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Mit Machete und Hackebeil gegen das unheimliche Virus

■ Drei neue Bücher zum Thema Aids / Karin Mölling: Was Sie schon immer über das Virus wissen wollten / Michael Koch: Wie die 68er unsere Jugend zum grenzenlosen Sex verführten / Ernst Burkel: Wie die deutsche Professorenschaft das Virus sieht / Jede Menge Lesestoff und brauchbare Überblicke

Das Aids-Virus heißt das Buch der Berliner Virologin Karin Mölling. Der 'Spiegel‘ hatte die Professorin schon als „klügste Frau Berlins“ hochgelobt, und so stürzt man sich mit Neugier auf den Band, zumal er in einer „Scheune auf Sylt“ entstanden sein soll. Frau Mölling gilt als Deutschlands führende Retrovirologin, und was sie über Struktur und Vermehrung des Virus, über die einzelnen Gene, Enzyme und deren Funktion präsentiert, geht tatsächlich weit über das hinaus, was man sonst in allen anderen Publikationen geboten bekommt. Was man schon immer über die Molekularbiologie von HIV wissen wollte, hier wird man gut bedient, hier gibt's mehr als den üblichen Virus -Schnellkochkurs. Natürlich wimmelt's von tats, gags, envs, oncs, sors, arts, von Proteinen und Rezeptoren. Botenstoffe ziehen autokrine Schleifen, und schon ist „das aminoterminale Ende des pr 55gag myristiliert“ und der „gag -Precursor durch die hydrophobe Protease geschnitten“. Bahnhof? Keine Angst: Das Fach-Chinesisch ist beschränkt und in anschauliche Beschreibungen eingebettet. Da gibt es das „Cockpit“ der Retroviren, da wird HIV zum „Bügeleisen“, zur „Sektflasche“ oder zum „Fußball“. Der komplexe Stoff wird so aufbereitet, daß auch Nicht-Biologen dieses Buch ohne Nachhilfe lesen können. So weit, so gut und sehr empfehlenswert.

Schwächer wird's im hinteren Teil, wenn die Virologin ihr Fachgebiet verläßt und in die Medizin und Politik vordringt. Wie alle Veröffentlichungen zu Aids enthält das Buch eine Vielzahl an Zahlen und leider auch gelegentlich Zahlensalat. Hat der Verlag geschlampt oder hat's in der Scheune gezogen?

Politisch ist die Autorin kaum greifbar. Bei den großen Kontroversen um die Anwendung von Seuchenrecht und Meldepflicht, Isolierung und Tests verweist sie häufig auf die Position des Bundesgesundheitsamtes oder auf die Aussagen „von Sozialmedizinern“. Auch dabei kann man allerdings voll danebenhauen: „Die derzeit vielversprechendste Möglichkeit, die Ausbreitung von Aids zu stoppen, besteht nach Ansicht von Sozialmedizinern in der Motivierung von Risikogruppen, sich freiwillig einem Test zu unterziehen“ (S.187). Der Test als wichtigste Waffe gegen das Virus? Das ist leider Humbug, zumal Frau Mölling zuvor selbst verschiedene Argumente gegen die Test-Manie gesammelt hat. Sie schreibt zum Beispiel, daß gerade in der Anfangsphase der Infektion „die Ansteckungsgefahr für andere am größten ist - also zu einem Zeitpunkt, an dem der Infizierte noch gar nichts von seiner Ansteckung weiß und der Antikörpertest noch negativ ausfällt“ (S. 165).

Auch die in vielen Veröffentlichungen enthaltene und von Karin Mölling wiederholte These, daß „die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken von der Partnerfrequenz abhängt“, ist so, wie sie dasteht, falsch. Es geht vorrangig um die Art und nicht um die Zahl der Kontakte. Zehnmal Safer Sex ist eben weniger gefährlich als fünfmal mit Gottvertrauen. Und hundertmal gemeinsames Onanieren mit hundert verschiedenen Partnern ist trotzdem risikolos.

Auf acht Prozent schätzt „man“, so schreibt die Autorin, die Zahl der Bisexuellen. Wer schätzt? Auf welcher Grundlage? Kein Mensch weiß, wieviele Menschen homo-, hetero - oder bisexuell sind. Und keiner wird es je rauskriegen. Und das ist gut so. Vielleicht haben ja sogar alle ein bißchen von allem. Das wäre doch ein schönes Durcheinander! Die lautlose Explosion

ein Virus wird gekocht

Der schwedische Arzt Michael G.Koch hat sein zweites Buch zum Thema vorgelegt: Aids - die lautlose Explosion. „Es ist ab heute sinnlos, sich zur Aids-Problematik zu äußern, ohne dieses Buch gelesen zu haben“, tönt der Klappentext. Ob der Autor oder der Verlag größenwahnsinnig geworden sind, war bis Redaktionsschluß nicht zu erfahren.

