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Ein Streik mit Aha-Erlebnis für den Chef

Seit drei Monaten kämpfen 20 Beschäftigte eines Sägewerks in Südniedersachsen um einen Tarifvertrag / Für den Unternehmer ist der Arbeitskampf willkommener Anlaß, seinen Betrieb zu rationalisieren / Selbst Familien zerstritten  ■  Aus Göttingen Susanne Brahms

Gerade drei Streikende stehen im Nieselregen vor der rollenden Streikzentrale, einem gelben Planwagen, und schlagen sich frierend die Arme um die Schultern. Im Hintergrund liegen dunkel und still die flachen Gebäude der „Holzfabrik Mackensen AMO“, die mit heute 31 MitarbeiterInnen Türen, Trennwände und Tischlerplatten herstellt. Bis auf den dampfenden Schlot der Heizungsanlage ist von der Fabrik nicht viel zu sehen. Direkt hinter der Einfahrt sind riesige Holzpaletten gestapelt - der Blickkontakt zwischen Streikenden und Streikbrechern soll verhindert werden. Trotzdem: „Die Stimmung ist besser denn je“, meint einer der Streikposten. Eine quirlige ältere Kollegin, die die Arbeit nun schon seit 13 Jahren macht, pflichtet ihm bei: „Wir haben jetzt drei Monate gestreikt, wir geben nicht auf!“

In Hörden, einem Ort mit 1.050 EinwohnerInnen, tobt nach Auskunft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) der längste Streik der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte. Doch dem ersten Eindruck nach tobt hier in Südniedersachsen nichts und niemand. Die ArbeiterInnen der Holzfabrik Mackensen kämpfen um einen Tarifvertrag. Kein Lehrstück aus dem neunzehnten, nein, tatsächlich aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Bei den Mackensens, die ihren Wohnsitz in bester frühkapitalistischer Manier direkt auf dem Firmengelände erbaut haben, gibt es weder tariflich garantierte Ecklöhne noch Überstundenzuschlag oder geregelte Urlaubstage. Da die Firmenchefs Albert (67) und Sohn Andreas (36) Mackensen nicht Mitglied im zuständigen Arbeitgeberverband sind und somit nicht tarifvertraglich verpflichtet sind, werden die Löhne vom Betriebsrat direkt ausgehandelt. „Das ging auch lange Zeit gut“, berichten die Streikposten, die zum Teil 20 Jahre im Betrieb sind, „bis Mitte der achtziger Jahre Löhne und Sozialleistungen immer mehr zurückgingen.“

In der spartanisch eingerichteten Firmenzentrale gibt der etwas farblos wirkende Juniorchef Andreas Mackensen der Konkurrenz aus dem Osten Schuld an der Misere: „Die brauchen ja nicht betriebswirtschaftlich zu kalkulieren!“ Ein zermürbender Streit zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung begann, der sich fast zwei Jahre hinzog. Schließlich beschloß die Gewerkschaft Holz und Kunststoff (GHK) nach einer Urabstimmung am 5.Oktober den Arbeitskampf. Allerdings beteiligten sich am Streik nur die 20 gewerkschaftlich Organisierten der 40köpfigen Belegschaft.

So etwas modernes wie einen Streik hat es in der über 120jährigen Geschichte des Unternehmens Mackensen noch nicht gegeben. Mackensen senior, ein wendiger alter Herr, der in grüner Arbeitsmontur in seiner Firma auch selbst Hand anzulegen pflegt, griff zu ungewöhnlichen Maßnahmen. Von seinem Wohnsitz aus, ein roter Backsteinbau links neben dem Tor, der in keiner besseren Reihenhaussiedlung sonderlich auffiele, kontrolliert er den Streik per Videokamera. Überdies wurde an die Streikenden eine Note lanciert, angeblich vom Rest der Belegschaft, in der sich diese vom Streik distanzierte. Sie unterschrieben, daß „sie weder mit den Streikenden sprechen noch von diesen angesprochen werden noch persönlich mit ihnen Kontakt aufnehmen wollen“. Mit zeitgemäßeren Methoden wurde die Produktion aufrechterhalten. Die Geschäftsleitung karrte Leiharbeiter einer Hildesheimer Firma heran; Albert Mackensen hievte die Streikbrecher, so eine Augenzeugin, eigenhändig über den Zaun.

