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Proschtschai Ronnie

■ Sowjetische Medien verabschieden scheidenden US- Präsidenten / Prawda gesteht, daß sie Reagan unterschätzt hat

Moskau (dpa/taz) - Die sowjetische Presse will Reagan offenbar nicht nur als Autor des Bonmots vom „Reich des Bösen“ und Urheber des schlechten Witzes von der Vernichtung der Sowjetunion in fünf Minuten auf Knopfdruck in Erinnerung behalten. Unter der Überschrift „Reagans beste Rolle“ würdigte die 'Prawda‘ am Freitag in Moskau den US -Präsidenten. „Wir müssen gestehen, daß wir alle Ronald Reagan nicht nur oft unterschätzt, sondern auch stark vereinfacht haben“, schrieb das Blatt. „Wir haben seine einfache Erscheinung für Einfältigkeit gehalten, seine Rhetorik für sein Wesen, seine demonstrative Härte für mangelnde Flexibilität.“ Das Parteiorgan würdigte das „ausgezeichnete politische Gehör“ Reagans, das ihn befähigt habe, „die Stimmungen im Lande zu hören, daraus herauszufiltern, was Erfolg versprach und danach zu handeln“.

Der außenpolitische Kommentator der 'Iswestija‘, Melor Sturua, meinte, man könne Reagans Erfolge nicht auf sein vielgerühmtes Kommunikationstalent reduzieren und in ihm lediglich ein „kinematographisches Wunder“ erblicken, das „an die Ufer des Potomac katapultiert“ worden sei. Reagan, der sich selbst gern als Cowboy im Sattel dargestellt habe, sei unversehens in die Rolle des Heiligen Georg mit der Lanze geraten, der den Drachen der weltweiten Kriegsgefahr niederzwinge. Sturua zitiert in diesem Zusammenhang den Satz des amerikanischen Philosophen Emerson „Es sind die Ereignisse selbst, die im Sattel sitzen und galoppieren“. „Die bloßen Fakten des Lebens, aus denen sich die Geschichte fügt, und zwar ... nicht die Hollywoodversion, haben Reagan gezwungen, das Wort vom 'Imperium des Bösen‘ zurückzunehmen und seine Unterschrift unter den INF-Vertrag zu setzen“. Den Grund für den Wandel nennt Sturua gleich mit: „Ohne unsere Perestroika wäre es auch nicht zu einer Perestroika Reagans gekommen. Das neue politische Denken und die neue Weltsicht diktieren uns den Schulterschluß.“ Er erinnert an den Titel des letzten Filmes, in dem Reagan mitwirkte, „Die Mörder“: „Es ist zu wünschen, daß die letzte Fortsetzung seines Lebensfilmes, in der er das Weiße Haus verläßt und die Staffette George Bush übergibt, Kontinuität heißt.“

BK

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