Kochs Buch ist ein Frage- und Antwortspiel. Der ehemalige Berater der bayerischen Landesregierung hat sich selbst „100 Fragen zur Seuchenpolitik“ gestellt und die „Antworten eines Widerständlers“ (seine eigenen) dazu aufgeschrieben. Das Buch ist aus einer Position der Defensive geschrieben. Hier steht jemand unter Druck, hier verteidigt sich der kometenhaft aufgestiegene schwedische Arzt, der als Gauweiler-Intimus sein Renommee verspielt hat. Hier macht sich jemand selbst Vorwürfe (in Form von 100 Fragen), um sie anschließend wortreich zu entkräften. Ein Versuch des Befreiungsschlages gegen seine Kritiker. Selbst der „Landarzt“, der Koch oft arrogant-polemisch unter die Nase gehalten wurde, taucht hier als Frage auf. Koch: „Ich nehme diese Bezeichnung als Ehrentitel auf.“

Koch will die „Politisierung des Aids-Themas“ rückgängig machen und ideologische Stellungnahmen verhindern, verspricht er am Anfang. Doch sein Buch ist nur und ausschließlich politisch und ideologisch. Hat er in seinem ersten Band (Aids - vom Molekül zur Pandemie, taz vom 19.1. 1988) mühsam Tausende von Quellen ausgewertet und Fakten in Fülle zusammengestellt, geht es diesmal nur um die Strategie der Aids-Bekämpfung, um die Rechtfertigung des Hardliner-Kurses. Gauweiler, so schreibt er, sei „im Dschungel von Ignoranz, Desinformation, verdrehtem Rechtsgefühl und verqueren Ansichten mit der Machete vorangegangen“. Und Koch ist ihm mit dem Hackebeil gefolgt.

Seine Sprache ist deftig, populistisch und: demagogisch. Da wird gegen das „Soziologen-Rotwelsch“ des Berliner Aids -Experten Rosenbrock gewettert, dort gegen die Sexualideologie „von Cohn-Bendit und seinen Jüngern“, die „diese Jugend wie schon andere Volksverführer vor ihnen in den Tod verleitet haben“. Ein Haß auf die 68er und ihre sexuelle Revolution bricht durch und kaum verhehlte Schadenfreude, daß Aids all jenen, die in „grenzenloser sexueller Freizügigkeit“ lebten, endlich „den Teppich unter den Füßen wegzieht“.

Mit diesem Buch legt Koch die Karten offen auf den Tisch. Der „Libero gegen das HIV“ kämpft nicht nur gegen Aids, sondern gegen Sex. Mit verqueren Analogien rechtfertigt er seine Strategie. Den HIV-Test vergleicht er mit dem Alkohol -Test bei Autofahrern (S. 95). Und von denen blase doch auch keiner freiwillig ins Röhrchen. Im übrigen sei der Begriff „Zwangstest“ tendenziös. Es sage ja auch keiner Zwangsbeschulung, sondern Schulpflicht. An anderer Stelle wird der Aids-Test mit dem Blutzuckertest für Diabetiker verglichen, und schließlich der Sex von Infizierten mit einer Vergewaltigung. Der Wissenschaftler Koch hat sich mit diesem Buch verabschiedet. Geblieben ist ein trotziger Law -and-Order-Man, der in Deutschland aufräumen will. Dimensionen einer

Bedrohung

Der Aids-Komplex - Dimensionen einer Bedrohung ist ein von Ernst Burkel herausgegebener dicker Schinken. Der Berliner Arzt hat zwei Dutzend Autoren um sich versammelt, die das Thema „rundum“ abdecken. Die Hardliner M.G. Koch (siehe oben) und der Frankfurter Arzt W.Stille sind in diesem Buch lesbar. Stille, der sonst schon mal über den Zusammenbruch der Kühlschrankproduktion wegen der Zunahme der Aids-Erkrankungen räsoniert, bleibt hier bemerkenswert sachlich. Offenbar wurde gut redigiert.

Wer sich über die Mischung der Autoren von moderat liberal bis bayerisch seuchenrechtlich wundert, der sollte an die Vermarktung denken, wo es eben nicht um politische Positionen, sondern um Namen geht. Gut und spannend ist Burkels Reader durch eine Reihe von Einzelbeiträgen zu Aspekten, die sonst in der Aids-Diskussion kaum eine Rolle spielen. So beleuchtet Manfred Bergmann die Rolle der Pharmaindustrie im Kampf gegen Aids, die genau diesen Kampf verweigere. Karl-Otto Hondrich schreibt über Risikosteuerung durch Nicht-Wissen. Wie können wir damit klarkommen, daß wir über diese Krankheit und dieses Virus so wenig wissen? Welchen Schutz bietet das Nicht-Wissen von der eigenen Infektion?

Die Ökonomischen Auswirkungen von Aids werden ausführlich diskutiert, auch das Versicherungsrisiko Aids war dem Herausgeber einen eigenen Aufsatz wert. Und hier wäre auch der wichtigste Einwand vorzubringen: Trotz einem eigenen Schwerpunkt „Individuum“ dominiert die Sichtweise von außen, der distanzierte Blick auf ein Phänomen: Aids. Die Probleme der Versicherungsgesellschaften sind zum Beispiel wichtiger als die der Aids-Hilfen. Aids als „Herausforderung an den Verfassungsstaat“ wird diskutiert, die schwule Identität im Zeichen von Aids eben nicht.

Die versammelte Autorenschaft hat durchweg Renommee und reicht vom 'Zeit'-Redakteur (Klingholz) bis zum Philosphie -Professor (Löw). Angesichts versammelter Professorenschaft wird sich niemand über den zuweilen hölzernen Stil wundern. In jedem Fall: Jede Menge Lesestoff und ein brauchbarer Überblick.

Manfred Kriener

Karin Mölling: Das Aids-Virus, Edition Medizin, VCH -Verlagsgesellschaft 1988, 265 Seiten, 48 Mark.

Michael Koch: Aids - die lautlose Explosion, Nomos-Verlag 1988, 250 Seiten, 36 Mark.

Ernst Burkel (Hrsg.): Der Aids-Komplex, Ullstein 1988, 460 Seiten, 48 Mark.

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