Die Leiharbeiter wurden inzwischen ausgetauscht. Jetzt sind Arbeiter und Arbeiterinnen, von denen einige direkt aus Hörden kommen, mit Zeitarbeitsverträgen eingestellt. „Die Leiharbeiter hatten keine Lust mehr“, beklagt sich Andreas Mackensen, „sie wurden von den Streikenden vor dem Tor zu stark unter Druck gesetzt.“ Auch wurden sie dem Betrieb zu teuer.

Daß jetzt Teilzeitarbeit eingeführt wurde, daß einige offene Stellen mit Hördener EinwohnerInnen besetzt wurden, wiegt schwer in den Augen der Streikenden. „Ein Vater spricht nicht mehr mit seiner Tochter, weil sie neulich bei den Mackensens einen Job angenommen hat“, weiß ein Kollege. Der Riß durch den Ort Hörden geht mitten durch die Belegschaft, durch die Familien. „Aber wir machen weiter!“ Noch haben sie nicht resigniert. Doch der jüngste Verhandlungsvorschlag, ausgearbeitet vom „Allgemeinen Arbeitgeberverband Göttingen“, erstickt von vorneherein jede Hoffnung auf eine faire Lösung im Keim: „Die wollen, daß wir alle zum 30.1. kündigen. Zehn von uns sollen am 1.2. wieder eingestellt werden, natürlich ohne Tarifvertrag.“ Die übrigen zehn würden ihren Job verlieren und hätten kaum eine Chance, einen neuen zu finden; die Arbeitslosigkeit liegt in dieser Gegend bei 14Prozent. Die Namen derer, die rausfliegen, sind in diesem sogenannten Kompromißpapier ebenfalls enthalten. „So werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, empören sich die Kollegen, „einerseits sollen wir gespalten werden, und andererseits entledigt man sich der aufsässigsten Betriebsmitglieder.“

Andreas Mackensen kann an dem Vorschlag nichts Übles finden. „Mir hat der Streik gezeigt, daß der Betrieb gut mit weniger Beschäftigten auskommen kann. Zuerst hatten wir drei Schlosser, jetzt müssen wir ohne auskommen“, was die Produktion nicht nachhaltig beeinflußt habe. Offensichtlich ist der Streik für die Mackensens mehr oder minder willkommener Anlaß, den Betrieb zu rationalisieren: „Alle 20 können wir auf keinen Fall wieder einstellen.“

Daß unbeliebte Leute aus dem Betrieb entfernt werden sollen, bestreitet er. Allerdings sieht er den Vorteil, daß Querulanten und „Drahtzieher“, die die Unzufriedenheit in der Firma geschürt hätten, die anderen gar zur „Arbeitsreduzierung“ motivierten, im wahrsten Sinne des Wortes draußen vor der Tür stehen. „Das Betriebsklima ist jetzt um ein Vielfaches besser als vor dem Streik.“ Konsequent reduziert Andreas Mackensen den Streik auf eine „Demonstration gewerkschaftlicher Macht. Um die Mitarbeiter geht es schon lange nicht mehr.“

Inzwischen ist Feierabend, die ersten Arbeiter und Arbeiterinnen umkurven mit ihren Autos die Holzpaletten. Sie fahren am Planwagen vorbei, grüßen nicht, werfen keinen Blick zu uns herüber. Routiniert und emotionslos ist das Verhältnis zwischen Streikbrechern und Streikenden; zu Handgreiflichkeiten ist es ohnehin nie gekommen. Rotzige Sprüche skandiert schon lange keiner mehr.

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