: Tod und Auferstehung der FU
■ Euphorie und Pragmatismus: Wie erotisch ist der studentische Streikalltag?
Januar 1989: Mit dem Kongreß „UNiMUT - Alternativen zur Fremdbestimmung“ zeigt sich das zusammengestückelte, narbige Wesen zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Einem von oben diktierten Ultimatum wird der Kongreß entgegengesetzt. Als eine strategische Maßnahme soll er Kräfte mobilisieren, um dem drohenden Ansturm der Ordnungsmacht standhalten zu können. Doch er setzt auch einen qualitativen Einschnitt, er markiert den Übergang in eine neue Phase des Streiks. Er ist artiuculation im doppelten Sinn des Wortes Verlautbarung und Gelenk, das Vorher und Nachher verbindet. Und die handelnden Subjekte all dieser rätselhaften Vorgänge? Die Studenten und Studentinnen.
Ein Streik? Streik als Arbeitsverweigerung legt Produktionsmittel lahm und übt damit Druck aus. Für die Studenten ist Streik als Studienverweigerung ein Akt der Notwehr, der normale Universitätsbetrieb wird lahmgelegt. Ein Schnitt ins eigene Fleisch? Masochistische Schein -Verweigerung? Studenten zerstören „ihre“ Universität: den umfassenden Verblendungszusammenhang, der in dem Prinzip „Schein für Leistung“ und in der Ausbildung für das „richtige“ Leben danach („Wenn alles getan ist“) besteht. „Streik ist ein kollektiver Prozeß im permanenten Ausnahmezustand“ wurde während des Kongresses geäußert. Prozeß - und damit Zeit-, doch werden im Streik zuallererst Räume besetzt, die leeren toten Räumlichkeiten der FU in Besitz genommen. Alte Zeit- und Raumpläne werden ersetzt, die Räume besetzt als Lebens-, Arbeits- und Denkräume. Streik und Besetzung, Verweigerung und aktive Inbesitznahme treten in ein Spannungsverhältnis: Aus den besetzten Räumen heraus ergehen Forderungen nach außen.
Wir spielen ein Spiel
Zunächst jedoch ist die Besetzung der Universität nur ein symbolischer Akt; entsprechend die Reaktionen der Gegenseite: „Streikerlaubnis bis '88 - Prima Studenten!“ Wir haben also das rechte Erlaubte getan und den Raum besetzt, der uns eingeräumt wurde. Freiräume betreten - luftleer, nichts? - Die besetzten Räume, werden sie „enttabuisierte Räume“? Jetzt (noch) gehören sie uns, die Nullräume mit ihrer Oben-unten-Architektur der Unterwerfung, ihrer Vorne -hinten-Möblierung der Gehorsamkeit. Neue Räume auch im Kopf? Wir spielen ein Spiel.
Wir haben einen Schritt gemacht: hinein in die Nischen, die für uns bereit standen: Hereinspaziert! Die Vorzüge des Pluralismus live - Eintritt frei für bildungshungrige Studenten. - Natürlich haben wir bisher nach außen hin außer der Öffentlichkeit - nichts erreicht. Die lieberale Toleranz der Gegner ist nur Werbung ihrer Repressivität.
Die Universität: Ort des Widerstands - nicht sein Ziel. Nur ein Ort? Entscheidend bleibt: Die Besetzung ist dezentral, verteilt in Dahlem. Der Streik ist überall, die Angriffspunkte zu verstreut für die Räumung. Der Streik ist vernetzt: Zeitung, Telefon, Radio, Video, Computer - der Streik ist modern. Heterogen. Konsens ist sein Prinzip, mehr als nur Teil seiner Strategie. Eine dissente Kultur, richtungslos, aber nicht beliebig? Von allem etwas, wogegen die Gegenseite sich rüstet. Vor den Instituten der Mediziner wird uns von den Darstellern der Macht ein Zentrum der Konfrontation aufgezwungen. Hier wollen sie dem Streik mit dem Schlagstock das Rückgrat brechen. Wir spielen ein Spiel?
