: Die schwarze Geschichte von Mexikos Pemex
Der staatliche Erdölkonzern Pemex ist ein Staat im Staat / Direktion und Gewerkschaft sind gleichermaßen korrupt, aber auch die Arbeiter profitieren / Nun versucht der neue Präsident Carlos Salinas de Gortari die Gewerkschaftsmacht bei Pemex zu brechen ■ Aus Mexiko Jörg Hafkemeyer
Der Tag, an dem ihm alle Sünden vergeben wurden, ist der 4.Juli 1984. Mexikos damaliger Präsident, Miguel de la Madrid Hurtado, seit knapp zwei Jahren im Amt, umarmt an jenem Tag einen Mann, der nach seinen Worten ein Beispiel für Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit ist: Den 62jährigen Joaquin Hernandez Galicia, genannt „La Quina“, den allmächtigen Chef der überaus einflußreichen und korrupten Gewerkschaft der Erdölarbeiter im Staatskonzern Pemex.
25 Jahre habe dieser Mann, sagt de la Madrid an jenem 4.Juli 1984 in seiner Würdigung, keine Opfer und Anstrengungen gescheut, um die Lage der Erdölarbeiter zu verbessern. Als der Präsident dann „La Quina“ umarmt, ist der Korruption und Machtbesessenheit ein Denkmal gesetzt. Am Dienstag nun wurde „La Quina“ unter Einsatz eines ganzen Armeebataillons in der Hafenstadt Tampico verhaftet (s.taz von gestern).
Der 18.März 1938 ist ein Meilenstein in der Geschichte Mexikos. An diesem wird die mexikanische Erdölindustrie verstaatlicht. Präsident LAzaro Cardenas erklärt per Dekret die Enteignung der ausländischen Konzerne. Der Industriezweig steht vor einem akuten Kollaps. Nationale Fachkräfte fehlen. Lediglich der Enthusiasmus und die Einsatzbereitschaft der Arbeiter retten die Förderstätten und Raffinerien, das Transport- und Verteilungssystem vor dem Zusammenbruch. Seit jener Zeit aber schleppt Pemex seine schwarze Gechichte mit sich herum, in der bei aller technologischen Entwicklung, die Mexiko an die vierte Stelle der erdölproduzierenden Staaten gebracht hat, nichts fehlt: Regierungsmitglieder, Gewerkschaftsfunktionäre und Direktoren sind in die zahlreichen Skandale und Korruptionsaffären verwickelt. Massive Umweltverschmutzung und eine bestürzende Unfallstatistik gehören ebenso dazu wie jenes nahezu undurchdringliche Macht- und Interessengeflecht, das sich im Dreieck Präsident - Pemex -Direktor - und Gewerkschaftschef abspielt, und immer mehr blicken immer weniger durch.
Im Laufe der 50er Jahre dann haben sich jene Macht- und Interessensstrukturen im Staatskonzern Pemex entwickelt, die jetzt das Ziel der Aktionen des neuen 41 Jahre alten Präsidenten Carlos Salinas de Gortari sind. Die Warenbetrügereien und der Verkauf oder die Vermietung von Arbeitsplätzen durch die Gewerkschaft begannen. Getürkte Verträge für Arbeiter wurden abgeschlossen, die niemals ausgeführt wurden, treuhänderisch zu verwaltende Staatsgelder wurden zu privaten Zwecken abgezweigt. In jenen Jahren tauchte erstmals in den Geschäftsbüchern von Pemex ein Name auf, der Jahrezehnte später geradezu ein Symbol für Korruption und Schlendrian im Konzern werden sollte: Jorge Diaz Serrano. Doch lange bevor der die Position als Generaldirektor im Erölstaat Pemex übernimmt, gelangt im Jahre 1962 ein Mann an die Spitze der Erdölarbeitergewerkschaft, der wie wohl kein Zweiter das Innenleben der Korruption in der mexikanischen Erdölindustrie kennt und beherrscht: Joaquin Hernandez Galicia, bald „La Quina“ genannt, der sogleich knallhart die Regierung, besonders aber die Geschäftsleitung unter Beschuß nimmt. Der Staatskonzern, der Anfang der 60er Jahre völlig aus dem Rhythmus gekommen ist und rote Zahlen schreibt, soll zu jenem Zeitpunkt als „La Quina“ die Gewerkschaftsführung übernimmt, wieder auf gesunde wirtschaftliche Füße gestellt werden, was ein großes Reinemachen, eine Beseitigung der illegalen Pfründe und eines Teils der Korruption voraussetzt. Geschäftsleitug wie Politiker scheitern an La Quina und seiner Gewerkschaft. Pemex steht praktisch mit gefesselten Händen da. Ein Generaldirektor tritt frustriert zurück. La Quina bleibt, konsolidiert seine Macht. Mehrere Präsidenten kommen und gehen. Alle scheitern an Macht und Einfluß von La Quina. Der hat mit seiner Erdölarbeiter -Gewerkschaft, der stärksten im Dachverband CTM, der seinerseits als Massenorganisation der Regierungspartei PRI gilt, unterdessen dafür gesorgt, daß niemand besser bezahlt wird als die Arbeiter in der Ölindustrie: die Gesundheitsfürsorge ist kostenfrei, die Sozialleistungen liegen deutlich über dem mittleren Niveau. Die Gewerkschaft baut eigene Wohnsiedlungen und Supermärkte, Schulen und Erziehungseinrichtungen.
