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„Der Berliner Fußball ist nicht mehr zu retten“

■ Rückblicke, Ausblicke, Aussichten, Ansichten: Blau-Weiß-Trainer Hoss nahm im taz-Gespräch kein Blatt vor dem Mund

Bernd Hoss (49), ein gebürtiger Schwabe, ist seit fast sieben Jahren ein exzellenter Kenner der Berliner Fußballszene. Zwei Jahre trainierte er Tennis Borussia, seit fünf Jahren steht er bei Blau-Weiß 90 unter Vertrag. Beide Clubs wollen sich demnächst zusammenschließen - Hoss ist kein Freund dieses Plans. Mit Blau-Weiß erlebte Hoss so ziemlich alles, was der Fußball bietet: Aufstiege, Abstiege, Ausverkäufe, Rückschläge, aber auch bemerkenswerte Erfolge. Beispielsweise das „Experiment Bundesliga“, das so jäh scheitern sollte. Zur Zeit steht er mit seinem Team wieder ganz oben, ist Tabellenführer der zweiten Liga und rüttelt mit Kraft am Tor des Oberhauses. Dennoch: Am Ende dieser Saison will Hoss seinen Club und diese Stadt verlassen. Wir sprachen mit ihm über die Gründe.

taz: Herr Hoss, Sie haben angekündigt, daß Sie am Ende der Saison Berlin verlassen werden. War dieser Entschluß im Hinblick auf die Fusion zwischen Blau-Weiß und Tennis Borussia und die versprochenen Gelder, nicht etwas voreilig?

Hoss: Beim Thema Fusion sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Darüber hatte ich nicht zu entscheiden. Dazu kann ich nur meine Privatmeinung abgeben.

Auch die ist interessant...

Ich kann nicht sagen, daß ich ein großer Freund der Fusion bin. Und das hat drei Gründe. Erstens: Sportlich bedeutet ein Zusammenschluß mit TeBe keine Verbesserung. Die haben keine Spieler, die mich interessieren könnten. Auch bei der Nachwuchsarbeit liegt es bei denen im argen. Zweitens: Diese Entscheidung hat sehr viel Unruhe in meine Mannschaft gebracht. Neue Spieler von außen bedeuten für manchen die Sorge, daß der Vertrag nicht verlängert werden könnte und Arbeitslosigkeit droht. Solche Gedanken wirken sich immer negativ auf die Leistung aus. Noch wichtiger aber ist der dritte Grund: Auch wenn sich alle erhoffen, daß die Wirschaft durch den Zusammenschluß Geld locker machen wird, ich glaube nicht daran.

Warum nicht, angeblich sind doch Versprechungen gemacht worden.

An Geld glaube ich erst dann, wenn es vor mir auf dem Tisch liegt. Außerdem: TeBe gilt als Verein der besseren Gesellschaft, als Club mit den guten Beziehungen. Wenn das tatsächlich der Fall wäre, warum mußte sich dann TeBe innerhalb von sechs Jahren - das ist wohl einmalig in der deutschen Fußballandschaft - zwei Mal entschulden. Heute hat Tebe immer noch eine Altlast von über 600.000 Mark zu tragen. Von guten Beziehungen zur Wirtschaft, zu Sponsoren, kann da wohl keine Rede sein. Und was das Berliner Kapital angeht, da habe ich selbst schon die schlechtesten Erfahrungen machen müssen.

Schlechte Erfahrungen? Können Sie das konkretisieren?

Ach, da könnte ich viel erzählen. Da wurde mir, als wir uns in der zweiten Liga etabliert hatten und plötzlich sogar erstklassig wurden, von ganz bestimmter Stelle, die ich hier nicht weiter kennzeichnen möchte, schlichtweg mitgeteilt, für uns gebe es kein Geld, und man wolle Blau-Weiß kaputtmachen. Daß der Berliner Fußball nicht mehr unterstützt wird, liegt wohl auch an den schlechten Erfahrungen, die mit einem anderen Club gemacht wurden.

Sie meinen Hertha BSC. Wäre eine Konzentration, eine Zusammenarbeit zwischen Blau-Weiß, Hertha und TeBe nicht fruchtbarer?

Hertha hat immer gesagt, sie wollen ihren Weg allein gehen. Das ist eine Aussage, die wir akzeptieren müssen. Aber Hand aufs Herz: Auch mit Hertha würden wir hier nichts auf die Beine stellen können. Für mich ist der Berliner Fußball nicht mehr zu retten. Wie denn auch? Da reden immer alle, daß Talente aus Westdeutschland weggekauft werden, und das sei der Grund allen Übels. Das stimmt so doch nicht. Wenn wir Geld haben und oben stehen, werden von den Fans und den Medien doch immer spektakuläre Neuverpflichtungen gefordert. Dann plötzlich ist vom Nachwuchs keine Rede mehr. Der wahre Grund, warum Berlin seine Fußballtalente nicht halten kann, ist die geringe Auswahl an Clubs.