Der Schritt über die Grenze: Erotik
Insignien der Macht und ökonomisch relevante Räume müssen sie schützen, gewaltsam. Verpanzerung an den Stellen, an denen der symbolhafte Protest seinen Spielraum verläßt: Das einklagbare „Recht“ auf Praktika setzt die Gegenseite unter Druck. Sie zeigt ihr wahres Gesicht, das Nicht-Antlitz behelmter und maskierter Prügelknaben. Dahinter, schlicht und leer: das geheimnislose Geheimnis der Macht, an das wir nicht rühren sollen. Das Geheimnis soll unteilbar bleiben, ewig ganz. Die Forderung nach Teilhabe wird nicht erfüllt. Nur da, wo wir besetzte Räume erobern und durch Entsetzen aufrühren, können wir die Ruhe der Macht stören, die Nischen und Nester zerstören, die eine repressive Gesellschaft ach! - uns tolerant und jovial anbietet. Wir spielen ein Spiel: Wenn wir die Regeln nicht verletzen, bleiben wir Kinder. Ohne den erregenden Schritt über die Grenze: keine Erotik. Ohne zerstörerisches Verhalten gegen diese Hochschulpolitik: kein erotisches Verhältnis zur Universität, wie es Klaus Heinrich fordert. Devenir immortel et puis mourir! (Unsterblich werden und dann sterben.)
Ein Ausblick über den Nestrand in außeruniversitäre gesellschaftsrelevante Felder hieße Transformation jener augenscheinlichen Euphorie, die den Streik nicht nur begleitet, sondern trägt und durchdringt: euphorische Stimmung auf den VVs oder beim Empfang der italienischen, spanischen, griechischen etc. pp. Solidaritätsadressen - bei „studioso“ und „dramatica“ gibt es kein Halten mehr, das sind dann wir und wir sind viele: Heissa! Daß solche Freude auch die Freude an sich selbst bis in die Endlosschleife des Narzißmus hinein sein kann, ist eine Seite bloßer Euphorie, die gar nichts will und wollen kann, außer dem Spaß des Augenblicks; man findet sich halt „irgendwie“ ganz toll und engagiert, als wenn ein Spiegelbild mich anlacht.
Euphorie und Pragmatismus
Das ganz andere der Euphorie ist ihre Lust und Wollust, die den Rhythmus bis ins Detail beeinflußt. Nicht nur ein begeisterndes Strohfeuer, zeichnet sich solche studentische Euphorie gerade dadurch aus, daß sie an einen schier unerschütterlichen Pragmatismus gebunden ist. In den VVs und autonomen Seminaren wird immer wieder auf kurze Redezeiten, knappe Infos Wert gelegt. Konkrete Aktionen und Konzepte werden gefordert.
In dieser Mischung, diesem Spannungsverhältnis von Euphorie und Pragmatismus wird die Wissenschaft der befreiten Uni zur fröhlichen. Wer nun aber glaubte, daß in der Weihnachtsstille auch diese Phänomene be-, das heißt immer auch entsinnlicht wurden, sah sich getäuscht. Daß '89 der Streik erst losging, darüber waren sich zumindest die Aktivistinnen im Klaren, die den Studentenkongreß chaotisch gut organisierten. „Alternativen zur Fremdbestimmung“ - in den begleitenden Seminaren sollte sich zeigen, daß keine Bestimmung ohne Fremde möglich ist, daß nirgends Nullpunkt sein könnte, nicht Nichts ist und keinereine Wissenschaft.
Bannen und Bahnen
Forderungen nach einer endlich inhaltlichen Diskussion mußten aber sinnlos bleiben, da sich der klassische Gegensatz von Form und Inhalt nicht auf den Streik anwenden läßt. Es hieße geradezu, den Streik verkennen, wenn in ihm nicht immer auch jede Aktion als articulation eines fließenden Verhältnisses zwischen Euphorie und Pragmatismus gesehen würde. Im Streitgespräch und Wettkmapf, im „Agon“ (Foucault) verläuft auch der studentische Diskurs an diesem Spannungsverhältnis entlang, um Normen und Begriffe im Gebrauch zu verschieben. Dabei können Reformmodelle dynamisiert werden, diesseits eines hohlen revolutionären Pathos‘. Bloße Inhalte dagegen sind „Inhalte“, Innehalten, unberührt von der Weise ihres Ausdrucks, also tot. Es ist für die Studenten notwendig, Modelle zu entwerfen, auf die sich gleichzeitig zubewegt werden muß, um sie zu bannen und zu bahnen. Zum Beispiel die Forderung des „Inhaltsrats“ nach Mitbestimmung wird während des Streiks in der Selbstbestimmung entwickelt. Eine Bahnung, die auch die Gefahr in sich birgt, aus dem Spannungsbogen zwischen Euphorie und Pragmatismus auszuscheren und dieses Kraftfeld zu erledigen.
