: NRW: Gegen Strukturreform und Asten
■ Seit Dezember machen Nordrhein-Westfalens StudentInnen gegen die Strukturreform der Landesregierung mobil / Studentische Kritik an politischen Hochschulgruppen und verfaßter Studentenschaft
Köln (taz) - In Wuppertal müssen Klausuren in einer Bahnhofsgaststätte geschrieben werden, in der Mensa der Bonner Universität sind die Sitzplätze knapp und an der Kölner Uni werden Ferienkurse in Latein von einer unbezahlten Hilfskraft geleitet. Auch im SPD-regierten Nordrhein-Westfalen sind die Universitäten fast systematisch verelendet worden: Die Gelder wurden nicht mehr aufgestockt oder gekürzt, Stellen wurden abgezogen und trotz steigender Studentenzahlen passierte in puncto Baumaßnahmen faktisch nichts.
Dennoch hat es auch in der „dichtesten Hochschullandschaft Europas“ (NRW-Ministerin Anke Brunn) lange gebraucht, bis sich gegen die immer unhaltbarer werdenden Zustände ein bißchen Widerstand regte. Es war der „Hochschul -Strukturplan“ aus dem Hause von Wissenschaftsministerin Anke Brunn, der das Faß zum Überlaufen brachte, lange bevor in Berlin und anderswo von „UNiMUT“ die Rede war. Schon Anfang Oktober, als das Wintersemester noch nicht richtig begonnen hatte, traten in Bonn die GermanistInnen in einen dreitägigen Streik. Und fünf Wochen später hatten die StudentInnen in Bonn schon die erste Demonstration mit 6.000 Leuten auf die Beine gestellt. Der Funke sprang auf die anderen Städte im Ruhrgebiet über: Vollversammlungen und Diskussionsforen brachten die StudentInnen fast täglich zusammen. Am 1.Dezember reisten dann 20.000 DemonstrantInnen in die Landeshauptstadt, um lautstark die Rücknahme des „Strukturplans“ einzufordern.
251 Stellen will Ministerin Brunn 1989 den Hochschulen entziehen und neu verteilen. 600 Stellen sollen es insgesamt bis 1991 sein. Der überwiegende Teil soll den überfüllten Geistes- und Kulturwissenschaften genommen werden. Ganze Studiengänge sollen eingestellt werden. Wohin gehen diese Stellen?
Anfang Januar hat Anke Brunn die Liste für dieses Jahr vorgelegt: Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Technologietransfer und das Computerinvestitionsprogramm bilden die Schwerpunkte der „Erneuerung“, die Brunn den Hochschulen verordnet. Die Stoßrichtung hat die Landesregierung nach monatelanger Geheimhaltung in dem im Sommer 1987 veröffentlichten Papier „Perspektive der Hochschulentwicklung - Grundsatzentscheidungen“, besser bekannt als Strukturplan, festgelegt. „Leistungsfähige Hochschulen sind eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen des Anpassungsprozesses der nordrhein-westfälischen Wirtschaft und zum Erhalt ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es da. Kein Zufall also, daß angesichts des EG-Binnenmarktes 1992 die Hochschulen spätestens 1991 auf Leistung für die Wirtschaft getrimmt werden sollen. Auch kein Zufall, daß das Brunnsche Vokabular den EG-Programmen zur Hochschule entnommen scheint. Die EG stellt einen „steigenden Bedarf an Humanressourcen für die neuen Spitzentechnologien“ fest, und Frau Brunn sieht in den Studenten als „Humankapital“ „eine der wichtigsten Ressourcen unseres Landes“.
Mit der Ankündigung des Ministeriums im Dezember 1987, per Rechtsverordnung die Philosophische Fakultät der TH Aachen so abzubauen, daß dies einer Schließung gleichkommt, begannen die Kämpfe gegen die Umsetzung des Strukturplans in Nordrhein-Westfalen. „Wir, die Studierenden der RWTH Aachen...erklären unsere Bereitschaft zum politischen Kampf und Streik, bis die Streichungspläne und und das Perspektivpapier zurückgenommen werden.“ Kurz vor Beginn des Wintersemesters 1988/89 wurden die Institute informiert, welche Stellen sie zur Umwidmung freizugeben haben. Besonders provozierte die StudentInnen, daß ihr Recht auf Studium einer sozialdemokratischen Regierung so wenig gilt. In Münster zogen StudentInnen zum SPD-Parteibüro, an anderen Unis forderten sie in Briefen die SPD-Landtagsabgeordneten auf, dem Strukturplan nicht zuzustimmen. Neu war an den Hochschulen die Einheit zwischen StudentInnen und ProfessorInnen, die in diesem Semester zum ersten Mal seit langem gemeinsam demonstrierten. Positiv war auch die Resonanz in der Bevölkerung: In Köln sammelten StudentInnen auf der Straße innerhalb weniger Tage 6.000 Unterschriften.
Die heftige Bewegung im Wintersemester hat in schonungsloser Weise auch die Sicht auf einige politische Probleme freigespült. Durchgängig ist der Konflikt mit denjenigen, die bisher das Monopol auf Hochschulpolitik beanspruchten, die Asten und die sie tragenden politischen Gruppen. Sie haben die Bewegung entweder verschlafen, beschäftigten sich mit sich selbst oder stellten sich ihr sogar in den Weg. In Köln wurde die Asta-Vertreterin auf der Kundgebung gegen den Strukturplan ausgepfiffen. In Duisburg besetzten mehrere StudentInnen aus Verärgerung tagelang die Asta-Räume. Die Bonner Studentenzeitung Akut schrieb im Dezember: „Scheiß Asta, Scheiß Hochschulgruppen, die Rechten: zum Kotzen, die Linken: ekelhaft.“ Und stellt schließlich die Frage: „Wäre es nicht besser, in die außerstudentenparlamentarische Opposition zu gehen?“
Damit ist ein zweites Problem angesprochen, das mit dem ersten zusammenhängt: die eigene Organisierung der StudentInnen. Überall haben sich die StudentInnen ihre Organe geschaffen oder neu belebt: Fachschaften, Aktionsausschüsse, Seminarkoordinationen, Streikkomitees, Besetzerräte; doch letztendlich reichen sie nicht aus. Die notwendige universitätsübergreifende Organisierung ist bisher nicht gelungen. Schon die informellen Kontakte zwischen den Universitäten sind eher Zufall. Aber auch an jedem einzelnen Studienort bleibt die Frage: Wie kann der Widerstand der StudentInnen Kontinuität bekommen, selbst wenn die Mobilisierung zeitweise zurückgeht?
Moser/Schüle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen