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Kicher, Koller, Küche

■ „Die heilige Jungfrau der Einbauküche“ von Willy Russell, inszeniert von Sönke Schütt, im Packhaustheater: Das Land der Griechen mit der Klitoris suchend

Eine für viele. Mit der Gloriole der Alltäglichkeit hat sich die englische Hausfrau Shirley Valentine bis an den toten Punkt ihres Lebens geschleppt. Die Kinder sind aus dem Haus. Die Ehe ist zum stummen Dienstleistungsverhältnis herabgesunken. Aber Shirley gibt nicht auf. „Die heilige Jungfrau der Einbauküche“ nennt sich dieses Monodrama von Willy Russell, das Sönke Schütt jetzt weniger komödiantisch denn nachdenklich für das Packhaustheater im Schnoor inszenierte.

Auf Schillers todesmutige Heroine, die Jungfrau von Orleans, und Shaws personifizierte weibliche Vernunft „Saint Joan“ - verweist der Titel höchstens ironisch. Russell dachte wohl eher an Brechts „Heilige Johanna der Schlachthöfe“. Brechts Johanna versucht den Klassenkampf human und als sozialen Ausgleich zu lösen, erkennt dann aber: „Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht.“ Shirley muß sich dagegen ihre apathisch machende Mutlosigkeit, ihre Angst und ihre Schuldkomplexe eingestehen, um sich zu befreien und das unbenutzte Leben an sich zu reißen.

Das Publikum macht mit der Hauptfigur einen erfolgreichen Emanzipationsprozeß durch. Insofern ein wichtiges Stück. Aktuell ist es allemal. Nicht nur für Frauen. Es zeigt, was mit den Menschen heutzutage in ihren Zimmerkisten geschieht. Es macht deutlich, was verschütt gegangen ist, obwohl da noch Kraft, Neugier, Gefühl und gesunder Menschenverstand vorhanden sind. Shirley weiß um ihre Enge und legt dies als ironische Selbstkommentierung dar. Ungebrochen erscheint sie, bewältigt das Leben aber nur durch Sprechen, durch Aussprechen, selbst wenn als „Kommunikationspartner“ nur die Küchenwand und eine Flasche Riesling zur Verfügung stehen. Vor dem heulenden Elend bewahrt sie der englische Humor. Dann kommt die Chance zum Ausbruch. Das Kämpferische wird in ihr freigesetzt. Ihre Freundin lädt zum Griechenland-Urlaub ein.

Im dritten Bild sitzt Shirley dann sonnengebräunt und glücklich am Mittelmeerstrand. Aber was bisher dramaturgische Stärke war - eine Frau kehrt ihr Inner

stes nach außen - wird nun zur Schwäche des Stücks: Das Fehlen des Dialogpartners, vorher ein Mittel der Spannungserzeugung, hat jetzt keine Funktion mehr, denn Shirley muß nur noch im Plauderton über ihre kleinen Erlebnisse berichten. Während der Text schon zuvor manchmal in schnelle Pointen abrutschte, werden jetzt überreichlich Lebensweisheiten im Handtaschenformat serviert: Plötzlich ist alles eitel Sonnenschein. Shirleys kleine Flucht wird nicht mehr hinterfragt. Sie hat mit ihrem einheimischen Lover ihre Klitoris entdeckt. Ein Erdbeben. Nun arbeitet sie bei ihm als Kellnerin und erwartet zufrieden und selbstsicher das Eintreffen ihres Mannes. Nach England will sie vorerst nicht zurück. Ursula Sawallich spielt das so lieb und zurückhaltend - ohne auf die Mitleidstränendrüsen zu drücken - , daß sie beim Premierenpublikum viele Sympathiepunkte sammeln konnte und mit donnerndem Applaus verabschiedet wurde.

jf

Bis zum 22. Januar, täglich 20 Uhr (außer Montag).

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