: Ein Tag Zivilcourage
■ Kieler BriefträgerInnen trugen DVU-Post nicht aus
Berlin (taz)- 59.897 BriefträgerInnen taten offiziell, wozu Postminister Schwarz-Schilling sie verdonnert hatte. 104 ZustellerInnen indes bewiesen öffentlich Zivilcourage. Sie weigerten sich in den letzten beiden Wochen, die ausländerfeindlichen Pamphlete der „Deutschen Volksunion“ (DVU) als Postwurfsendung in die Briefkästen zu stecken.
Die Mehrzahl der renitenten Postbediensteten - genau 102 läuft sich in Kiel die Hacken ab. Dort verteilten am vorletzten Samstag neun Gewerkschafter Handzettel in der Fußgängerzone und forderten die Passanten zum Protest gegen das Postministerium auf. Diese Behörde kassierte über drei Millionen Mark Gebühren für die „Erledigung eines ganz normalen Auftrages“ der DVU, so eine Sprecherin zur taz. Dagegen fürchteten die Kieler BriefträgerInnen, sich wegen Volksverhetzung strafbar zu machen.
Deshalb bemühten sich zwei Postler mit Unterstützung der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) letzte Woche um eine einstweilige Verfügung gegen die Oberpostdirektion. Die war schneller. Sie verlangte am letzten Montag morgen von den im Zustellersaal versammelten 168 Kieler ZustellerInnen, die Schreiben der rechtsradikalen Partei auszutragen. Der zuständige DPG-Sekretär ermutigte die KollegInnen, die Entscheidung der Gerichte abzuwarten. Daraufhin drohte ein Abteilungsleiter mit arbeits- und disziplinarrechtlichen Maßnahmen. Erfolglos: In der Abstimmung blieben 102 von 168 Beschäftigten standhaft.
Doch am gleichen Abend ergriff der Amtsvorsteher der Kieler Post, zugleich DPG-Mitglied, auf der Jahreshauptversammlung der Gewerkschaft das Wort und ließ sich nicht davon überzeugen, den Gerichtsentscheid abzuwarten, sondern kündigte für den nächsten Tag „Maßnahmen“ an. So schleppten die KollegInnen am nächsten Morgen das DVU-Zeug zumindest aus dem Postamt heraus. Damit gibt sich das Postministerium zufrieden: „Die Zustellpflicht ist zwar verspätet, aber doch erfüllt“, hieß es gestern in Bonn, wo man angeblich nur von bundesweit zwei hartnäckigen Verweigerern weiß, „gegen die disziplinarisch vorgegangen wird“.
Petra Bornhöft
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