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Bremer City wird Sanierungsgebiet

■ Bürgerschaft soll Bremer Innenstadt zum größten Sanierungsgebiet der Bundesrepublik erklären 55 Maßnahmen und 66 Millionen für passendes Kaufhaus-Ambiente / Wohnquartiere gehen leer aus

Das ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Bremer Bauplanung: Diekomplette Innenstadt soll jetzt zum „Sanierungsgebiet“ erklärt werden. So steht es in einem Gesetzentwurf, mit dem Senatorin Evi Lemke zuständigkeitshalber die Stadt entwickeln will. Er sieht vor, das gesamte Gebiet zwischen Bürgerweide und vorderer Neustadt, zwischen Steintor und Faulenstraße zum damit größten Sanierungsgebiet der Bundesrepublik zu erklären. Ziel des 55 Punkte umfassenden Baumaßnahmen- Katalogs: Für 66 Millionen Mark sollen Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte zwischen Hillman- und Ansgari-Passage bis 1992 ein adrett-oberzentral aufpoliertes Ambiente bekommen. Geplant wurde das Sanierungskonzept von einer „Arbeitsgruppe“, an der neben verschiedenen Senatsressorts auch Vertreter der Handelskammer teilnahmen. Besonderer Clou der Ausweisung zum Sanierungsgebiet: Für die öffentlichen Baumaßnahmen übernimmt der Bund 50 Prozent der Gesamtkosten, private Investoren wie die Innenstadt -Kaufhäuser können ihre Verschönerungen noch nach träglich steuerlich absetzen.

Im Ortsamt Mitte und beim zuständigen Beirat stoßen die Pläne der Baubehörde denn auch auf wenig Begeisterung. „Echt veralbert“ und „regelrecht mißbraucht“ fühlten sich die Beirats

mitglieder aller Fraktionen, denen Stadtplanungsbeamter Georg Ahlswede das Sanierungskonzept am Montagabend zwecks Beratung und Absegnung vorstellte. Erste Sorge des Beirates: Während Bremens Einzelhandels-Giganten mit viel Kunst am Bau, Grün am Einkaufsweg, Park- und anderen Plätzen in ein attraktives Geldausgebe-Umfeld verlegt werden, fällt für die angrenzenden Wohnquartiere nahezu nichts ab. Im Bereich der Faulen- und Falkenstraße, wo Anwohner und Beirat seit Jahren Sanierungmaßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung und gegen die PKW- Schwemme fordern, sieht das Sanierungskonzept nur eine einzige Maßnahme vor: Die privatwirtschaftliche Parkplatz -GmbH soll ihre Hochagarage in der Diepenau mit Bundesmitteln aufstokken dürfen. Beispiel zwei: Für die Sanierung des Steintors sind exakt 175.000 Mark in Aussicht gestellt. Ortsamtsleiter Dietrich Heck: „Mir soll mal einer erklären, warum die Probleme des Viertels der Baubehörde gerade ein Dreihundertsiebenundsiebzigstel von dem wert sind, was sie in der Innenstadt verpulvern will“. Besonders verärgert ist Heck darüber, daß er seit Monaten vergebens um Mittel für die Umsiedlung des Fuhrunternehmens „Burwitz“ und eines Getränkegroßhandels aus dem Wohnquartier „Steintor“ bettelt:

„Da ließe sich wirklich etwas dafür tun, daß die Leute nachts wieder schlafen können, aber das interessiert anscheinend niemanden in den Behörden.“ Hecks Vermutung: „Das 66-Millionen- Sanierungskonzept für die Innenstadt trägt eindeutig die Handschrift des Wirtschaftssenators und den interessieren die Probleme in den Wohnquartieren nicht. Der hat nur zwei Sorgen: Gewerbeflächen für Industriebetriebe und eine attraktive Innenstadt für den Einzelhandel.“

Für Hecks These spricht zumindest eine besondere Skurrili

tät des Sanierungskonzepts. Während Hausbesitzer im ehemaligen Sanierungsgebiet Ostertor für die Wertsteigerung ihrer Immobilien gerade in diesen Tagen kräftig zur Kasse gebeten werden - „Abschöpfung von sanierungsbedingten Bodenwertsteigerungen“ nennt der Juristen- Jargon des einschlägigen Bundesbaugesetzes derartige Zahlungsaufforderungen -, haben die Behörden die Bodenwert -Steigerungen, die mit 66 Millionen in der Innenstadt zu erzielen sind, schon jetzt ausgerechnet. Ergebnis: „unterhalb der Bagatellgrenze“.

Karstadt, Brinckmann und Saturn können also schon jetzt sicher sein: Wenn die Sanierung 1992 abgeschlossen ist, werden sie - anders als die Ostertorschen - nicht zur Kasse gebeten.

Auskunft über solche Ungereimtheiten hätte der Beirat am Montag gern von einem Vertreter von Wirtschaftssenator Uwe Beckmeyer erhalten. Dessen Referent, Markus Timm, lehnte die Einladung in die öffentliche Beiratssitzung jedoch dankend ab. In einem vertraulichen Gespräch will Timm dem Beirat aber gern Rede und Antwort stehen.

K.S.

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