstatten. Denn als sein Rechtsanwalt Rainer Budde am nächsten Tag die Wache anrief, rutschte einem der Polizisten heraus: „Wieso vertreten Sie den, der weiß doch gar nicht, worum es geht.“ Bei einem späteren Besuch Buddes auf der Wache hatte die Polizei ihre Version korrigiert: natürlich wüßten Stefan Wagner und Axel Karneil, daß sie am fraglichen Abend vor ihrem Besuch auf der Wache eine Telefonzelle zerstört hätten. Die Polizei habe deshalb schließlich Anzeige erstattet. Sie hatte sich, fand der Rechtsanwalt heraus, außerdem in den Krankenhäusern erkundigt, ob Stefan Wagners Platzwunde am Kinn auch von der Verletzung durch eine Glasscheibe stammen könne.

Drei Monate nur brauchte die deutsche Justiz, um ein Verfahren wegen Zerstörung öffentlichen Eigentums durchzuführen, dann wurden Stefan Wagner und Axel Karneil freigesprochen, weil sie keiner der Zeugen erkannte. Ein halbes Jahr dauerte es hingegen, bis die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm Rechtsanwalt Budde mitteilte, daß das Verfahren gegen die Polizei eingestellt würde - mit einer, so Budde, eigenartigen Begründung: Zwar sei aufgrund des Ermittlungsergebnisses davon auszugehen, daß sein Mandant auf der Wache geschlagen worden sei, aber der Täter sei nicht mehr zu identifizieren.

Rechtsanwalt Rainer Budde legte Widerspruch ein und konnte sich mit der Begründung, daß auch die Warnung an die Krankenhäuser „Körperverletzung im Amt“ darstelle, durchsetzen. Allerdings dauerte es noch einmal eineinhalb Jahre, bis endlich die Verhandlung eröffnet wurde. Und der nach Stefan Wagners Aussage für den Kinnhaken verantwortliche Polizist trat im Prozeß nur als Zeuge auf. Auf der Anklagebank saßen nur die beiden Polizisten, die für die Randalierer-Warnung an die Krankenhäuser verantwortlich waren. Daß sie sich damit strafbar gemacht hatten, davon schien sich zumindest der Staatsanwalt im Laufe der Verhandlung zu überzeugen: Er forderte in seinem Plädoyer überraschend acht Monate Haft auf Bewährung und kündigte an, in die Revision zu gehen. Gleichzeitig erklärte er aber auch, gegen Stefan Wagner einen Prozeß wegen Falschaussage anzustrengen. Der hat kein Geld, um in der Revisionsverhandlung als Nebenkläger aufzutreten und fragt sich inzwischen, ob es so klug war, sich mit den Ordnungshütern anzulegen. „Es muß bei solchen Sachen eine hohe Dunkelziffer geben“, resümiert sein Schwager und Polizeikenner Hans-Joachim Frentz.

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