Als Luis Echeverria 1970 die Präsidentschaft antritt, sieht er sich bereits einem gewerkschaftlichen Machtimperium gegenüber, welches innerhalb der Pemex auf keine ernsthafte Opposition mehr stößt. Wie fast alle Präsidenten in der Geschichte Mexikos der zurückliegenden 20 Jahre hatte Luis Echeverria vor seiner Wahl öffentlich versprochen, gegen die Korruption drastisch vorzugehen und ihr ein Ende zu bereiten. Daraus wurde nicht nur nichts, die Situation im Erdölstaat wurde noch untragbarer und erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt während der Amtszeit von Echeverrias Nachfolger Jose Lopez Portillo (1976-1982). Neuer Pemex -Direktor wurde nun Diaz Serrano. Unter Diaz Serrano und La Quina bemächtigte sich Pemex der Bundesstaaten Campeche, Tabasco und Chaipas und baute aus: Transportsysteme und Bohrtürme und alles, was in den drei erdölreichen Gebieten dazu gehörte, um Erdöl in großen Mengen zu fördern, zu verkaufen und daran zu verdienen. 50 Prozent aller abgeschlossenen Pemex-Verträge kontrollierte die Gewerkschaft, und entsprechend sahnte sie ab. Und von allen Importen, die Pemex zum Ausbau oder zur Betreibung seiner Unternehmungen benötigte, hatte sich die Gewerkschaft einen Verdienstanteil von fünf Prozent gesetzlich garantieren lassen. An allem wurde verdient: Am Ölschmuggel in die USA wie am Bau des höchsten Wolkenkratzers in Lateinamerika, dem Pemex-Verwaltungssitz. Brenzlig wurde es für den Direktor Jorge Diaz Serrano, als Politiker aus den Oppositionsparteien nachwiesen, daß 20 Prozent der Pemex -Verkäufe überhaupt nicht in den Geschäftsberichten auftauchten. Mit der 1981 beginnenden Ölkrise stürzte auch Diaz Serrano, nicht aber La Quina. Mexikos Einnahmen sanken. Der Erdölreichtum wurde zu einem späten Fluch und Diaz Serrano, zunächst Botschafter in Moskau, dann Senator und unter der Regierung de la Madrids (1982-1988) wegen Bestechung angeklagt, verurteilt und in ein Luxusgefängnis eingewiesen, aus dem er 1988 entlassen wurde. Vorzeitig, versteht sich. Auch de la Madrid hatte eine Säuberung des Pemex-Konzerns versprochen, doch auch aus dieser Ankündigung ist nichts geworden. Diaz Serranos Nachfolger Mario Ramon Beteta, der am Ende von de la Madrids Amtszeit zurücktrat, führte das Unternehmen nicht weniger betrügerisch. Doch La Quina und seine machtvolle Gewerkschaft überstanden auch ihn, wie sie seit 1962 immerhin vier Präsidenten überstanden hatten.
Nun versucht Carlos Salinas de Gortari, der im Dezember die Präsidentschaft angetreten hat, diese Macht im Erdölstaat zu brechen. La Quina, der am Dienstag verhaftet wurde, hatte sich bereits im Wahlkampf zu seinem Gegner erklärt und obendrein auch noch das linksnationalistische Oppositionsbündnis FDN unterstützt. Dessen unumstrittener Führer Cuauhtemoc Cardenas ist zur Zeit Mexikos populärster Politiker. Er ist der Sohn von Lazaro Cardenas, jenes Präsidenten, der am 18.März 1938 die mexikanische Erdölindustrie verstaatlichte.
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