: „Wir haben das Recht, unsere Regierung zu wählen“
Interview von Simone Lenz mit dem Sohn des Vorsitzenden der Mudschaheddin-Siebener-Allianz Sibghatullah Mudjaddedi ■ I N T E R V I E W
taz: Die Zerstrittenheit der Mudschaheddin-Führer macht Schlagzeilen. Wo sehen Sie die größten Differenzen?
Mudjaddedi junior: Bei den Mudschaheddin innerhalb Afghanistans gibt es keine großen Differenzen. Es gibt ein gemeinsames Ziel, die Kommunisten in Afghanistan zu schlagen. Auf der Ebene der politischen Parteien kann man derzeit allerdings zwei Fraktionen ausmachen. Einmal jene, die in westlichen Medien gemeinhin als die moderaten Gruppierungen bezeichnet werden. Sie treten für das Recht des afghanischen Volkes auf Selbstbestimmung ein und kämpfen für eine gewählte Volksvertretung. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten Extremisten. Sie haben verglichen mit anderen Gruppen zwar keine geringe Anhängerschaft, die ihnen allerdings nicht unbedingt wegen der politischen Ideen, sondern vielmehr aus materiellen Motiven folgt. Die meisten dieser Kommandeure haben bereits Kontakte zu uns aufgenommen und kommen zu uns.
Wir, das heißt die drei moderaten Parteien, gehen davon aus, daß die Menschen ein Recht darauf haben, ihre Regierung zu wählen. Nach unserer Vorstellung könnte sich dies im Rahmen einer Loya Djirga abspielen, die in der Vergangenheit immer dann zusammentrat, wenn das afghanische Volk ein Problem zu lösen hatte. Diese Zusammenkunft des afghanischen Volkes, repräsentiert durch die Stammesoberhäupter, die Kommandeure, die Intellektuellen, den Klerus und die Vertreter der Flüchtlinge, sollte den zukünftigen Führer Afghanistans wählen. Wir sind nicht gegen freie Wahlen, sehen allerdings im Moment keinen Weg, diese abzuhalten.
Die Schia-Mudschaheddin behaupten 33 Prozent der Bevölkerung zu stellen. Werden Sie ihnen eine repräsentative Vertretung in einer zukünftigen Regierung einräumen?
Ich teile die Zahlenangabe nicht, aber ich glaube wohl, daß die Schia einen beträchtlichen Bevölkerungsanteil ausmachen. Sie sollten an einer zukünftigen Regierung partizipieren, keine Frage.
Welches Rehabilitationskonzept haben Sie für jene Leute, die mit dem PDPA-Regime kooperiert haben?
Sie sprechen über das Marionettenregime? Unsere Position ist auch hier sehr klar, wir können keine kommunistischen Mitglieder einer zukünftigen afghanischen Regierung akzeptieren. Aber wir können jene Leute akzeptieren, die keine kommunisten sind und dennoch mit der Kabuler-Regierung zusammenarbeiten oder gearbeitet haben. Keine große Zahl, aber durchaus nicht unbedeutend für unsere zukünftige Struktur.
Wie sehen Sie die Rolle, die die Sowjets Zahir Shah einräumen unter dem Gesichtspunkt, daß Radikalfundamentalist Hekmathiar als entschiedener Gegner des Ex-Königs aufgetreten ist und seit jeher verkündet, daß niemand über seinen Kopf hinweg Afghanistan regieren könne.
Prinzipiell gehen wir davon aus, daß jeder, der Muslim ist und der von der Mehrheit des afghanischen Volkes akzeptiert wird, auch von unserer Partei getragen werden kann. Sollte dies Zahir Shah sein, werden wir ihn fraglos unterstützen. Wenn Herr Hekmathiar dies nicht akzeptieren kann, wird er damit eine Menge Schwierigkeiten bekommen.
Die Mudschaheddin behaupten, Kabul nach dem Truppenabzug einnehmen zu können, sie versuchen sich aber noch immer an der Einnahme von Dschalalabad. Wie kommen Sie also zu der Einschätzung, Sie könnten Kabul nach dem Truppenabzug einnehmen?
Ich war persönlich an den Kämpfen um Dschalalabad beteiligt. Wir hatten die schweren Kämpfe um Dschalalabad eingestellt, weil wir sicher sein wollten, daß wir Dschalalabad nach einer Einnahme auch kontrollieren können. In zehn Tagen könnten wir die Stadt einnehmen. In zweieinhalb Stunden konnten wir mit der Hilfe von Nefa, einer anderen Mudschaheddin-Partei, alle die Städte auf dem Weg dorthin einnehmen.
Sie wollen sich also zuerst einer zivilen Administration sicher sein?
Zunächst streben wir eine bessere Kooperation mit der Zivilbevölkerung an als Nadschibullahs Marionettenregime. Wenn das einmal gschafft ist, hoffen wir, das Leute aus der PDPA-Regierung, zu denen wir bereits Kontakt aufgenommen haben, zu uns überlaufen.
Wie sieht es mit Racheakten aus; befürchten Sie in Afghanistan ein Blutbad?
Ich denke nicht. Es kann sein, daß es in manchen Gegenden zu Übergriffen kommt. Aber wenn wir erst einmal eine starke vom Volk gewählte Regierung haben, sollte sie in der Lage sein, diese Kräfte zu entwaffnen. Die Differenzen, die sie hier in Peshawar unter den Führern der Siebener-Allianz beobachten können, finden sie nicht innerhalb von Afghanistan. Dort kooperieren alle Gruppierungen, bis auf eine, die immer wieder Probleme schafft. Die Direktgespräche haben gezeigt, daß die Sowjets Afghanistan verlassen wollen. Vielleicht haben die ersten Gespräche noch keine Lösung gebracht, aber ich bin sicher, daß weitere Gesprächsrunden dazu beitragen werden.
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