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Wissenschaft und Technik: USA SCHRUMPFEN

Es mag ein Zeichen der Zeit sein oder reiner Zufall: Seit Dezember sind die USA auf den Weltkarten der „National Geographic Society“ kleiner als bisher. Seit 1922 basieren die Weltkarten der „Society“, die das Geographieverständnis amerikanischer Schüler und Hochschüler prägen und auch im Weißen Haus, Kongreß und Pentagon weit verbreitet sind, auf der Alphons-van-der-Grinten-Projektion. Van der Grintens Karten zeigen Grönland 554 Prozent größer, als es in Wahrheit ist, die Sowjetunion wird 223 Prozent und die USA 68 Prozent größer dargestellt. Verzerrungen muß es notgedrungen bei allen Weltkarten geben, denn der runde Erdball läßt sich nicht flach zu Papier bringen. Zu ihrem Geburtstag im vorigen Jahr wünschte sich die „Society“ jedoch eine bessere Karte mit geringeren Verzerrungen als die van der Grintensche. Das Geburtstagsgeschenk überreichte Kartograph Arthur Robinson. Robinsons Projektion zeigt Grönland nur 60 Prozent größer als in Wirklichkeit, die Sowjetunion ist noch 18 Prozent größer und die USA gar drei Prozent kleiner als in natura. Robinson begann bereits 1943 seinen Entwurf für eine neue Weltkarte. Damals war er Chef der kartographischen Abteilung des US-Büros für Strategische Dienste im Zweiten Weltkrieg. Die Van-der-Grinten-Karte, stellte er fest, läßt viel zu wünschen übrig, wenn es darum geht, einen weltweiten Krieg zu kartieren. Die heute bekannteste und am häufigsten verwendete Weltkarte wurde vor mehr als 400 Jahren von dem flämischen Kartographen Gerardus Mercator entwickelt. Seine Karte sollte der damals aufkommenden Schiffahrt zwischen den Kontinenten dienen. Mercator projizierte Längen- und Breitengrade als Netzwerk von Rechtecken. Für die Schiffer war diese Karte günstig, weil auf ihr Kurse zwischen zwei Punkten als gerade Linie gezeichnet werden können. Doch für alle anderen Belange hat Mercators Karte Nachteile, weil sie Form und Größe extrem verzerrt und die Ausdehnung der Landmassen in den höheren Breitengraden stark übertreibt. Deshalb führen Kartographen zur Zeit einen langwierigen Kampf gegen die weitverbreitete Verwendung der Mercatorkarte außerhalb der Schiffahrt. „Eine schlecht gewählte Kartenprojektion kann schädlich sein“, mahnt die Amerikanische Gesellschaft für Kartographie. „Wir haben die Tendenz, das zu glauben, was wir sehen, und wenn fundamentale geographische Verhältnisse wie Form, Größe und Richtung extrem verzerrt dargestellt werden, akzeptieren wir das als Tatsache.“ Und deshalb kommt es auch in der trockenen Wissenschaft der Kartographie zuweilen zu heftigen Auseinandersetzungen. So entfachte die Projektion des westdeutschen Historikers Arno Peters, die Europa schrumpfen läßt, emotionale Kritik. Laut Peters sollte die Karte endlich den auf fast allen Karten vorherrschenden Eurozentrismus korrigieren. Einige Organisationen der UNO und der Weltkirchenrat verwenden inzwischen die Peters -Projektion. Robinson protestierte gegen die Projektion nicht zuletzt aus ästhetischen Gesichtspunkten: „Die Landmassen sehen wie nasse, ausgefranste Unterwäsche aus, die am nördlichen Polarkreis zum Trocknen hängt.“ Angesichts des Zustands des Globus von heute vielleicht eine treffende Darstellung!

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