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DAS SCHIFF ALS SKELETT

■ „Tristan und Isolde“ in der Ost-Berliner Staatsoper

Auf die Frage, wie Wagners Musik zugehört werden solle, antwortete Ernst Bloch: „bescheiden“, die „gleichmäßig dicke Tunke, mit der Wagner oft angerichtet wird“, müsse ohnehin weg. Heinz Fricke, der die letzte Premiere im gerade zu Ende gegangenen Jahr an der Lindenoper musikalisch leitete, hat vielleicht ähnlich gedacht. Nur, „Tristan und Isolde“ ist ihm entschieden zu nüchtern geraten, zu sehr kalkuliert scheint die Ekstase, der Musik fehlt es an Glut. „Überall der Schrei, die Klage“ - das vermochte das Orchesterspiel nicht recht zu vermitteln. Die Transparenz der überaus fulminanten Musik Wagners mag vermutlich das interpretatorische Ziel gewesen sein, und der „wogende Schwall“ blieb in der Tat betont schlank, doch wirkte das alles ein wenig zu oberflächlich. Jedenfalls wollte das „Nervengift“ Wagnerischer Musik nicht recht wirksam werden.

Nüchtern bis oberflächlich blieb leider auch die szenische Ausdeutung, obgleich es doch vielversprechend begann: Isolde sitzt, nach Sühne dürstend, kauernd auf den Holzplanken, hinter ihr schaut man das schmachvolle Brautkleid. Um sie herum ist das „zeltartige Gemach“ - so groß wie eine Halle. Dieses Schiff nimmt die ganze Bühne ein. In höchster Erregung wird Isolde das weiße Zelttuch herunterreißen. Ein schwarzer Schiffsrumpf wird sichtbar, darüber ein schwarzes Gerippe. Das Schiff beherrscht bis zum Ende die Bühne. Es wird im zweiten Aufzug zum burgähnlichen Gebilde, dessen seitliche Wände sich wie Zugbrücken öffnen und von dem im dritten Aufzug dann nur noch ein ausgebranntes Skelett übrigbleibt. Peter Heilein hat die Bühnenausstattung entworfen. Zur Kargheit der Bühne passen die zumeist statuarisch gruppierten Sänger. Unsäglichen Kitsch mutet uns Peter Heilein im zweiten Aufzug zu, wenn er Unmengen roten Stoffs wie Schaufensterdekoration drapiert, rotes Sternengeflimmer Weltall andeutet und dazu ein rotglühender Mond, der dem letzten im Publikum anzeigt, was dieses „Sink hernieder, Nacht der Liebe“ bedeutet.

Die Regie Erhard Fischers will eigentlich nichts mehr als ein liebendes Paar zeigen, das allein an den Umständen scheitert. „Tristan und Isolde“ reduziert er auf eine Romanze mit tragischem Ausgang. Aber, wo zeigt die Inszenierung die Dialektik äußerer und innerer Realität, wo wird die Metaphorik der Dichtung erfahr-, erlebbar?

Daß dieser Abend dennoch ein Erlebnis wurde, war allein Eva -Maria Bundschuh zu verdanken. Zwar gerät sie mit dieser Partie der Isolde an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten, aber bei ihr ist alles Ausdruck, sie durchlebt glaubhaft ihre Rolle auf der Bühne. Ein expressives wie rückhaltloses Singen ist ihr eigen. Und sie erfüllte schließlich mit ihrem strahlenden Sopran jene Vokalmelodie, in der Wagners Dichtung zur Musik „erlöst“ ist. Immerhin hat Heikki Siukola durch ökonomischen Einsatz seiner stimmlichen Mittel die Partie des Tristan bewältigt, doch blieb dieser hünenhafte finnische Tenor von allzu blasser Ausstrahlung, und in Situationen emotioneller Spannung wirkte er eher unbeholfen.

Trotzdem, gefeiert wurden am Premierenabend alle.

ec

In den nächsten beiden Vorstellungen der Staatsoper singt Ingrid Haubold am 15.Januar und Eva-Maria Bundschuh am 5.Februar die Isolde.

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