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Rote Armee spart Rubel und Rekruten

■ Zielstrebig arbeitet die sowjetische Führung weiter an der Zerstörung des Wehrwillens im Nato-Bündnis / Rüstungshaushalt wird um 14,3 Prozent reduziert

Berlin (taz/dpa/afp) - Langsam dürfte die Nato-Spitze und mit ihr die Wehrminister der Allianz in Panik geraten: Statt Propaganda macht der Kremlchef nun ernst. Mit subtilem Gefühl für politischen Stil eröffnete Michail Gorbatschow ausgerechnet den führenden Mitgliedern der sogenannten Trilateralen Kommission bei einem Gespräch im Kremel die Details seiner Abrüstungspolitik im konventionellen Bereich. Das meldete die sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘.

Danach soll die von ihm im Dezember letzten Jahres vor der UNO angekündigte Truppenverringerung um 500.000 Mann wie folgt aussehen: Fast die Hälfte der Truppen, 240.000 Mann, sollen im europäischen Teil der Sowjetunion abgezogen werden; dazu gehören auch rund 50.000 Soldaten, die in der DDR, der Tschechoslowakei und Ungarn stationiert sind. 200.000 Mann werden von den Ostgrenzen (China/Japan) nach Hause geschickt. 60.000 Mann der demobilisierten Truppen sollen aus den südlichen Sowjetrepubliken kommen.

In einer zweiten Phase der Truppenreduzierung sollen 75 Prozent aller in der Mongolei stationierten Soldaten entlassen werden, darunter die gesamten Luftstreitkräfte. Prozentual verringert die Sowjetuinon damit ihren gesamten Truppenbestand um 12 Prozent. Außerdem sollen aus Europa 10.000 Panzer abgezogen werden. Auf die im Westen nach seiner UNO-Rede lautgewordene Kritik, dabei würde es sich wohl um Panzermodelle handeln, die sowieso zur Verschrottung vorgesehen seien, entgegnete Gorbatschow jetzt wörtlich: „Wir ziehen 5.300 der modernsten Panzer ab.“ 5.000 Panzer würden verschrottet, die anderen zu zivilen oder Trainingszwecken genutzt. Durch den Abzug der Panzer-Truppen sei dann, so Gorbatschow, auch der auschließlich defensive Charakter der verbleibenden Truppen in den Osteuropäischen Staaten sichergestellt.

Gesprächspartner Gorbatschows waren am Mittwoch im Kremel unter anderen Henry Kissinger, der französische Ex-Präsident Valery Giscard d'Estaing und der frühere japanische Premier Nakasone. Sie sind Mitglieder der Trilateralen Kommission, einem zusammenschluß führender Drahtzieher der westlichen Welt, die hinter den offiziellen Kulissen für eine abstimmung der Politik der westlichen Industrienationen sorgen. Im Gespräch mit diesen Multiplikatoren machte Gorbatschow auch deutlich, daß hinter seiner einseitigen Abrüstungspolitik handfeste ökonomische Motive eine Rolle spielen. Erst kürzlich hatte der Generalsekretär darauf hingewiesen, daß Fortsetzung auf Seite 2

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Deshalb, so Gorbatschow jetzt, werde der Verteidigungshaushalt insgesamt um 14,2 Prozent reduziert. Nach offiziellen Angaben belaufen sich die jährlichen sowjetischen Rüstungsausgaben seit Jahren konstant auf umgerechnet 60 Milliarden Mark. Schätzungen der CIA gingen immer von der dreifachen Höhe aus. Durch die Drosselung der Verteidigungsausgaben werde die Waffenproduktion der UdSSR um

knapp 20 Prozent gesenkt, hieß es.

Die Informationen waren eingebettet in einen Meinungsaustausch über globale Veränderungen, mit denen sowohl der Kapitalismus als auch der Sozialismus konfrontiert seien. Man müsse einen neuen Zugang zur Idee der friedlichen Koexistenz finden, da alle viel abhängiger voneinander geworden seien, erläuterte Gorbatschow seine Politik.

Parallel dazu gab der sowjetische Außenminister Schewardnadse weitere Details über den Truppenrückzug aus den Warschauer-Pakt-Staaten bekannt. Im Gespräch mit

Bundesaußenminister Genscher am Rande der KSZE-Tagung in Wien sagte er, daß die abzuziehenden fünf Divisionen aus der DDR, CSSR und Ungarn auch einen Teil der dort stationierten atomaren Kurzstreckenraten und atomare Artillerie mit nach Hause nehmen werden. Dieser Hinweis dürfte Genscher vor allem auf dem Hintergrund der heimatlichen Debatte um die neuerliche Aufrüstung der Nato-Kurzstreckenraten interessiert haben.

Andere Antworten auf die sowjetischen Initiativen sind der westlichen Wertegemeinschaft (laut stellver

tretenden CDU-Fraktionschef Volker Rühe mittlerweile zu einem „TÜV, der die wöchentlichen Vorschläge Gorbatschows prüft“ degeneriert) bislang nicht eingefallen. Das seit Jahren angekündigte Nato-Gesamtkonzept ist kurz vor der im März beginnenden Runde über konventionelle Abrüstung nicht in Sicht. Selbstverständlich werden die Angaben Gorbatschows jetzt in Brüssel sorgfältig geprüft.

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