Dagegen setzt der Forderungskatalog des Inhaltsrates ganz pragmatisch eine Norm als Gegenmacht und Widerstand, deren Minimalkonsens amn Beispiel Mitbestimmung von den widerstreitenden Interessen der einzelnen Institute getragen wird. Gleichzeitig überschreiten sie im Streikzustand und in kritisch-reflexiver Selbstbestimmung diesen Konsens. Auf Mitbestimmung zurückzukommen nach irgendeinem Ende dieses Streiks, wäre dann kein Rückschritt, wenn sie als Sprungbrett ganz neuer, von hier noch gar nicht zu bestimmender Perspektiven erkannt und nur im Losesten gebahnt wird.
Entnervende Blockaden
War der Kongreß der Versuch, den qualitativen Schritt nach vorn zu wagen, so diktieren jetzt doch die Zeitpläne von Senat und Unileitung eine neue Bedingung des Streiks, was ins studentische Verhältnis zur Euphorie und Pragmatismus eingreift - durch die erzwungene, ganz entnervende Notwendigkeit der stundenlangen Blockaden. Dies hält die Studenten fern von dem Ort, an dem ihr ambivalentes und erotisches Verhältnis zu der befreiten Uni konkret wird, den autonomen Seminaren. Damit rückt es sie wieder in die Nähe jener Studenten, deren wichtigstes Kennzeichen nach dem französischen Soziologen Bourdieu es sei, „so zu tun als ob“. Der Student schreibt Arbeiten, als ob er Wissenschaftler wäre; Arbeiten, die realiter nicht in den Gebrauchsprozeß veröffentlichter Texte einfließen, stattdessen ihre Scheinrealität durch den Schein gewinnen.
Als Wunschort - libidinös besetzter Ort gesellschaftlicher Utopien - ist die Universität seit langem barscheltot. Ohne Ort und mit einer Arbeit, deren Unwirklichkeit, so sie karrieremäßig nicht kaschiert werden muß, in den Geisteswissenschaften wohl am stärksten spürbar ist, ist ein studentisches Bewußtsein vielleicht nur als unwahrhaftes denkbar.
Die Wirklichkeit, Sein-Wollen als Identitätsfindung, findet draußen statt. Der gute Student ist kein Student, er ist autonom, antifa, schwul, unglücklich verliebt oder Frau. Jetzt ist der gleichgültige Raum, die Uni, besetzt, das heißt, libidinös neu besetzt. Der Student versteht, hat Heimrecht. Er nimmt es wahr in autonomen Seminaren. Mögen andere „Inhalte“ - Faschismusforschung, feministische Wissenschaft etc. - auch mit an der Spitze des Forderungskataloges stehen, so scheinen doch gerade erst neue Formen den Widerstand zu stärken. Veränderte Arbeitsbedingungen - eine besetzte Uni, draußen die Bullen, morgens Blockieren - verleihen den Diskursen eine Verbindlichkeit, die diesseits ihrer Thematik liegt. Seminare - sei es über Foucaults Machttheorie, sei es über den „Ekel am Text“ - sogar Seminare, die ihr „Thema verfehlen“, sind nicht weniger produktiv als andere, in denen Studienanfänger Adorno-Spezialisten zeigen, daß alles falsch gedacht ist. Auch dieses.
Autonomes Seminar Dissenspraxis, Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft: Andreas Frank, Detlef Kuhlbrodt, Hans-Joachim Neubauer, Christiane Seiler
(Die AutorInnen scheinen in den feministischen Seminaren nichts gelernt zu haben, sonst hätten sie Frauen im Text nicht einfach sprachlich unberücksichtigt gelassen! Anm. d. Korr.-in)
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