: Pharmazeutische Phantomfabrik in Rabta
■ Steht die feierliche Einweihung einer „Pharmazeutischen Fabrik“ bevor? / Aus Rabta Thomas Scheuer
Auch gut „betreute“ Delegationsreisen - wie die Studentenreise, an der unser Korrespondent teilnahm bringen unerwartete Ergebnisse: Offenbar ist die pharmazeutische Fakultät der Universität Tripolis nach Rabta ausgelagert worden - Laboreinrichtungen inklusive offenbar, um dort eine Phantomfabrik einzuweihen.
Libysche Pfadfinder reichen immer wieder neue Runden Orangina und Kekse herum. Erst, als es draußen auch wirklich stockdunkel ist, dürfen die Gäste das Militärzelt verlassen, in dem die wortkarge Begrüßung vor den Toren von Rabta stattgefunden hat. Noch bei der Begrüßung in Tripolis war den rund 80 Studenten und Jungwissenschaftlern aus acht westeuropäischen Ländern ausdrücklich zugesichert worden, sie könnten die geheimnisumwitterte Arzneimittelfabrik besichtigen. Eingeflogen hatte man sie als Staatsgäste: um den Jahrestag der libyischen Studentenaufstände vor 25 Jahren zu feiern.
Doch jetzt tappen auch die Studiosi im Dunkeln - wie vor ihnen schon zwei internationale Pressehundertschaften. Statt des teilweise noch im Bau befindlichen Industrie-Parks, der hier samt einer eigenen Wohnsiedlung in den Sand gesetzt wurde, dürfen sie einige der Zelte davor besichtigen, in denen sich libysche Familien niedergelassen haben - als lebender moralischer Luftabwehrgürtel gegen eventuelle Attacken. Einige der Zelte stehen leer, in anderen flackern kleine Feuerchen. Um den Teekessel hocken Erwachsene, Jugendliche und Kleinkinder. Markige Sprechchöre werden intoniert, sobald einer unserer Betreuer die Plane eines Zeltes zurückschlägt. „We are ready to die“, bekundet ein libyischer Zeltbewohner.
Matratzen, Kochutensilien und Lebensmittel legen den Eindruck nahe, daß die Menschen in diesen Zeltdörfchen rund um das „technologische Zentrum Rabta“, so die offizielle Bezeichnung der Kunststadt, tatsächlich für längere Zeit hier campieren. Die Mehrzahl der mal weißen, mal olivgrünen Zeltcamps wird aber offenbar von Milizsoldaten und Pfadfindergruppen bewohnt. Zwischen ihnen sind zahlreiche kleine Verteidigungsstellungen installiert. Es sind in den wenigsten Fällen richtige Unterstände oder gar Bunker, meist mobile Flugabwehrgeschütze und -raketen, die, auf Schützenpanzern montiert und kaum getarnt, überall in der von Buschwerk durchwachsenen Steppenlandschaft herumstehen.
Knallrote Feuerwehrautos stehen ebenfalls ungetarnt in der graugrünen Pampa herum; die meisten Abwehrstellungen sind, zumindest zeitweise, offenbar gar nicht besetzt - Indiz dafür, daß die vielbeschworene US-Aggression aus der Luft so akut wohl nicht erwartet wird.
In einem großen Zelt hat sich der „Basisvolkskongreß“ von Gharian, mit 80.000 Einwohnern die nächste größere Stadt, vor der Kamera des libyschen Fernsehens in Position gebracht. (Diese Kongresse bilden die unterste Stufe des libyschen Rätesystems und treffen derzeit im ganzen Land gleichzeitig zu einer mehrwöchigen Sitzungsperiode zusammen.) Rund 200 Libyer, je zur Hälfte ältere Männer und junge Burschen - Frauen sind keine dabei - skandieren Parolen auf arabisch, dazwischen immer wieder auf englisch „USA - down, down“.
Minutenlang serviert das Staats-TV allabendlich diese Kampfbereitschaft der Volksmassen. Heute ist das tägliche Ritual um eine Variante reicher: Die ausländischen Jungakademiker werden in zwei, drei Reihen vor die Kulisse der Einheimischen drapiert und dem Fernsehpublikum live als Beleg für die internationale Solidarität serviert. Von Isolierung Libyens, so wird den Zuschauern suggeriert, also keine Spur!
Allmählich dämmert den Gästen, daß sie keineswegs nach Rabta chauffiert wurden, um sich vom friedlichen Charakter der Fabrik zu überzeugen, sondern daß sie als Statisten für eine Propaganda-Show des Staatsfernsehens fungieren. Nicht in die Reagenzgläser, in die Röhre sollen sie schauen!
Ein junger Holländer macht seinem Unmut Luft: Nicht aus Solidarität, sondern aus Interesse und um sich zu informieren, sei er gekommen. Seine freundliche Klarstellung wird vom Moderator des Solidaritätsspektakels prompt ins Gegenteil übersetzt. Nachdem das libysche Fernsehen, das mit einem Sattelschlepper einen ganzen Übertragungs-Container hierher geschleppt hat, bedient ist, werden die Gäste gleich wieder in ihre Fahrzeuge geschleust, und auch die einheimischen Volksmassen treten in drei Bussen die Heimfahrt an.
