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C-Waffenentsorgung dauert Jahrzehnte

■ Kampfmittelbeseitungsanstalt vernichtet heute noch Giftgas aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg / Unschädlichmachen einer Granate kostet 8.500 Mark / Noch immer vergrabene C-Waffen in der BRD

Munster (ap)- Der Streit um die angebliche libysche Chemiewaffenfabrik hat erstmals öffentlich deutlich gemacht, wie leicht chemische Kampfstoffe herzustellen sind. Doch die Hypothek für kommende Generationen, die sich mit den Langzeitfolgen der giftigen Produkte herumschlagen müssen, hat bisher kaum jemand in den Griff bekommen. An vorderster Front bei diesen Bemühungen steht die Bundeswehr, die sich im niedersächsischen Munster noch heute mit Giftgas aus Kaisers Zeiten herumschlägt.

„Wir beenden hier den Ersten und den Zweiten Weltkrieg“, sagt Hauptmann Robert Zellermann, Chef der Kampfmittelbeseitigungsanstalt in Munster. Der Offizier und seine Feuerwerker sind mit ihrer Anlage, der modernsten in Europa, inzwischen die Spezialisten für C-Waffen aus deutscher Vergangenheit.

In großen Bunkern lagern hinter mehreren Stacheldrahtverhauen tonnenweise Granaten mit Giftstoffen wie Tabun, Lost oder Phosgen - Versuchsmunition und Blindgänger, die sich seit dem ersten Giftgaseinsatz der deutschen Truppen 1915 auf dem Truppenübungsplatz Munster angesammelt haben.

„Man müßte jedem, der Chemiewaffen produzieren will, einmal vorführen, was die Entsorgung kostet“, meint Zellermann lakonisch. Sein Vorgesetzter Josef Rottländer, Oberst und Kommandant des Truppenübungsplatzes, hat das im vergangenen Jahr ausgerechnet. Für die Bergung und das Unschädlichmachen nur einer einzigen Kampfstoffgranate - der Begriff „Giftgas“ ist, weil irreführend, bei den Experten verpönt - kamen Personal- und Sachkosten von 8.500 Mark zusammen. Darin ist die Verbrennung des isolierten Giftes im Hochtemperaturofen der benachbarten Wehrwissenschaftlichen Dienststelle für den ABC-Schutz noch nicht einmal berücksichtigt.

Zwar können die Sowjetunion, deren Experten sich bereits 1987 in Munster umsahen, und die USA ihre chemischen Waffen kostengünstiger entsorgen - aber nur, weil sie über große Stückzahlen der gleichen C-Waffen verfügen und dazu natürlich auf ihre eigenen Konstruktionsunterlagen zurückgreifen können. Zellermann und seine Männer dagegen müssen sich mit Kampfstoff-granaten befassen, die es nur in wenigen Exemplaren gibt, von deren Inhalt niemand mehr etwas weiß und für die es auch schon längst keine Pläne mehr gibt.

Die unterschiedlichen C-Waffen, die der Truppe die Arbeit erschweren, stammen aus der Geschichte Munsters. Bereits 1916 wurden dort drei Werke für die Produktion chemischer Kampfstoffe gebaut. Im Dritten Reich ließen die Nazis auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Kampfstoffgranaten montieren. In all diesen Jahren wurde die giftige Munition in Munster auch erprobt, und die nicht explodierten Granaten lagen unentdeckt auf dem Gelände.

Seit 1956 bemühen sich in Munster Experten der Bundeswehr, mit den Kampfstoffen fertigzuwerden. Die moderne Anlage allerdings, in der zum Beispiel Granaten ferngesteuert und videoüberwacht zerlegt werden können, wurde erst Ende der 80er Jahre gebaut. Bis zur Sprengkraft von 16 Kilogramm TNT, das entspricht zwei Panzerminen, hält der „Delaborationsstand“ aus, in dem der Sprengstoff einer Kampfstoffgranate von dem oftmals unbekannten chemischen Inhalt getrennt wird.

Rund 350 Tonnen mit Kampfstoffen verseuchter Erde und rund 70 Tonnen bereits entdeckter Kampfstoffmunition lagern in Munster. Hinzu kommen in einer besonders abgeschirmten Halle bereits isolierte Kampfstoffe, die für die Verbrennung bestimmt sind, und Tiefbunker mit Geschossen, die ein homogenes Gemisch aus Kampfstoff und Sprengstoff enthalten.

Ein Ende ihrer Arbeit sehen die Experten in Munster nicht: An vielen Stellen in der Bundesrepublik sowie in Nord- und Ostsee liegen immer noch C-Waffen, die nach den verlorenen Kriegen einfach vergraben oder ins Wasser geworfen wurden.

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