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ROSTLEBEN

■ „Bleiche Bühne“ zeigt „Der Autofriedhof“

Arrabal nach gängiger Manier der flachen Kategorie „Absurdes Theater“ einzuordnen, hieße ihn unterschätzen. Griff er doch im gesellschaftskritischen Impetus wie der assoziativen Methode die Tradition des Surrealismus auf. Surreal sehen heißt, aus der von Konvention und Rationalisierung befreiten Subjektivität über die erscheinende Wirklichkeit hinaussehen, den Menschen in der Schönheit seiner noch unerschöpften Möglichkeiten erkennen, oder in der Häßlichkeit, dem Schrecken seiner Selbstentfremdung.

So läßt auch Arrabals als Hotel sich enthüllender Autofriedhof einiges vom engherzlich teilnahmsvollen Gemeinschaftsleben eines Hotels oder Wohnblocks durchscheinen, Metapher eines rostenden, verfallenden Lebens, halb begraben schon im Auto, einem toten Gegenstand in der Tat, auf der Straße wie auf seinem Friedhof.

Die Gäste dieses Hotels gehen weiter. Tage und Nächte residieren sie in den verschwommen konstruierten Wracks, kenntlich nur an den durch die Vorhänge geschobenen Feldstechern, durch die sie begierig Freud und Leid der anderen einschlürfen. Sensationen, die stets ebenso neu wie schon immer gewesen erscheinen. Sei es der bald sie, bald ihn erniedrigende Ehekrieg der Wirtsleute oder gar der seine Eifersucht erweckende Akt des Ehebruchs selbst.

Der Trompeter Emanou ist Bibas Erwählter, einer von drei Musikern, die zunächst nur einen einsamen Winkel zum Musizieren suchen, dann wieder Stars einer aus dem Hintergrund nur hörbaren Menge zu sein scheinen. Ist er ein poetischer Mörder? Sein größtes Verbrechen ist wohl, die Armen und Traurigen mit dem Klang seiner Trompete zu erheitern. Oder ist er ein ohnmächtiger Erlöser? Sein unwiderstehliches Charisma wird ersterben, sobald er den auswendig gelernten Satz über das Gute im Menschen vergißt, seine Passionen beginnen, sobald ihn sein Kumpan für eine Belohnung verrät. Ein unermüdliches Langstreckenläuferpärchen, das von Anfang an schon zyklisch die Bühne querte, verwandelt sich in ein Polizistenpärchen, das nun außen herum seinen Lauf wieder aufnimmt, um den Terroristen des Mitleids schließlich zu binden und seiner Bestimmung am nächsten Laternenpfahl zuzuführen.

Der „Bleichen Bühne“ (Regie: Johanna Burmeister) ist mit dem „Autofriedhof“ eine gefällig gespielte Groteske gelungen, die mit Humor nicht geizt. Und doch, wenn die einzelnen Szenen nicht die in ihnen angelegte Dichte erreichen, Gespräch bleiben und nicht Bild werden, scheint das nicht nur an den - bei einer nicht subventionierten freien Gruppe sicher entschuldbaren - geringen Möglichkeiten der Beleuchtung zu liegen.

Der Schrecken oder das Lachen erwecken Arrabals Figuren, indem sie sich als wirkliche Menschen zeigen, deren verqueres Handeln in der überraschenden Neugruppierung vom Schleier gesellschaftlicher Normalität befreit wird. Nicht als Typen, sondern als konkrete Persönlichkeiten setzen sie die Spannung zu ihrer absurden Situation frei. Solche Realität fiel den Darstellern der „Bleichen Bühne“ nur selten wie zufällig aus der Rollenarbeit erwachsen zu. Man war wohl mit der Auswahl eines guten Stückes schon selig, vertraute der eigenen Routine und vergaß, daß ein Stück seine Wirkkraft in der heutigen Zeit erst auf der Bühne erweisen muß. Eine blasse Bühne, mäßig sehenswert.

glagla

Die „Bleiche Bühne“ zeigt „Der Autofriedhof“ bis zum 5.Februar, Mi-So 20.30 Uhr im Ratibor-Theater, Cuvrystraße 20, 1-36.

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