: „Von Donald Duck lernen, heißt siegen lernen„e
■ Auszüge eines Offenen Briefes von Prof. Dr. Theodor Ebert an die StudentInnen des Otto-Suhr-Instituts
Im Streikinfo Nr. 6 des „Abstrosi“ vom 12.Dezember 1988 wird die Lage an der Universität und speziell am Otto-Suhr -Institut aus studentischer Sicht analysiert und werden Forderungen erhoben, zu denen wir Hochschullehrer „konkret und detailliert Stellung beziehen sollen“. Ich will dies „cum ira et studio“ auch tun. Zunächst einmal „im Zorn“, weil mir der Geduldsfaden gerissen ist, als in der Ihnestraße 22 das Anpinseln von Fassade und Fluren auch nach dem Ende der Abriegelung weiterging und dies geschah, nachdem abgemacht war, daß in der viertelparitätisch besetzten Kommission verhandelt werden solle. Wer dann noch „Profs besabbelt euch selber“ an die Wand schmiert, obwohl er in der Streikzeitung behauptet, es ginge um einen „produktiven Dialog“, muß sich auch mit Wut im Bauch einiges sagen lassen, bevor man sich wieder an die Entwicklung von konstruktiven Vorstellungen machen kann.
Die Hoffnung der Besetzer ist, daß ihnen der „Schritt aus der Uni heraus hin zu anderen Widerstandsgruppen in der Gesellschaft“ gelingen werde, „um so in gemeinsamer Praxis, d.h. aus gemeinsamer Erfahrung heraus, unsere gesellschaftliche Utopie weiterzuentwickeln“. Einige Dozentinnen und Dozenten des OSI arbeiten nun seit Jahren in den neuen sozialen Bewegungen mit. Bei der Flüchtlingshilfe, bei Aktionen zivilen Ungehorsams in der Ökologie- und Friedensbewegung riskiert man schon bei geringfügigen Gesetzesübertretungen die Festnahme, langwierige Prozesse und empfindliche Strafen. Wenn man Vertreter dieser Widerstandsgruppen jetzt durch das OSI führen würde, wäre vorhersehbar, daß sie mit diesen Schmierfinken und ihren „voll geilen“ Sprüchen nichts zu tun haben wollten. Vertreter solcher Widerstandsgruppen erkennen sofort, daß am OSI Sachschaden für mehr als 50.000 Mark entstanden ist und daß sie sich die Haftung für solcherlei Aktionen nicht leisten könnten.
Ich habe die Besetzer mehrfach auf die negative Außenwirkung ihrer Pinseleien hingewiesen, aber das Beschmierschriften der kurz zuvor renovierten Fassade ging weiter. Ihre Parolen seien überhaupt keine Sachbeschädigung; sie könnten dauerhaft so bleiben. Ich bestreite auch gar nicht, daß einige Slogans auch Pfiff haben - z.B. „Make Love not Konsens“ - und daß große Sprüche nun einmal zu Besetzungen gehören. Ich war schließlich selbst oft genug auf besetzten Bauplätzen, in besetzten Häusern, Jugendzentren und Kirchen und habe vor einigen Tagen erst in der auch von meinen Kindern besetzten Lily-Braun-Oberschule in Spandau übernachtet, aber diese hemmungslosen und häufig beschämend niveaulosen Schmierereien im OSI sind einsame Spitze und gehören zu anderem Schwachsinn ins Guiness-Buch der Rekorde. Ich war von diesen Schmierereien so entsetzt, weil sie mir eindrücklich vor Augen führten, daß der sich hier schrittweise emanzipierende akademische Nachwuchs dies zunächst nur auf Donald-Duck-Manier kann. Als ich im OSI auf einem Schlafsack einen Sammelband der Abenteuer dieses Geistesriesen sah, dämmerte mir, daß ich im nächsten Semester meinem Grundkurs über Widerstandsrecht vielleicht am besten die Comicfassung von Martin Luther Kings Buch über den Busboykott von Montgomery, die ich nur als Kuriosität aufbewahrt habe, zugrunde legen muß. Von Donald Duck lernen, heißt siegen lernen!
Die Besetzung des OSI soll hier nicht nur ins Lächerliche gezogen werden. Sie war in der Tat wichtig, um den studentischen Unmut über die Universitätspolitik der Regierung zum Ausdruck zu bringen. Deswegen gab es von seiten der Institutsangehörigen auch praktisch keine Abwehr dieser Besetzung. Die Besetzer handelten also - um dies wie Ernst Fränkel zu formulieren - virtuell repräsentativ für die meisten Mitarbeiter dieses Instituts. Wenn die Studenten also in großer Zahl das Institut besetzt und in den Seminarräumen unter sich beraten und dann auch ein alternatives, selbst initiiertes Kursprogramm aufgezogen hätten, wäre dies wohl bei den meisten Dozenten auf Verständnis gestoßen und es hätten sich Wege finden lassen, alternative Leistungen auch in auswärts verwendbaren Scheinen anzuerkennen. Es war jedoch der Fehler, daß die Besetzer das Institut für Nicht-Studenten abgeriegelt haben. Sie haben damit auch die Bibliothek geschlossen und im Endeffekt auch die meisten Studenten motiviert, zu Hause zu lernen.
Die Besetzer haben doch keinerlei Verwaltungsleistungen erbracht, sondern sie haben die Verwaltung in der Ihnestraße 21 und 22 zweieinhalb Wochen an der Arbeit gehindert und dann in den nackten Seminarräumen und Fluren etwas aufzuziehen versucht. Das Herstellen von Streikzeitungen und Flugblättern ist anstrengende Arbeit, aber doch keine Verwaltungstätigkeit, und ein alternatives Kursprogramm konnte in der Abriegelungstechnik doch gar nicht gelingen. Ich halte die Kritik der Gentechnik und die Auseinandersetzung mit der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik für ein wichtiges Thema der Politologie, aber bisher haben die Besetzer keine öffentlich verwendbare politologische Begründung der Umbenennung des Otto-Suhr -Instituts in Ingrid-Strobel-Institut vorgelegt. Nur die Fassade zu beschriften, ist nicht alternative Politologie, sondern Showbusineß.
Was in den besetzten Räumen am besten funktionierte, geradezu florierte, war das Streikcafe - wie die umfangreichen Lieferungen der geschäftstüchtigen Kulmbachbräu beweisen. Wie heißt es doch so richtig in der kapitalismusträchtigen „Präambel“ der Resolution: „Wissenschaft dient heute überwiegend ... wirtschaftlichen Interessen.“ In der Tat, die Besetzer haben das OSI in eine Wirtschaft verwandelt. Mir stinkt's, wenn ich das OSI vorbei an einem Spalier leergetrunkener Bierkästen betrete! (...)
Der Forderungskatalog der Vollversammlung vom 11.Dezember 1988 liest sich zwar passagenweise wie ein Brief ans Christkindchen, aber wir Dozenten haben im Herzen ähnliche Wunschzettel und sind im Grunde genommen froh, daß die Studenten jetzt kämpferisch einklagen, was wir bisher allzu dezent gefordert haben. Ich bin nicht mit jeder Forderung wortwörtlich einverstanden, aber die Richtung paßt mir durchaus. Ich will jetzt nicht die Liste durchgehen, weil dies auch die Aufgabe der viertelparitätischen Kommission ist.
