: „Es war eher eine symbolische Besetzung“
■ „Demonstrieren“ sei im postindustriellen Zeitalter eine anachronistische, folkloristische Aktion, so die Erklärung der KunststudentInnen, die am Mittwoch die Feuilleton-Redaktion der Münchener 'Abendzeitung‘ besetzten / Die taz sprach mit Michael Hofstetter
Am Mittwoch demonstrierten in München über 30.000 StudentInnen gegen die Bildungspolitik Möllemanns. Die Studierenden der Akademie der Bildenden Künste - mit 700 Immatrikulierten die größte Hochschule der Republik nur für die Bildenden Künstler - waren gleichzeitig zu einer ungewöhnlichen Aktion aufgebrochen. Sie besetzten die Feuilleton-Redaktion des Boulevardblattes 'AZ‘ (Abendzeitung), verlasen ein Flugblatt und nutzten Telefon und Telefax. Zwar zogen sie nach wenigen Stunden friedlich wieder ab, aber die Begründung ihrer symbolischen Tat ist aufregend genug: „Egal wie freizügig das Finanzministerium auch sei, immer stehen Kunstproduktion und -berichterstattung im Dienst einer bürgerlichen Vorstellung von Freizeit“, heißt es in ihrer Erklärung.
taz: Warum habt ihr das gemacht?
Michael Hofstetter: Wir von der Akademie der Bildenden Künste haben uns mit Streikaktionen bisher zurückgehalten, aus gewissermaßen historischen Gründen. 1968 nämlich war die Akademie das Zentrum der StudentInnenproteste, daraufhin hatte der Staat Bayern die Akademie für mehrere Monate geschlossen. Darüber hinaus wurden die Gelder eingefroren bis heute, seit 20 Jahren kann die Akademie finanziell mal gerade ihren Betrieb aufrechterhalten. Wir standen also unter dem Druck, daß wenn wir was anfangen, wir noch härter bestraft werden, weil die Gesamttendenz des bayerischen Staates dahingeht, diese Akademie zu schließen oder zumindest eine Art Kunstgewerbeschule daraus zu machen.
Unsere Aktion heute will genau darauf aufmerksam machen, auf den Zusammenhang nämlich, daß wir, die Kultur, die Kulturförderung nichts anderes sind als der verlängerte Arm der Wirtschaftsförderung, daß also der Kultusminister hier, egal wie er heißt, nicht mehr ist als eine andere Art Wirtschaftsminister. Er muß sich immer an der Marktwirtschaft orientieren. Uns ist immer klargemacht worden, daß die Akademie, wenn sie überleben möchte, einen profitablen Nutzen für die Gesellschaft aufweisen muß. Deshalb würde man uns auch gerne die angewandten Künste oder eine Abteilung für die Ausbildung von Restaurateuren ins Haus setzen.
Wieso habt ihr dann das 'AZ'-Feuilleton besetzt und nicht das Wirtschaftsministerium?
Wir glauben, daß es eine Kongruenz gibt zwischen der Abhängigkeit der Akademie vom Freistaat und der Abhängigkeit des Feuilletons vom Rest der Zeitung, die ja eine Boulevardzeitung ist. Die Zeitung selbst affirmiert bestehende Verhältnisse, das Feuilleton hingegen versucht so etwas wie kritische Berichterstattung, berichtet auch über Tendenzen der Experimentalkunst. Wir sind also zu denen gegangen, denen es genauso geht wie uns auch. Wir wollten nicht nur einfach etwas Spektakuläres machen, sondern gerade mit der Form unserer Aktion auf eben diesen Zusammenhang aufmerksam machen. Die Aktion findet übrigens zeitgleich mit der Haushaltsdebatte im Maximilianeum, dem bayerischen Landtag, statt; dort werden unter anderem auch die Gelder für die Akademie beschlossen. Dabei benötigen wir - als absolutes Minimum - alleine für Hilfskräfte und Angestellte 1,2 Millionen Mark. Bewilligt wurden 414.000 Mark. Und statt der 830.000 Mark für Werkstätten - selbst damit hätte die Hälfte der StudentInnen immer noch keinen Platz zum Arbeiten - wurden uns nur 160.000 Mark bewilligt.
Noch einmal zurück zur Wahl des Ortes. Wieso habt ihr nicht das Feuielleton der 'Süddeutschen Zeitung‘ besetzt?
Die 'AZ‘ als Boulevardzeitung ist ja ganz auf den Markt hin orientiert; das Feuilleton sticht dabei heraus. Es gibt einen immensen Bruch zwischen Feuilleton und dem Rest, das Feuilleton ist weitaus besser, kritischer und engagierter als etwa das Feuilleton der ‘ Süddeutschen Zeitung‘. Es gab natürlich auch einen praktischen Grund. Wir stehen in ständigem Kontakt mit der 'AZ‘, wir wußten, die kennen unsere Misere. Es handelt sich also eher um eine symbolische Besetzung. Wir wußten, die werden uns nicht gleich mit Repressalien drohen.
Heißt das, daß die Redaktion sich ganz gerne besetzen ließ?
Ja. Sie haben sich bereitwilliger besetzen lassen, als wir gedacht haben. Sie waren sehr kooperativ.
Habt ihr ihnen die Arbeit aus den Händen genommen, macht ihr jetzt die Ausgabe von morgen?
Mein persönliches Ziel war das schon, aber das konnten wir bei den anderen nicht durchdrücken, dafür fehlt uns auch einiges an Kenntnissen. Ich hätte gerne eine Diskussion mit der Redaktion geführt über ihr Verhältnis zu der ganzen Zeitung, über eine Kulturberichterstattung, die sich zwangsläufig auch mit den repräsentativen Künsten befassen muß, mit Oper und Schauspielhaus etc., die sich an der offiziellen Kultur orientieren muß, um überhaupt überleben zu können.
Interview: Christiane Peitz
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