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Gefährliche Nachbarschaft Reinigung

■ Untersuchung des Hauptgesundheitsamtes belegt: In der Umgebung von chemischen Reinigungen lebt es sich mit erhöhtem Krebsrisiko / Luft, Lebensmittel, Blut, alles belastet / HGA: Reinigungen meiden

„Bei mir ist alles in Ordnung“, sagt der Besitzer der chemischen Reinigung Brüggemann. „Ich hab neue Maschinen, bei mir ist nichts gemessen worden.“ Und auch bei anderen chemischen Reinigungen ist man sich ganz sicher: „PER? Bei uns nicht.“ Das kollektive gute Gewissen der Reinigungsunternehmer steht im Widerspruch zu einer Untersuchung, deren zusammengefaßte Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden.

Vom November 1987 bis April 1988 hatten das Gewerbeaufsichts- und das Hauptgesundheitsamt, unterstützt vom Bremer Umweltinstitut, in 51 Wohnungen in der Umgebung von 33 chemischen Reinigungen nach dem krebserregenden PERchlorethylen geforscht, hatten bei 65 Anwohnern Blutproben genommen und waren in der Regel fündig geworden: „Alle Meßergebnisse

wiesen im Vergleich zu den Werten, die in unbelasteter Umgebung üblich sind, eine erhöhte Belastungssituation auf.“ Erhöhte Belastungssituation, das heißt nach den vom Bundesgesundheitsamt empfohlenen Grenzwerten eine Konzentration von 0,1 Milligramm pro Kubikmeter Luft oder Kilogramm Lebensmittel.

Die Ergebnisse im einzelnen:

-80% der untersuchten Raumluftproben waren mit PER -Konzentrationen oberhalb von 0.1 Milligramm belastet.

-Auch bei den untersuchten Lebensmitteln waren 80% der Proben als erhöht einzustufen. 29% der Lebensmittel waren mit mehr als einem Milligramm belastet, jede 20igste Probe gar mit mehr als fünf mg/Kilo.

-Bei den Blutwerten wurde der Grenzwert bei allen Untersuchten in erheblichem Maße überschritten.

Auch wenn chemische Reinigungen ihre veralteten Anlagen gegen neue Maschinen mit geschlossenen Kreisläufen ersetzen, ändert sich an der Belastungssituation kaum etwas, da sich das Gift zum Beispiel in Holzbalken und Isoliermaterial festsetzt und erst nach und nach in die Luft eindringt.

Da Ersatzstoffe,, wie Benzine oder Fluorkohlenwasserstoffe, auch keine umweltverträglichen Alternativen sind, empfiehlt das Hauptgesundheitsamt, chemische Reinigungen zu meiden und statt dessen die Kleidung in die Waschmaschine zu stecken.

In Hamburg ist die Auseinandersetzung um PER einen Schritt weiter. Inzwischen verhandelt

dort zum ersten Mal ein bundesdeutsches Landgericht, ob ein Hausbewohner die Miete mindern darf, wenn in seiner Wohnung eine erhöhte PER-Konzentration auftritt. Kernfrage dabei: Ab welcher Konzentration muß ein Mieter tatsächlich um seine Gesundheit fürchten? Die 0,1 mg-Grenze des Bundesgesundheitsamtes ist nämlich kein rechtsverbindlicher Wert, sondern lediglich eine „im Sinne des Minimie

rungsgebotes“ ausgesprochene Empfehlung.

Reinigungsbesitzer Brüggemann läßt die Diskussion derweil völlig kalt. Sein Blut wollte er nicht untersuchen lassen, denn: „Ich mach das schon seit 30 Jahren. Wenn das so schlimm wäre, müßte ich längst tot sein.“ Kollege Paulsen dagegen hat immerhin eingesehen: „Das ist ein ganz ungesunder Beruf. Aber da muß man mit leben.“

hbk

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