Im Forschungsmonster Widerstand

■ Zweiter Tag Besetzung des Naturwissenschaftlerzentrums an der Universität / Vollversammlung der Chemiker beschließt im Alleingang Diskussion mit Professoren und Rektor am Mittwoch / Prof. Leibfritz verhandelt nicht über Eintopf mit Frauenfragen

„Auch ich komme gerade von NW 2,“ sagt der Student in der dicken Daunenjacke vor der rappelvollen Vollversammlung der Mensa, „ich habe hier eine Offenheit erlebt an der Uni, die ich toll finde und die ich bisher nie erlebt habe.“ Und: „Kommt heute abend, schlaft bei uns! „-„Und bringt eine Flasche Wein mit!“ ruft einer dazwischen.

Die Besetzung des Gebäudes der BiologInnen und ChemikerInnen, Montag früh von Aktivisten begonnen und danach von der Vollversammlung beschlossen, war am Dienstag der Angel- und Mobilisierungspunkt des Unistreiks. Ihre Mindestforderungen: Rücknahme des rigiden Diplomprüfungsentwurfs der Biologen, mehr Praktikumsplätze, mehr Didaktiker für die angehenden Chemie- und BiologielehrerInnen und eine Frau auf die ausgeschriebenen HochschullehrerInnenstelle für Biotechnologie/Virologie. Besetzung gerade von NW 2, deshalb, weil so das Flugblatt der VV, hier „exemplarisch die Umgestaltung zu einer industriegerechten Forschungsfabrik auf Kosten der Lehre und der kri

tischen Geistes- und Sozialwissenschaften“ erfahrbar ist.

Gegenüber der handgreiflichen Konkretisierung von Streikzielen und -mitteln liefen denn auf der Vollversammlung auch die Abwiegelungsparolen der letzten StudentenpolitikerInnen aus der Vor-Streikzeit vor die Wand: die Ätze der Vertreterin den autonomen Frauen- und Lesbenreferates („Und wir sollen dann dafür streiken, daß andere Leute ihre Karriere machen“) genauso wie der Verteter der Ausländerliste, der vor euphorischer Stimmung und dem Starren auf NW warnte und die „große Abschlußdemo mit den gewerkschaftlichen Kräften“ anpeilte. „Also, ich versteh die Welt nicht mehr, für mich hat der Streik gerade begonnen“, konterte eine Studentin unter großem Beifall. „Klar, daß hier vieles konfus ist, das kann aber auch gar nicht anders sein nach all dem, was sich hier jahrelang aufgestaut hat.“

In NW 2, wo alle Eingänge und Feuertreppen gegen eindrängende Professoren verrammelt waren, hatte es derweil zwei befürchtete Konfrontationen nicht

gegeben. Die eine: Rektor Timm hatte ultimativ gedroht, das Gebäude polizeilich räumen zu lassen, nachdem er so brachial wie vergeblich versucht hatte, sich persönlich Einlaß zu verschaffen. Beides entpuppte sich als Produkt aufgeregten Flurfunks. Die einzigen Mannschaftswagen, die erschienen, waren die der Feuerwehr, und dies der verrammelten Feuernottreppen wegen. Tatsächlich hatte der Rektor einer Delegation von drei Chemiestudenten zugesichert, daß am Dienstag nicht geräumt werde. Für Mittwoch 10 Uhr verabredete

er mit der Delegation eine Diskussion im „Stufenhörsaal“ von NW 2 zwischen ChemiestudentInnen, Rektor und Professoren über die studentischen Forderungen. Die Vollversammlung der Chemiker stimmte diesem Kontaktversuch mit 73 gegen 16 Stimmen zu, mit der Perspektive, die Besetzung aufzuheben.

Das war genau das, was die BiologInnen nicht wollten, sowenig aber, wie eine Besetzung ohne die ChemikerInnen. Dennoch kam auf einer gemeinsamen Vollversammlung keine Kritik an den „Verrätern“ von der Chemie auf.

„Die sollen sich ruhig das Bild von den Professoren verschaffen, das wir schon haben,“ erklärte mir eine Biologin. Lang und freundlich wurde der unterdrückte Streit auf die Frage verlagert, ob das Treffen mit den Professoren nicht außerhalb des besetzten NW 2 stattfinden sollte, bis ein Jüngstsemester ohne Sinn für den symbolischen Charakter des Raums nach einer Stunde genug hatte von dem „Kasperletheater“:„Laßt uns in die Mensa gehen, das ist doch völlig egal.“ Und so geschah es.

Unterdes wälzten die Studiosi

oben einen Schrank vor einem Kämmerchen zur Seite und ließen die Berichterstatterin hinein, in dem sie die fünf Professoren verwahrten, die sich dennoch Einlaß verschafft hatten. „Nicht ein Jota“, sagte dort Prof. Dieter Leibfritz, Vater des Diplomprüfungsentwurfs und bis vor Tagen Fachbereichssprecher, sei er bereit, den studentischen Rechtsbrechern nachzugeben. Die Prüfungsordnung sei nur vorgeschoben, und über „einen mit Frauenfragen vermengten Eintopf“ sei er nicht bereit zu verhandeln.

Uta Stolle