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„Wirklich kein Land in Sicht“

Wohnungsbauexperten wie Bernd Bartholmai, Referent für Wohnungswirtschaft beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, stellen düstere Prognosen  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Bartholmai, vor einigen Jahren hat man noch ernsthaft über Abrißprämien für Neubauwohnungen diskutiert. Heute gibt es in den Schlangen der Wohnungssuchenden schon handgreifliche Auseinandersetzungen. Die Mieten schnellen in astronomische Höhen. Da muß doch wohl etwas schief gelaufen sein in der Wohnungspolitik, oder?

Bernd Bartholmai: Das waren zum Teil Fehleinschätzungen der Marktsituation, wobei man einräumen muß, daß man den Politikern keinen allzugroßen Vorwurf machen kann, weil diese andere Beurteilung des Wohnungsmarktes sich erst in den letzten zwei, drei Jahren ergeben hat. Bei genauer Analyse der Daten hätte man jedoch manches wissen können, was sich jetzt als Fehlentwicklung abzeichnet.

Die Schlangen bei den Wohnungsämtern und -unternehmen waren doch unübersehbar. Hat man nur auf die Statistik gestarrt und die Realität für falsch erklärt, weil sie mit der Statistik nicht übereinstimmte?

Man hat einfach die Entwicklung der Bevölkerung falsch prognostiziert und den Wohnungsbestand überschätzt. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß wir noch 1984/85 Wohnungsüberangebote hatten. Dennoch hätte eigentlich niemand übersehen können, daß es in den Ballungsgebieten einen starken Wohnungsbedarf gab. Man hätte auch an der Statistik ablesen können, daß die Zahl der Mietwohnungen, die pro Jahr gebaut worden sind, in den letzten vier Jahren von 90.000 auf 20.000 gesunken ist. Man hätte diese Daten, die allen Politikern zugänglich sind, besser interpretieren müssen.

Müßte man nicht als Bundesbauminister angesichts solcher Fehleinschätzungen einen Offenbarungseid ablegen?

Der Bundesbauminister hat ja erst kürzlich vor der Presse eingeräumt, daß in den letzten Jahren auch nach seiner heutigen überzeugung etwa 50.000 Wohnungen zuwenig gebaut worden sind. Seine Entschuldigung ist, daß er vom Finanzminister die Gelder für die öffentliche Förderung nicht bewilligt bekommen hat. Letztlich muß man daher schon die Regierung verantwortlich machen. Das Konzept der Bundesregierung seit der Wende war ja, auf Marktmechanismen zu setzen. Über die stärkere Anhebung des Mietpreisniveaus sollte der Mietwohnungsbau von alleine in Gang kommen. Ich war immer skeptisch gegenüber einer Politik, die nur auf Marktmechanismen setzt, weil der Mietwohnungsmarkt nicht nach den simplen Beziehungen von Angebot und Nachfrage funktioniert. Über die Marktmechanismen kommt allenfalls der Bau von Luxuswohnungen in Gang, und der nützt den meisten Mietern gar nichts.

Wir haben den sozialen Wohnungsbau gehabt; dieses Modell ist sowohl städtebaulich als auch finanziell eher abschreckend.

Ich teile Ihre Auffassung, daß dabei, besonders in Berlin, nicht gerade Musterhaftes herausgekommen ist - im Gegenteil. Trotzdem wird kaum ein Weg an dieser öffentlichen Förderung vorbeiführen. Nur gibt es vielleicht eine zusätzliche Aufgabe des Staates - nämlich zu prüfen, was und zu welchen Kosten gebaut wird. Über die Bewilligung der Förderung müßte stärker in die Art der Bauausführung, der Architektur und des kostenbewußten Bauens eingegriffen werden. Bisher spielten die Kosten für die Bauherren meist gar keine Rolle, weil das Modell so angelegt war, daß die Differenz der Kosten vom Staat getragen wurde, ohne daß der Bauherr ein echtes Risiko hatte.

Wann können die Mieter mit einer verbesserten Situation rechnen, und werden die jetzigen Mieten überhaupt noch einmal wieder herunterzudrücken sein?

Das Mietniveau hat niemals nach unten tendiert, und der beschleunigte Mietanstieg wird nicht einmal leicht zu dämpfen sein. Wir bräuchten eine Steigerung des Wohnungsbaus um einige hundert Prozent und nicht um zehn, wie jetzt das Bauministerium ankündigt. Von daher ist wirklich kein Land in Sicht.

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