Wie während der gesamten 10-tägigen Reise stehen die Westeuropäer auch in Rabta unter gastfreundschaftlicher Quarantäne: Nicht mal zehn Meter vom Zelt entfernt zu pissen ist ohne freundliche „Betreuung“ möglich. Nur schemenhaft sind im nächtlichen Dunkel die Umrisse eines Gebäudes auszumachen. Zwei, drei Kräne sind zu erkennen, Planierraupen stehen herum, die tagsüber - so läßt sich aus ihren Spuren schließen - mit umfangreichen Erdbewegungen beschäftigt sind.
Was ist - oder möglicherweise treffender: was war - geplant hinter den Stahlblechwänden der „Aspirin-Fabrik“, wie sie von ausländischen Technikern in Libyen ironisch genannt wird? Die Antwort bleibt im Dunkeln. „Die ganze Welt weiß, daß hier nur Arzneimittel hergestellt werden“, hatte Abdul Salem Jalloud, rechte Hand Gaddafis im fünfköpfigen Revoltionsrat, tags zuvor auf einer Veranstaltung im Generalkongreß in Tripolis zum x-ten Mal bekräftigt. (Auch bei diesem Anlaß wurde selbstverständlich die ausländische Studentendelegation ausgiebig ins Bild gerückt.)
In Tripolis kursieren derzeit Gerüchte und Hinweise, wonach die offizielle Einweihung der „Pharma 150„-Anlage in Rabta in Kürze bevorsteht. Auch sie könnte wieder zu einer großangelegten Inszenierung geraten. Dafür sprechen jedenfalls eine Reihe von Indizien: Ein Besuch in der medizinischen Fakultät der El Fateh-University in Tripolis war einer der ganz wenigen Anlässe, bei denen sich die Delegation wenigstens einigermaßen frei bewegen konnte. Auffälligerweise durften ausgerechnet die Hörsäle und Labors der Pharmazeuten nicht besichtigt werden. Letztere seien aus Solidarität gen Rabta gezogen, so die offizielle Begründung. Dies ist insofern bemerkenswert, als in diesen Tagen demonstrierende Studenten, die nach Rabta wollten, ausdrücklich angewiesen wurden, der Revolution ihren Tribut dadurch zu zollen, sie erst mal brav in der Hauptstadt bleiben und ihrem Studium nachgehen. Anders in der Pharmazie: Mehrere Studenten anderer Fachrichtungen bestätigten unabhängig voneinander, daß dort Studenten wie Professoren tatsächlich mit Sack und Pack - dem gesamten Instrumentarium der Fakultät - nach Rabta ausgelagert worden seien. Als wir dann aber während unseres Trips ins Dunkel um Rabta weder in den Zeltcamps noch auf dem abendlichen Volkskongreß auch nur einen Pharma-Studi auftreiben konnten und nachfragten, erklärte uns das offizielle Begleitpersonal, die Pharmazeuten seien eben in der Fabrik, auch nachts.
Genügend Stoff für Gerüchte, die offenbar mitsamt ihren Laboreinrichtungen hierher verlegten Universitäts -Pharmazeuten könnten demnächst anläßlich einer mediengerechten Einweihung über den Bildschirm flimmern als pillendrehende Zeugen dafür, daß hier wirklich nur harmlose Spalttabletten produziert werden.
Während des rund 80 Kilometer langen Rückwegs nach Tripolis springen die Baustellenschilder und Fahrzeuge einer westdeutschen Straßenbaufirma ins Auge. Das gleiche Unternehmen baggert derzeit an Hafenanlagen in Tripolis mit und baute auch den Autobahnring um die Hauptstadt - eine von rund 95 Firmen aus der BRD, die nach Auskunft eines Zollbeamten hier offiziell registriert sind.
Produkte „made in Germany“ sind im libyschen Alltag auf Schritt und Tritt anzutreffen: Die meisten Briefkästen stammen ebenso aus bundesdeutscher Produktion wie die Händetrockner auf der Toilette des Volkskongresses - und sie funktionieren sogar.
In Musrata, 200 Kilometer südlich von Tripolis, wo ein gigantisches Stahlwerk vor der Vollendung steht, sind neben japanischen, koreanischen und österreichischen Konzernen auch Siemens und Krupp dick mit dabei. Dort soll Erz aus dem Ouzo-Streifen verarbeitet werden - jenes Gebiet, um das es zwischen Libyen und dem Tschad zum Krieg gekommen war.
Natürlich ist das Engagement westeuropäischer Konzerne in dem nordafrikanischen Land nicht verwerflicher (oder positiver) als irgendwo sonst in der Dritten Welt. Doch daß es manchmal unter die Lupe genommen zu werden verdient, zeigt das Beispiel einiger französischer Elektronik -Techniker, die derzeit in Libyen eine spezielle Radaranlage zur Ortung von Regenwolken entwickeln, die dann künstlich zum Abregnen gebracht werden sollen. Die Elektroniker jedenfalls tauschen sich beim Abendessen gerne über Zusammensetzung und Bewegungen der 6.US-Flotte im Mittelmeer aus - ein Zeichen dafür, welch vielseitige Möglichkeiten so manche Installation in sich birgt.
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