piwik no script img

Haftstrafe für grabschenden Chef

Landgericht Hannover verurteilt Belästigung am Arbeitsplatz als „sexuelle Nötigung“ / Prokurist zu 15 Monaten ohne Bewährung verurteilt  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Eine außergewöhnlich hohe Strafe hat das Landgericht Hannover in einem leider gar nicht so außergewöhnlichen Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz verhängt. Das Gericht verurteilte am Dienstag den Prokuristen eines hannoverschen privaten Rettungsdienstes wegen fortgesetzter sexueller Nötigung einer 22jährigen kaufmännischen Angestellten zu einer Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten ohne Bewährung.

Fünf Wochen lang hatte der Prokurist, so stellte das Gericht im Urteil fest, immer wieder versucht, seiner Angestellten unter die Bluse zu greifen und dies einmal auch geschafft. Mit diesem Urteil wertete die 12. Große Strafkammer in zweiter Instanz die fortgesetzten Belästigungen durch den Chef als „sexuelle Nötigung“. Üblicherweise werden solche Handgreiflichkeiten als Beleidigungen verurteilt und nur mit Geldstrafen geahndet.

Die junge Angestellte hatte nach zweijähriger Arbeitslosigkeit im Juni bei dem privaten Rettungsdienst wieder einen Job gefunden, es dort aber nur insgesamt fünf Monate ausgehalten. In die ersten drei Wochen ihres Arbeitsverhältnisses und die letzten beiden, bevor die junge Frau von sich aus kündigte und Strafanzeige erstattete, fielen die Grabschereien ihres Chefs. Aus Angst ihren Arbeitsplatz wieder zu verlieren hatte sie zunächst auf eine Anzeige wegen der Grabschereien verzichtet und nur mit einer Freundin über die Attacken des Vorgesetzten gesprochen.

Der 45jährige Prokurist habe die Angst seiner Angestellten vor erneuter Arbeitslosigkeit und seine Stellung als Vorgesetzter ausgesprochen ausgenutzt, begründete denn auch der vorsitzende Richter Thomas Taeglichsbeck sein Urteil. Das Tatbild der sexuellen Nötigung habe sich nicht daraus ergeben, daß der Prokurist Gewalt angewandt oder von sich aus mit der Kündigung gedroht habe, sondern durch die Vielzahl von Einzelfällen. Zum Teil habe der Vorgesetzte seine Angestellte drei- viermal an einem Tag belästigt. Man habe die einmal drei und dann noch einmal zwei Wochen andauernden Belästigungen als zwei getrennte Fälle der sexuellen Nötigung bewerten müssen. Da es sich nicht um minderschwere Fälle gehandelt habe, so sagte der Richter, sei die Strafe auch nicht zur Bewährung ausgesetzt worden. Einschlägig vorbestraft sei der Prokurist nicht gewesen.

Die Berliner Rechtsanwältin Alexandra Goy, die auf solche Fälle spezialisiert ist, nannte gestern das hannoversche Urteil „höchst außergewöhnlich“. Das Gericht habe entweder die Rechte der Frauen schützen wollen oder aber einfach dem Strafbedürfnis freien Lauf gelassen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen