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Tiefflieger starten mit Gegenwind

Nach dreiwöchiger Zwangspause darf wieder tiefgeflogen werden / Absichtserklärung zur Reduzierung der Tiefflüge seitens CDU und Verteidigungsministerium / Verlagerung der Flüge ins Ausland angestrebt / Koordinationszentrale soll vor „Übersättigung“ schützen  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Bei gutem Wetter durften gestern die Piloten von Bundeswehr und Allierten endlich wieder ihren Trieb(werks)stau abreagieren: Nach dreiwöchiger Zwangspause und eintägiger Verzögerung durch eine ungünstige Wetterlage wurden rund 100 Übungsflüge absolviert. Gleichzeitig aber mehren sich Zeichen, daß die anhaltenden Proteste gegen den Tiefflugterror in der Regierungskoalition Wirkung zeigen. Noch in diesem Monat wird eine Entscheidung über eine Reduzierung erwartet - ob es mehr als Absichtserklärungen sind, bleibt offen.

„Der Worte sind genug gewechselt, die Bürger wollen Taten sehen“, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Rühe. Nach seiner Meinung ist es möglich, die Tiefflüge innerhalb der nächsten zwei Jahre um die Hälfte zu verringern. Ein „Mindestmaß“ an Tiefflügen aber werde weiterhin notwendig sein.

Ähnlich wie Rühe äußerte sich auch das Bundesverteidigungsministerium. Allerdings wollte der Luftwaffensprecher Trittermann eine mögliche Reduzierung nicht in Zahlen ausdrücken. Einzelheiten werden voraussichtlich bei der Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages am 18.Januar bekanntgegeben. Dort wird Verteidigungsminister Scholz (CDU) den Bericht zur Tiefflugkatastrophe von Remscheid vorlegen.

Seit 1980 wurde die Zahl der Tiefflüge bereits um 25 Prozent reduziert, betonte Trittermann. Zur Palette von Maßnahmen soll eine weitere Verlagerung nach Kanada (ab 1991 jährlich 5.000 statt bisher 3.700 Tiefflugstunden) und in die Türkei sowie der Einsatz von Tiefflugsimulatoren gehören. Diese müssen allerdings erst entwickelt werden, wobei das Verteidigungsministerium von mindestens zwei Jahren ausgeht. Die Kosten sind noch völlig unklar, erste Angebote der Industrie wurden erst im vergangenen Dezember eingeholt.

Entscheidend wird das Verhalten der Alliierten sein, auf deren Konto zwei Drittel aller Tiefflüge gehen. Diese hätten „nicht ganz so viele Möglichkeiten der Auslagerung ins Ausland“, gibt Sprecher Trittermann ein Beispiel in Verteidigungslogik: Schließlich müßten sie ja in der Bundesrepublik ihren Verteidigungsbeitrag leisten. Die Bundesregierung könne nicht verlangen, die Nato-Partner sollten die Ausbildung in den Heimatländern durchführen. Ob die vom Bundesverteidigungsministerium initiierte internationale Arbeitsgruppe Ergebnisse erzielt Fortsetzung auf Seite 2

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hat, ist unklar. Das Mitglied des Verteidungsausschusses Kossendey (CDU/CSU) will jedenfalls eine „positive Wendung“ ausgemacht haben. Unklarheiten bestehen noch bei einer Verlagerung in die Türkei. Die Einrichtung eines „internationalen Trainingszentrums“ inclusive der sozialen Infrastruktur für die dort fast ganzjährig stationierten Fliegerfamilien müßten nämlich noch errichtet werden. Auch hier

sind die Kosten ebenso unabsehrbar wie die Bereitschaft der Allierten, dort ihre Übung zu absolvieren.

Eine „gerechtere Verteilung“ (Trittermann) des derzeitigen Lärms über der Bundesrepublik erhofft sich das Verteidigungsministerium durch eine noch zu gründende Kooradinationszentrale. Eine Bund-Länder-Kommission wird sich am 26.Januar mit dem Thema befassen. Mit der Einsatzzentrale sollen die Tiefflüge „entzerrt“ und eine „Übersättigung“ der Bevölkerung in besonders betroffenen Gebieten vermieden werden. Schlechte Sicht

verhältnisse herrschen in der CDU/CSU-Fraktion und dem Verteidigungsministerum in der Frage, wieviel Tiefflug -Übungsstunden überhaupt notwendig sind. Anfang Oktober hatten CDU-Wehrexperten erklärt, die Piloten der Luftwaffe benötigten angesichts ihres hohen Ausbildungsstandes nur etwa drei bis fünf Übungsstunden, um sich vom Fliegen in „größeren Höhen auf Tiefflug umzustellen“. Wenn die Piloten auf 150 Meter Höhe ausgebildet seien, dann sei die Anpassung auf 30 Meter Flughöhe schnell zu leisten.

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