Was meinen Sie damit?

Wenn es beispielsweise in der zweiten Liga drei Clubs gäbe, die attraktive Angebote machen könnten, das wäre ein Fortschritt. In Berlin ist aber nicht der freie Markt gefragt, sondern alle schreien immer nach der Nr.1. Wir sind nun seit Jahren die Nr.1. Genützt hat uns das gar nichts. Im Gegenteil.

Und der Ausweg?

Wir haben uns schließlich einfach gesagt, damit müssen wir leben. Und eins kann ich mit Sicherheit sagen: Die Spieler, der Trainer und das Präsidium haben immer zusammengehalten. Auch in schlimmen Zeiten. Da haben wir auch schon mal über längere Zeit auf unser Gehalt verzichtet. Das Resultat ist trotzdem: jedes Jahr kämpfen wir beim DFB um unsere Lizenz und müssen unsere besten Spieler verkaufen. Wenn ich an Riedle (heute in Diensten von Werder Bremen, d.Red.) denke, wird mir noch immer ganz anders. Bestimmt ist tatsächlich für Blau-Weiß die einzige Chance die Bundesliga. Wir finanzieren uns ja fast ausschließlich durch die Zuschauereinnahmen. Und die Fans kommen dann nicht nur wegen uns, sondern vor allem wegen der attraktiven Gegner. Bayern München, Werder Bremen, Stuttgart, wer würde die nicht gerne im Olympiastadion sehen?

Neben dem allgemeinen Frust: Hatte die Entscheidung wegzugehen nicht auch etwas damit zu tun, daß Sie nach fünf Jahren Arbeit bei Blau-Weiß Schwierigkeiten haben, die Mannschaft zu motivieren?

Bei mir ist das nicht der Fall. Sehen Sie, das Verhältnis einer Fußballmannschaft zu ihrem Trainer und umgekehrt ist vergleichbar mit einer Ehe. Entweder sie klappt, oder sie klappt nicht. Man hängt aneinander. Man kann den Partner nicht so einfach auswechseln, so als wäre nichts passiert. Ich trenne mich nicht von Blau-Weiß, Gott behüte, ich trenne mich von dieser Stadt und ihren Verhältnissen!

Zum Sportlichen: Wie gut sind denn nun eigentlich die Chancen, tatsächlich aufzusteigen?

Du liebe Güte! Ich bin doch kein Prophet. Ich kann nur sagen: Wir bemühen uns weiter, an der Tabellenspitze zu bleiben. Die Mannschaft ist eine geschlossene Einheit, den Spielern macht es Spaß, miteinander zu arbeiten, wir sind eine verschworene Truppe. Was alles in der Rückrunde noch passieren kann, darauf möchte ich hier gar nicht spekulieren. Der Spruch ist zwar nicht neu: Erst am Ende wird abgerechnet. Mit dem bisher Geleisteten muß und kann ich im großen und ganzen eigentlich sehr zufrieden sein.

Stehen für die Rückrunde noch personelle Veränderungen an?

Das habe nicht ich zu entscheiden. Da müssen Sie das Präsidium nach unseren finanziellen Möglichkeiten fragen. Wenn Geld da ist, vielleicht. Ein Stürmer, daraus mache ich keinen Hehl, stände uns gut zu Gesicht. Aber schauen Sie doch mal in die Transferliste. Da stehen doch nur Spieler, die nicht zu gebrauchen sind. Dieses Problem haben nicht nur wir. Ich gehe davon aus, daß wir weiter unter uns bleiben und kontinuierlich weiterarbeiten.

Zur Zeit spielen Sie ja bei vielen Hallenturnieren...

Das ist auch gar keine schlechte Sache. Aber nur wenn die Verletzungsgefahr weiter abgebaut wird. Nehmen wir zum Beispiel nächste Woche hier in Berlin. Da wird wieder mit fünf Feldspielern gespielt. Ich finde, das sind zu viele. Einer weniger wäre besser. Da tummeln sich nicht so viele auf dem Feld, und es fallen, deshalb kommen ja die Fans, vor allem mehr Tore. Auch - und das ist schön anzusehen - das Kombinationsspiel müßte mehr gepflegt werden. Bei vier Feldspielern kann keine Mannschaft mauern. Aber auch dies ist nur meine Privatmeinung.

Zum Schluß: Quält Sie nicht der Gedanke, Sie steigen mit Blau-Weiß in die Bundesliga auf und verlassen ausgerechnet in diesem Moment den Verein?

Für einen Trainer gibt es doch nichts Schöneres. Einen besseren Abgang kann ich mir gar nicht vorstellen. Außerdem gibt es ja immerhin die Möglichkeit, daß Blau-Weiß aufsteigt und ich bei einem anderen Bundesliga-Club unterschreibe. Dann wären wir beide drin. Aber über Angebote möchte ich nicht sprechen, das wäre viel zu früh.

Interview: Holger Schacht

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