: Am Himmel ist die Hölle los
■ Nicht zu bewältigender Zuwachs an Flügen / 10.253 Stunden Warteschleifen-Flüge allein bei der Lufthansa / Luft-Verwalter setzen auf mehr Flughäfen / Liberalisierung als Hintergrund des Chaos / Günstige Abflugzeiten müßten eigentlich 30 Millionen Mark kosten
Frankfurt (dpa/taz) - 1988 war das Jahr großer Flugzeugkatastrophen. Wirft man einen Blick auf die Prognosen des Luftverkehrs im neuen Jahr, so könnte manchem Angst und Bange werden, daß es noch dicker von oben kommt. Sieht man bald den Himmel vor lauter Flugzeugen nicht mehr? Die Liberalisierung des Luftverkehrs gestattet es jedenfalls, daß immer mehr Fluggesellschaften immer mehr Linien bedienen. Die Folge: Der Konkurrenzkampf wird härter, die Preise sinken tendenziell, immer mehr Menschen wollen über den Wolken reisen. Einen Kollaps der Luftfahrt schließt die Fachwelt zwar aus, für die Flugsicherung, aber auch für die Fluggäste werden die Probleme jedoch dramatisch: Verspätungen, geplatzte Anschlüsse, stundenlange Warteschleifen am Himmel - all das geht jetzt erst richtig los. Und wenn auch immer mehr Fluggesellschaften grundsätzlich das Recht zum Abheben erhalten, so werden sie bei der Vergabe der raren Flugtermine zu attraktiven Zeiten doch wieder gegenüber den alteingesessenen Unternehmen benachteiligt.
Prognosen gehen davon aus, daß sich der Luftverkehr auf der Basis des Jahres 1985 weltweit bis zum Jahr 2000 verdoppelt. Für 1989 geht die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) von einem Passagierzuwachs in der Bundesrepublik von rund fünf Prozent aus; 1988 wurden 68 Millionen Fluggäste gezählt, ein Plus von sieben Prozent. Engpässe mit zum Teil „unzumutbaren Verspätungen“ gab es vor allem an den Flughäfen in Frankfurt, München und Düsseldorf. Allein die Jets der Lufthansa kreisten im abgelaufenen Jahr 10.253 Stunden oder 427 Tage wegen überfüllter Airports in Warteschleifen, gegenüber 1987 fast eine Verdoppelung. Die daraus resultierenden fianziellen Belastungen aller Verkehrsunternehmen in der Bundesrepublik dürften bei einer Viertel Milliarde Mark liegen.
Claus Ulrich, Fluplankoordinator der Bundesrepublik Deutschland, bringt die Situation auf den Punkt: „Wir verwalten den Mangel.“ Ulrich koordiniert Flugpläne, indem er den Fluggesellschaften die Start- und Landezeiten (Slots) an den deutschen Verkehrsflughäfen zuteilt. Die Nachfrage ist meist höher als die Kapazität, Grenzen machen sich sowohl am Boden als auch in der Luft bemerkbar. In Frankfurt überstieg die Slot-Nachfrage für den kommenden Sommerflugplan mit plus 15 Prozent das koordinierte „Angebot“ um drei Prozent, in Düsseldorf konnten zwei Prozent der Anträge nicht berücksichtigt werden - bei einem geplanten Zuwachs von 14 Prozent.
In München waren zum Sommerflugplan 14 Prozent mehr Flüge beantragt worden, nur zwei Prozent konnte Ulrich („Ich muß gegenüber allen Gesellschaften absolut neutral sein“) akzeptieren. „Dort sieht es derzeit ganz düster aus, erst der neue Flughafen München 2 wird Entlastung bringen“, sagt er. Donnerstage sind in Riem „eine einzige Verkehrsspitze“ von morgens früh bis spät in den Abend. „Gesellschaften haben einen Slot um 10 Uhr angefragt und einen für 15 Uhr erhalten - und sie akzeptieren das, um einen Fuß in der Tür zu haben“, erzählt Ulrich.
