: Stoltenberg gibt Kiel auf
Der Chef der Nord-CDU kandidiert nicht mehr in Kiel / Parteibasis „erleichtert“ bis „entgeistert“ ■ Von Bornhöft und Feldner
Berlin/Kiel (taz)- Für die Mehrheit des Parteivolkes im Norden kam die Nachricht wie ein Blitz aus dunklem Himmel: Gerhard Stoltenberg verzichtet auf eine erneute Kandidatur zum CDU-Vorsitz in Schleswig-Holstein. Kaum hatte sich die Meldung Dienstag herumgesprochen, da schlug der nächste Blitz ein – die Parteispitze will einen Westfalen an die Förde holen, Ottfried Hennig aus Gütersloh, derzeit Parlamentarischer Staatssekretär im innerdeutschen Ministerium. Gewählt wird der neue Regent der Nord-CDU vom Parteitag im April. Doch das Rennen scheint entschieden. Helmut Kohl persönlich soll für seinen Anhänger Hennig und gegen andere Bewerber votiert haben.
„Verwunderlich“ fand die Abgeordnete Irmlind Heiser wie andere CDU-Politiker, daß Stoltenberg seinen Verzicht in einem Zeitungsinterview bekanntgab und nicht warten mochte bis zur Sitzung des Landesvorstandes am 21.Januar. Über seine Begründung, er wolle wegen „Arbeitsüberlastung“ nicht mehr kandidieren, lachen die Hühner auf jedem holsteinischen Bauernhof. Denn dieses von Kritikern oft und meist scheinheilig vorgebrachte Argument hat der seit 18 Jahren residierende Parteichef stets heftig zurückgewiesen.
Noch auf dem letzten Parteitag im Oktober vergangenen Jahres meldete Stoltenberg trotz seiner Verantwortung für zwei Jahrzehnte CDU-Herrschaft mit abschließendem Barschel –Knall ungeniert seinen Führungsanspruch an. Damals ließ sich der „liebe Gerhard“ von Parteifreund Norbert Blüm als „Prunkstück der Politik“ feiern. MdB Rolf Olderogs Stimme überschlug sich fast, als er die Basis aufforderte, nicht länger „an dem Vorsitzenden – das größte Kapital, das die Partei hat – herumzunörgeln“. Genau das aber taten die Gescholtenen permanent. Noch vor wenigen Tagen verlangte etwa der Kreisverband Neumünster öffentlich von Stoltenberg den Verzicht auf die Kandidatur. Der liberale Flügel wagte sich aus der Deckung, aber auch Stoltenbergs Anhänger rieten zur „personellen Änderung“.
Der vielzitierte „personelle und politische Neuanfang“ nach der Barschel-Affäre hat nie stattgefunden. Auch deshalb überwand die Kieler Opposition nach Waterkantgate und der schwersten Wahlniederlage in vier Jahrzehnten nicht den Zustand der Agonie. Bis heute ist die Rolle Stoltenbergs bei den Machenschaften Barschels nicht geklärt. Seit neun Monaten lagern bei der Kieler Staatsanwaltschaft Ermittlungsakten zum vermeintlichen Drohbrief Uwe Barschels an den Minister, der darin der Mitwisserschaft beschuldigt wird. Stoltenberg bezeichnete den Brief als Fälschung. Konservative spekulieren allerdings über einen Zusammenhang zwischen den Ermittlungen und dem „überstürzten Abgang“ des Parteichefs. Seit Tagen husten in Kiel die Flöhe, die Staatsanwaltschaft habe plötzlich belastendes Material gegen die CDU und ihren Vorsitzenden zutage gefördert.
Brüskiert fühlen sich viele bodenständige Konservative von dem Vorschlag für die Nachfolge des Chefs. So kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Peter Aniol, Henning stamme nicht aus Schleswig-Holstein. In der Tat ward der 51jährige Hennig seit seiner Schul- und Studienzeit nicht mehr im Norden gesehen. Die wenigsten kennen ihn – zwei gewichtige Minuspunkte im Norden. Der frühere Bundesgeschäftsführer der CDU in NRW hat bisher kaum von sich reden gemacht. Als es seinerzeit darum ging, den Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen, Kurt Biedenkopf, abzusägen, mischte sich Hennig ganz im Sinne Kohls ein. Der scheint vor allem darauf zu hoffen, daß der Sprecher der Landsmannschaft Preußen die gewichtige Wählergruppe der „Vertriebenen“ an die CDU binden kann.
Dem Kandidaten Kohls dürfte der Parteivorsitz sicher sein. Unmittelbar bevor die beiden Veteranen der Nord-CDU, die Ex –Regierungschefs Lemke und von Hassel, den Kandidaten Hennig öffentlich vorschlugen, wußte der über die Bonner Verhandlungen offenbar bestens informierte frühere Fraktionschef Klaus Kribben bereits: „Es wird niemand Vorsitzender von denen, die heute im Gespräch sind.“ Ernsthaft im Gespräch waren zuletzt nur noch zwei: Ex-Staatssekretär Würzbach und Landes-CDA-Vorsitzender Prof.Dall' Asta.
Würzbach, Favorit des kohlschwarzen Flügels, brachte sich mit seiner profilierungssüchtigen Gehorsamsverweigerung gegenüber Dienstchef Rupert Scholz nach dem Tieffliegerabsturz in Remscheid schon leicht ins Abseits. Mit dem Ermittlungsverfahren wegen des Telefonmitschnitts auf der Hardthöhe verlor Würzbach vollends die Mehrheitsfähigkeit. Die Liberalen der Nord-CDU dagegen bearbeiteten den stellvertretenen Vorsitzenden Dall' Asta. Sollte er wider Erwarten doch kandidieren, dann gilt seine Niederlage als sicher: Als Chef der Sozialausschüsse und Intellektueller mit Professorentitel hat er bei der konservativen Garde des norddeutschen Mittelmaßes keine Chance.
Hennig sagte in einem Interview des Deutschlandfunks, er habe sich nicht um das Amt des Landesvorsitzenden beworben, stehe aber „selbstverständlich für jedes Gespräch in Schleswig-Holstein zur Verfügung“. Gegen Stoltenberg hätte er in keinem Fall kandidiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen