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„Wir laufen doch mit diesen Innereien herum“

■ Aus einem Gespräch mit David Cronenberg („Dead Zone“, „Die Fliege“ und jetzt „Die Unzertrennlichen“) über die Frage, warum die Leute seinen Film so eklig finden

Jan van Dieken: In Ihren Filmen sieht man häufig Gewalt, blutige Gewalt. Der Film Videodrome zum Beispiel durfte deshalb in der Schweiz nicht gezeigt werden. Für mich zeigt sich an dieser Diskussion, daß der Zensor hauptsächlich an der Oberfläche Interesse hat.

David Cronenberg: Interessant. Die Oberfläche läßt das Innere durch, damit es das Licht des Tages erblickt. Der Zensor erkennt anscheinend das tatsächlich Abstoßende. Es ist ja nicht so schön, was da in meinen Filmen zu sehen ist, und ich will zugeben, daß das die Leute im Kino abstößt. Aber was ist so furchtbar daran, in den eigenen Körper hineinzublicken? Wir laufen doch mit diesen Innereien auch herum. Warum quält man sich dann mit einer Ästhetik, die überhaupt keine Form hat? Für Schönheit einen adäquaten Begriff zu finden, ist kompliziert. Zuallererst meint man damit ja den Körper, wie er äußerlich beschaffen ist. Dieses Paradoxon bringe ich in meinen Filmen zur Sprache.

Mit Cronenberg verbindet der Zuschauer nun mal violence...

Ist vielleicht meine Verdammnis... Anthony Perkins geistert auch immer noch als Psychopath herum. Wenn die Leute denken, meine einzige Profession bestünde im Produzieren blutiger Gewaltfilme, dann ist es hoffnungslos. Die wollen sowieso nicht hinsehen. Die Menschen gehen ins Kino, weil sie dort auf überraschende, phantastische Dinge hoffen. Das kann sogar in einer kleinen, ganz schlichten Komödie der Fall sein. Diese Phantastik ist meine Profession.

Für Sie gehören Geist und Körper zusammen, sind untrennbar?

Ja, wie soll man sonst die Schönheit des Geistes wahrnehmen, die Attraktivität eines Körpers? Und wie den Humor, die Tragödie?

David Lynch ist der Regisseur, der uns den Schrecken des Äußeren, den Horror draußen zeigt. Sie plündern das Innere. Ist das so?

Da ist etwas dran. Aber Lynch hat die amerikanische Sichtweise drauf, dies Aggressive, das Oberflächenzerstörende. Ich internalisiere, und deshalb ist es wohl logisch für mich, ins Innere vorzudringen. Deshalb mag ich Insekten auch sehr gerne.

Wie gehen Sie an einen Film heran? Intellektuell oder emotional?

Beides. Ich liebe das intellektuelle Spiel, es ist so schön distanziert. Worte sind wichtig, die Dialoge. Die Konzeption ebenso. Filme, die sehr manipulativ gearbeitet sind, hasse ich.In E.T. zum Beispiel muß man ganz gezielt heulen: Jetzt, los, sagt dir die Musik. In Dead Ringers geht es sehr kontrolliert zu, aber doch voller Gefühl.

Viele Regisseure lehnen eine derartige Betrachtungsweise ab. Sie behaupten alles aus ihrem Bauch heraus.

Sehr amerikanisch. Als ich den Hauptdarsteller für die Doppelrolle in Dead Ringers gesucht habe, lehnten alle amerikanischen Schauspieler ab. Die meisten hatten einfach Schiß. Sie wollten nicht diesen schizophrenen Charakter spielen, es war ihnen zu dicht an der Wirklichkeit. Es ist ja nicht Jekyll & Hyde, der eine böse, der andere gut. Und sie fürchteten sich wahrscheinlich vor der Gynäkologie, die im Film eine so wesentliche Rolle spielt. So übernahm Jeremy Irons die Rolle, ein Engländer. Er sah keine Probleme, einen Gynäkologen zu interpretieren. Schauen Sie, man kann gewiß die Interpretation stark übertreiben, die Franzosen machen das oft in ihren Filmen. Aber es ist doch langweilig, wenn man die zwanzig verschiedenen Möglichkeiten, die ein Film vielleicht bietet, nicht macht. Warum nur zwei, wenn zwanzig möglich sind? Ich würde nie einen Film drehen wie Raging Bull, aber einen über ein physisch sehr ausgeprägtes Individuum, das gleichzeitig eine vorzügliche Bildung besitzt.

Stimmt es, daß Sie Filme machen, die man getrost Jugendlichen zeigen kann? Sie sollen das mal geäußert haben.

Es kommt darauf an, wie alt die Jugendlichen sind. Meine Tochter ist 16, und sie mag meine Arbeit. Sie kann sie auch bereits beurteilen. Ich mache keine Filme für Teenager. Wenn sie sie mögen, überrascht mich das. Schließlich spielen nie Teenager mit. Das Gespräch führte

Jan van Dieke

David Cronenberg: Die Unzertrennlichen. Nach einem Roman von Bari Wood und Marc Boyman, mit Jeremy Irons, Genevieve Bujold u.a. Kanada 1988, 115 Min.

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