: Zwischen „Effizienzkritik“ und Machterhalt
Interne Querelen machen dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz derzeit mehr zu schaffen als der Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der morgen im Abgeordnetenhaus diskutiert werden soll / „Enthüllungen“ sind nicht zu erwarten ■ Von T. Meyer und W.Gast
Berlin (taz) - Den Berliner FDP-Vorsitzenden und Koalitionspartner der CDU in der Regierung, Walter Rasch, treiben heftige Sorgen um. Mittlerweile, so Rasch, sei der Verfassungsschutz (VS) „so ramponiert, daß seine Funktionsfähigkeit gefährdet ist“. Auch der politisch letztlich Verantwortliche, der Berlin regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), kam nicht umhin, der Öffentlichkeit ein ähnliches Eingeständnis zu servieren. Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der Licht in den Schnüffelsumpf des Landesamtes für Verfassungsschutz bringen soll, machte er keinen Hehl aus seiner Auffassung, „daß ein Großteil der Mitarbeiter des Landesamtes an einer anderen Stelle des öffentlichen Dienstes tätig werden sollte“. In der Tat: die Spitzelbehörde wird nicht nur von außen angegriffen, sondern auch in ihrem Inneren von heftigen Turbulenzen heimgesucht.
Konfliktlinie im Amt: der Reformerflügel, dem die gegenwärtige Auseinandersetzung als „Effizienzkritik“ für einen schon lange angepeilten strukturellen Umbau des Amtes höchst willkommen ist, steht dem Flügel der „Hardliner“ gegenüber, der das Instrument VS weiterhin jenseits aller öffentlichen und parlamentarischen Kontrolle für machtpolitische Bestrebungen der jeweils Regierenden erhalten wissen will.
Die PKK - ein Feigenblatt
Dieser Konflikt zwischen beiden Lagern treibt bemerkenswerte Blüten. So weigerten sich unlängst die verschiedenen Mitarbeiter der Berliner Lauschzentrale, vor dem Untersuchungsausschuß in einem Zeugenzimmer gemeinsam auf ihre Vernehmung zu warten. Kopf der Hardliner ist nach wie vor Horst Bakker, Leiter der Abteilung „Linksextrismus“. Der regierenden CDU ersparte der wackere Bakker noch vor Jahresfrist einen handfesten Skandal: Einen Bericht der Abteilung Rechtsextremismus über die Verquickung von Junger Union mit rechtsradikalen Kreisen stutzte er auf administrativem Wege in die Rubrik „harmlos“ herunter. Doch damit nicht genug. Um ähnlicher Unbill für die Zukunft vorzubauen, ließ er im zweiten Zug auch gleich die betreffende Abteilung personell umstrukturieren. Auch soll es eben jener Bakker gewesen sein, der in der jüngsten Runde des VS-Skandals die Springer-Presse mit internen Informationen aus dem Amt für den längst fälligen Entlastungsangriff der CDU versorgte. Eine ganze Seite war es der 'Welt am Sonntag‘ am 9.Januar 1989 wert, dem geneigten Leser zu verdeutlichen, daß die skandalösen Machenschaften des VS zu Regierungszeiten der SPD angelegt wurden.
Die Enthüllungen aus dem Hause Springer gehen allerdings am Kern der Sache vorbei: Jahrelang fuhrwerkte der Berliner Verfassungsschutz im Dunkeln, ohne daß es irgendeine parlamentarische Kontrolle gegeben hätte. Erst nachdem die kriminellen Verstrickungen des Landesamtes in den Mordfall Schmücker aus dem Jahre 1974 wieder und wieder für Schlagzeilen sorgten, wurde im Frühjahr 1987 eine Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) eingerichet. Ausgeschlossen von dieser Kontrolle der unheimlichen Behörde waren jedoch von Anfang an die Vertreter der drittgrößten Berliner Partei, der Alternativen Liste (AL). Im Gegenzug pochte die AL bereits seinerzeit auf die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses - eine Forderung, der sich die SPD angesichts der eigenen Leichen im Keller erst Ende März 1988 nach langen Windungen anschloß. Dann sollte es noch einmal bis zum Herbst dauern, bis die Sozialdemokraten einem entsprechenden Antrag zum notwendigen Quorum verhalfen - ein Jahr, nachdem die Bespitzelung von Parteien, Journalisten und Rechtsanwälten erstmals öffentlich gemacht worden war.
Das Instrument der Parlamentarischen Kontrollkommission hatte sich zwischenzeitlich auch aus Sicht der SPD als Feigenblatt erwiesen. Von einer parlamentarischen Kontrolle des Amtes könne sowieso keine Rede sein, erklärten die beiden SPD-Vertreter in der PKK, da die Regierungsmehrheit von CDU und FDP in der Kommission dieses systematisch zu verhindern wisse. Am 24.November 1988 war gar die Toleranzschwelle der Sozialdemokraten überschritten: Mit einem Paukenschlag verließen mit Erich Pätzold, SPD -Sicherheitsobmann, und Hans-Joachim Lorenz die Vertreter der SPD in der Kontrollkommission noch vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses die PKK. Letzter Stein des Anstoßes für die SPDler: Der Verfassungsschutz hatte sogar auf das SPD-Mitglied Pätzold einen V-Mann angesetzt. Mit der ihm eigenen Kaltschnäuzigkeit wies Innensenator Kewenig in einer Sitzung des Abgeordnetenhauses im November 1988 auch die Anschuldigungen Pätzolds von sich, daß selbst Pätzold als parlamentarischer Kontrolleur des Amtes ausspioniert werde und beschuldigte im Gegenteil diesen: „Herr Pätzold, Sie wissen, daß Sie lügen“.
Gelogen hat allerdings nicht Erich Pätzold, gelogen haben die politisch Verantwortlichen für das Berliner Landesamt. Der 24jährige Ex-DRR-Bürger Steffen Telschow war im Verständnis des VS zwar kein „richtiger V-Mann“, sondern nur ein „Agent auf Probe“. Auf die militante Szene in Berlin angesetzt, sollte er sich nach und nach an den Randbereich terroristischer Aktivitäten heranarbeiten. Nach einer Verurteilung des „Probe-V-Mannes“ im Rahmen der Anti-IWF -Kampagne im Herbst letzten Jahres geriet dessen Legende schon bald ins Wanken. Wegen Steinewerfens verurteilt, und nach vertraulichen Hinweisen aus dem Landesamt, waren die SPD-Vertreter in der PKK dem steinewerfenden Verfassungsschützer auf die Schliche gekommen. Im Auftrag des Amtes dementierte der V-Mann aber weiterhin seine VS -Tätigkeit. Er ging sogar soweit, daß er das PKK-Mitglied Pätzold wiederholt aufsuchte, um bei ihm die Quellen der SPD -Verdachtsmomente ausforschen. Entgegen der heftigen Dementis Kewenigs und des zuständigen Staatssekretärs Müllenbrock, mußte der Leiter des Verfassungsschutzes, Wagner, dann kurz darauf vor dem Untersuchungsausschuß das Gegenteil gestehen. Er hatte die Berichte des V-Mannes über die Pätzold-Ausforschung gegengelesen. Der politisch verantwortliche Innensenator Kewenig und seine rechte Hand, Staatssekretär Müllenbrock, kamen nicht umhin, ein erstes Bauernopfer in der VS-Affäre zu bringen und erklärten, die Bespitzelungsaktion gegen den VS-Kontrolleur Pätzold sei ein Alleingang des VS-Chefs Dieter Wagner gewesen. Die Tage des VS-Chefs im Amte dürften damit gezählt sein.
Der Untersuchungsausschuß
-ein politisches Notariat
Der „Fall Telschow“ hat die ursprüngliche Reihenfolge der zu behandelnden Skandale des VS im Untersuchungsausschuß gründlich durcheinandergebracht. War doch ein wesentlicher Anlaß zur Einsetzung des Ausschusses die Verwicklung der Behörde in den Mord an den V-Mann Ulrich Schmücker gewesen. Schmücker sollte 1974 - geführt von V-Mann-Führer Michael Grünhagen - in das Umfeld der Bewegung „2.Juni“ eingeschleust werden. Diesen Versuch mußte er am 5.Juni 1974 mit dem Leben bezahlen. Statt von Mitgliedern des „2.Juni“ war Schmücker im wesentlichen von V-Leuten umgeben. Dank der Vertuschung des Amtes ist bis heute ungeklärt, was in der Nacht auf den 5.Juni 1974 an der Krummen Lanke im Berliner Bezirk Zehlendorf tatsächlich geschah. Fest steht, daß der vermeintliche Anarcho und gleichzeitige Verfassungsschützer Volker Weingraber nur wenige Stunden nach dem Mord die Tatwaffe seinem V-Mann-Führer Michael Grünhagen übergab, statt sie im Auftrag seiner Gruppe verschwinden zu lassen. Weiter steht fest, daß während des Prozesses 1976 gegen die mutmaßlichen Täter, eine Wolfsburger Kommune, ein weiterer V -Mann, der Jurastudent Christian Hain, den Verfassungsschutz mit Interna aus der Kanzlei eines der Verteidiger versorgte. Über diesen Weg gelangten die Verteidigerstrategien bis zu den anklagenden Staatsanwälten, Jürgen Przytarski und Wolfgang Müllenbrock.
Zielstrebig hatte die Berliner Rechtskoalition versucht, den Mordkomplex Schmücker an den Beginn des Ausschusses zu stellen, geht es dabei doch um Vorgänge, die in die Regierungszeit der Sozialdemokraten fallen. Die Sozialdemokraten stimmten dieser Tagungsordnung letztendlich zu. Sie setzten auf eine große Koalition des Schweigens, zumal zwei Personen, die heute in führender Position im Sicherheitsapparats tätig sind, schon damals als Staatsanwälte maßgeblich in den Schmücker-Skandal verstrickt waren, nämlich Müllenbrock und Przytarski.
Wenn jetzt nach sieben Ausschußsitzungen morgen der Zwischenbericht des Ausschusses im Abgeordnetenhaus diskutiert werden soll, dann ist jedoch genausowenig wie der Fall Schmücker der Komplex der Bespitzelungen von Journalisten und die Überwachung der taz Gegenstand für die Berichterstatter. Denn auch vier Wochen, nachdem die Ausschußmitglieder die Akten über die ausgespähten und abgespeicherten Journalisten angefordert hatte, zeigten sich die Mitarbeiter des VS nicht in der Lage, diese beizubringen. In welchem Umfang der VS Journalisten überwachen ließ, läßt sich allerhöchstens ansatzweise aus den Untersuchungen des Datenschutzbeauftragten, Joachim Kerkau, in der Berliner VS-Zentrale erahnen. In einer ersten Stichprobe wurde er bei der Eingabe von 118 Namen von Berliner Journalisten in 24 Fällen fündig. Die Frage im Untersuchungsausschuß, ob er die „Sachakte taz“ in Händen gehalten habe, verneinte er mit dem Hinweis: „Soviel kann ich gar nicht tragen.“ Kein Wunder, soll doch allein diese Sachakte 30 bis 50 Bände umfassen.
Mitarbeiter des Amtes haben inzwischen eingeräumt, daß die taz bis Mai 1988 als „Verdachtsobjekt“ geführt wurde. Der „Verdacht“ wurde erst aufgegeben, als die Bespitzelung von Journalisten mehrmals in der PKK aufgriffen worden war.
Heftig bestritten wird nach wie vor, daß Mitarbeiter des VS in die taz eingeschleust worden sind. In mehreren gleichlautenden Erklärungen haben sich Staatssekretär Müllenbrock und sein Dienstherr Kewenig mittlerweile auf die Linie festgelegt, derartiges sei „nie“ geschehen. Auf hartnäckiges Befragen im Ausschuß allerdings mußte Müllenbrock einräumen, daß es sehr wohl Überlegungen gegeben habe, mit „operativen Maßnahmen“ gegen die taz vorzugehen. Wie bereits im Fall Telschow erweisen sich diese Aussagen der Verantwortlichen als semantische Spitzfindigkeiten. Demnach soll Telschow kein „V-Mann“, sondern nur ein „Probe -V-Mann“ gewesen sein, wie auch das Ansetzen eines V-Mannes 1982 auf die taz auf einen mißlungenen Probelauf reduziert war, und dies obwohl der sogenannte Probe-V-Mann fünf Monate lang in der taz gearbeitet hat.
Nach Informationen, die der taz aus dem Amt zugegangen sind, will dort aber auch ein anderes Gerücht nicht verstummen: Entgegen allen Beteuerungen der VS-Spitze soll in der taz ein weiter Informant auch heute noch am Ball sein - „Wenn der 82er V-Mann bei der taz der Klempner war, dann ist der Guilliaume noch zu finden.“
Der Zwischenbericht
-eine Sachakte
Wahrscheinlich nicht nur in der taz. Von dem Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sind solche Enthüllungen aber nicht zu erwarten. Denn der kleinste gemeinsame Nenner in diesem Zwischenbericht beschränkt sich auf die unstrittigen und vor dem Ausschuß eingeräumten Machenschaften des VS. Eine politische Wertung werden die einzelnen Fraktionen gesondert abgeben. Die Berichte werden sich mit dem begnügen, was im Ausschuß in öffentlicher Sitzung an die Oberfläche gekommen ist, also nur mit der Spitze des Eisberges. Die Beratung dieses Zwischenberichtes im Abgeordnetenhaus ist zudem vor den Wahlen die letzte parlamentarische Behandlung der nicht enden wollenden Skandalchronik der Berliner Spitzelbehörde. Nach dem Ende der Legislaturperiode im März wird die Arbeit des Ausschusses mit der Vorlage eines Schlußberichtes erst einmal beendet sein. Das neu gewählte Abgeordnetenhaus muß dann über den gesamten Instanzenweg eine erneute Einsetzung des Ausschusses beschließen. Sollte dafür eine parlamentarische Mehrheit zustandekommen, so könnte das allenfalls im Sommer 1989 erreicht werden. Ein dann eingesetzter Ausschuß müßte in dem ganzen Sumpf wieder von vorne anfangen. Und wer weiß schon, welcher erneute Skandal bis dahin an die Oberfläche gekommen ist.
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