Die „Slot-Zeiten sind“ - so seine Erfahrung - „in Europa ein Wirtschaftsgut geworden“, und das, obwohl für sie „kein Geld bezahlt wird“ - noch nicht. Es sei einmal ausgerechnet worden, daß ein „guter Slot in London-Heathrow pro Jahr 30 Millionen Mark kosten müßte“. Vergeben werden sie jedenfalls nach „offenen und nachvollziehbaren Grundsätzen“: an erster Stelle stehen die sogenannten Großvaterrechte. Wer einen Slot hat, der hat ihn. Neue Zeiten teilt Ulrich nach der Regelmäßigkeit der beantragten Flüge zu. Tägliche Verbindungen werden höher bewertet als weniger regelmäßige.
Der Flugplankoordinator hält nichts von anderen „Denkmodellen“, die bei der Zuteilung der Slots Wertigkeiten wie Linien- oder Charterflug, Fracht- oder Passagierflug, Home- oder Fremdcarrier oder die Flugzeuggröße zugrunde legen wollen. „Das jetzige Modell hat den Vorzug, daß es funktioniert“. Newcomer freilich, das sieht auch Ulrich, haben dabei „erhebliche Hürden zu überwinden“. Denn die erhalten häufig unattraktive Zeiten zugewiesen - ohne direkten Anschluß zu Weiterflügen beispielsweise.
Ein Lied von diesen Schwierigkeiten kann ein Neuling wie die Frankfurter Aero Lloyd singen. Seit Ende Oktober innerdeutsch als Konkurrent der Lufthansa auf Linie, hat die Gesellschaft nach Aussage von Geschäftsführer Walter Schneider hauptsächlich Probleme mit den Slots. „Wir müssen uns allmählich an die Flugplanzeiten rantasten, die wir gerne hätten“. Anders als große Airlines kann der Newcomer bei Bedarf Zeiten nicht aus dem eigenen Slot-Vorrat tauschen. Aero Lloyd befliegt vier Inlandsstrecken, zu Tarifen, die zehn bis 15 Prozent unter denen der Lufthansa liegen.
Bereits im Juli wollen die bislang im Chartergeschäft engagierten Hessen auch grenzüberschreitenden Linienverkehr anbieten - bis zu 20 Prozent billiger als die Konkurrenz: Düsseldorf - Gatwick, München - Gatwick, Hamburg - Paris, München - Paris, Frankfurt- Paris sowie Düsseldorf - Zürich. Mit Ausnahme der Zürich-Verbindung ist Schneider davon überzeugt, im Juli international auf Strecke gehen zu können. Derzeit operiert Aero Lloyd mit einer Auslastung von 20 Prozent, bei „rund 30 Prozent haben wir Kostendeckung“. Zum Frühsommer will Schneider soweit sein; es gebe „keinen Grund zum Pessimismus“.
Optimistisch auch der zweite Neuling, die German Wings, die am 3. April zum Jungfern-Linienflug abhebt und bei der die Gebrüder Burda mit einer Kapitalbeteiligung von 40 Prozent mit am Steuerknüppel sitzen. Von München aus fliegt German Wings nach Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt und Köln. Daneben sollen die vier nagelneuen MD-83 McDonnell Douglas von German Wings auch München und Köln mit Paris, Hamburg mit Kopenhagen und Düsseldorf mit Istanbul verbinden.
„Die Slots haben wir, aber mit gewissen Abstrichen“, sagt Geschäftsführer Peter Kimmel. Um die grenzüberschreitenden Verkehrsrechte werde „noch gewürfelt“. Anders als Billigflieger Aero Lloyd wollen die Münchener der Lufthansa mit einem „hochwertigen Produkt“ Kunden abspenstig machen. Zu LH-Tarifen wird German Wings besseren Komfort und Service bieten, noch über demjenigen der Business-Class. Die MD-83 sind nicht wie üblich mit 172 Sitzen, sondern nur mit 112 ausgestattet.
Über den Wolken wird es aber nicht nur wegen dieser beiden Neulinge eng. Überall in Europa entstanden und entstehen neue Airlines, die vom größer werdenden Kuchen auch ein Stück abhaben wollen. Allein in Spanien sind seit 1986 als Folge der sich anbahnenden Liberalisierung im Luftverkehr nach den Worten von Flugplaner Ulrich zwölf neue Fluggesellschaften gegründet worden, darunter auch die LH -Tochter Viva. In der Türkei hoben bislang drei Neue ab, von denen „einer aber schon wieder pleite ist“.
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