(...) Es müßte in Zukunft mehr darauf geachtet werden, daß die Kurse (am OSI) auch öffentlich vorzeigbare und politisch verwertbare Ergebnisse erzielen. Ich habe auf meinem speziellen Arbeitsgebiet der Forschung über soziale Bewegungen und ihre Aktions- und Organisationsformen aus studentischen Fallstudien viel gelernt und auch einige Arbeitsergebnisse nach außen vermitteln können. Dies setzt aber Absprache und Kooperation und Timing voraus, wie es im Routinebetrieb kaum gelingen kann. Andere Hochschullehrer haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Wir Dozenten finden es auch unbefriedigend, wenn Papiere rein übungshalber geschrieben werden, um einen Schein zu erhalten. Wir sind doch nicht mehr auf der Schule! Wirkungsorientiertes Lernen, das ich auch im Grundstudium bereits für möglich halte, ist natürlich viel anstrengender, als nur ein Papier zu schreiben, um dafür einen Schein abzustauben, aber erfahrungsgemäß arbeiten Intellektuelle - sofern sie über ihren Lebensunterhalt verfügen - gerne und nicht mit der Stechuhr, sobald sie den Eindruck haben, daß es ihnen selbst Erkenntnis und der Gesellschaft Nutzen bringt. In einem sozialwissenschaftlichen Fachbereich hat man doch mitten im Kapitalismus die fabelhafte Möglichkeit, nichtentfremdete Arbeit zu leisten. Deswegen hängen linke Hochschullehrer am OSI an ihrer Arbeit und sie waren stocksauer, als sie nicht an ihren Arbeitsplatz durften, obwohl eine Abriegelung ihr materielles Einkommen überhaupt nicht berührte. Wir haben doch in den Seminaren bis hinein in die Examensarbeiten die Freiheit zu forschen und literarisch zu produzieren, was wir wollen. Die Regierung und das Kapital können unsere Lehr und Forschungstätigkeit nicht intervenierend steuern. (...)
Ich wünsche mir, daß die Studenten künftig mit einem dicken Filzstift ihren Vor- und Zunamen auf ein DIN-A4-Blatt schreiben und entsprechend gefaltet vor sich aufbauen und ein paar Sätze über sich sagen, bevor sie ihr Referat halten. Auch die Dozenten sollten sich ausführlicher vorstellen - eventuell mit einem Informationsblatt zu Beginn des Kurses. (...)
Das Erfreuliche an dem gegenwärtigen Aufstand der Studenten ist, daß sie nach Jahren des vernehmlich außeruniversitären politischen Engagements - und die sozialen Bewegungen befinden sich mit Ausnahme der Frauenbewegung in einer Flaute - sich jetzt wieder als politische Kraft an der Universität entdeckt haben. Das dürfte dazu führen, daß zumindest in naher Zukunft die Kurse - ob nun autonom oder dozimäßig - aktiver und erwartungsvoller gestaltet werden. Wenn man statt „jeder Menge Zukunft“ eine „Megakrise“ konstatiert, dann hofft doch jeder engagierte Dozent darauf, daß das OSI vielleicht jetzt zu einer kritischen intervenierenden Kraft wird. Meines Erachtens müssen die Kurse jetzt weitergehen, weil etwas geschehen ist und weil man die Impulse dieses Aufstands am besten in den Kursen didaktisch und inhaltlich aufnehmen kann. Die meisten Studenten werden erst in den Kursen die Möglichkeit haben, sich zur Lage und zu ihren Vorstellungen zu äußern. Das Plenum mit einer auf zwei Minuten begrenzten Redezeit kann das nicht leisten.
Selbstverständlich muß in den Kursen erst mal über die letzten Wochen, die studentischen Forderungen, die Ergebnisse der viertelparitätischen Kommission und vielleicht auch über diesen Brief und dann über die Konsequenzen für den laufenden Kurs geredet werden. Vielleicht wird die zeite Hälfte des Kurses dann nicht wie bisher ein Abschiedskonzert a la Hayden, sondern steigert sich zu einem Crescendo emanzipatorischer Wissenschaft. Die Dozenten sollten sich auch überlegen, ob sie nicht neben den „autonomen Seminaren“ den einen oder anderen zusätzlichen Kurs im Januar und Februar mit doppelter Stundenzahl - z.B. Samstags - anbieten könnten, um den neuen Impuls auch sofort umzusetzen. Einige von uns haben auch Forschungssemester und könnten außerplanmäßig einspringen oder einen für das Sommersemester 1989 geplanten Kurs vorziehen oder mit Interessenten vorbereiten. In den regulären Kursen sollten die Studenten die Dozenten bedrängen, die ausgefallenen Sitzungen in einer einfallsreichen Form nachzuholen. Das muß ja nicht unbedingt in den nicht sonderlich einladenden Räumen des OSI geschehen. Ich ende also „cum studio“ - und ich hoffe, daß Sie dies nicht nur in die Sprache der ESSO -Werbung zu übersetzen vermögen.
Theodor Ebert
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