: Warnung vor Verwaltigern - Panikmache oder Schutz?
■ Die taz diskutierte mit zwei Mitarbeiterinnen des „Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen“, Monika und Dorothee, über die geballt in Zeitungen und Zeitschriften erscheinenden Warnanzeigen des „Notruf“ / Frauen sollen sich mit der Angst vor Vergewaltigern auseinandersetzen
taz: Seit Wochen lese ich auf der taz-Kleinanzeigenseite eure Warnanzeigen. Daraus muß ich entnehmen, daß ich mich als Frau nachts in Kreuzberg besser nicht auf die Straße trauen sollte: am Mariannenplatz lauert mir ein Typ auf, in der Eisenbahnstraße grapscht ein Mann Frauen an, am Springerhochhaus werde ich von einem Typ verfolgt, und auch am Mehringdamm, so warnt ihr, heißt es „Achtung Frauen!“ Was glaubt ihr eigentlich, was solche Anzeigen bei Frauen bewirken können?
Notruf: Ich denke, einerseits lösen solche Anzeigen sicher eine gewisse Angst aus, die Angst: oh, er kommt näher. Die Konsequenz daraus kann sein, daß Frauen sich deshalb mehr mit ihrer Angst auseinandersetzen. Und das ist auch das Ziel, das wir mit diesen vielen Anzeigen verfolgen. Das andere Ziel ist, daß Frauen genau informiert werden und nicht blind in eine Gefahr reinlaufen. Dann sind sie in der Situation vielleicht auch nicht mehr so hilflos.
Nun sind Männer keine eingesperrten Tiere. Auch Vergewaltiger können sich von einem Ort zum anderen bewegen. Warum so konkrete Ortsbeschreibungen, die sich meist auf SO36 konzentrieren?
Daß bestimmte Bezirke häufiger genannt werden, kommt nur dadurch zustande, daß uns aus diesen Bezirken Frauen benachrichtigen. Aber irgendwann sind einmal alle Bezirke erwähnt. Die Anzeigen sollen auch ausdrücken, daß es überall Vergewaltiger gibt und Frauen überall aufpassen müssen.
Und das wissen Frauen nicht ohnehin schon?
Um die Angst nicht zu verdrängen, braucht es wirklich einen Anstoß. Sicher haben Frauen instinktiv und überall Angst, aber der Verdrängungsmechanismus ist sehr stark.
Mir reicht die Angst, die ich ohnehin schon habe, vollends aus. über Angst Bewußtsein zu schaffen, ist das der richtige Weg?
Einigen Frauen ist es tatsächlich unangenehm, noch einmal auf diese konkrete Angst gestoßen zu werden, aber das kann nicht heißen, daß wir damit aufhören sollten. Unsere Anzeigen holen ja auch höchstens eine vorhandene Angst aus dem Unterbewußtsein hoch. Die Angst ist ja da, die kommt ja nicht von nichts.
Aber muß man sie dehalb noch größer machen? Diese Angst steht doch auch gegen ein Lebensgefühl und eine nächtliche Bewegungsfreiheit, die Frauen sich gerade erst mühsam erkämpfen.
Dann steht diese Freiheit aber auf ganz wackeligen Füßen, wenn sie schon durch unsere Anzeigen gefährdet wird. Die Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit kommt ja auch nicht von unseren Anzeigen, sondern von der potentiellen Gefahr einer Vergewaltigung. Es sind die Männer, die uns den Raum nehmen.
Die Anzeigen lösen ja nicht nur Angst aus, sondern sie sollen auch Mut machen. Vielleicht ist es ein bißchen billig, unter die Anzeigen zu schreiben: „Frauen, paßt auf!“ Aber es ist zumindest ein Weg, der zeigt: du kannst auch etwas tun, indem du z.B. mit einer Trillerpfeife herumläufst, andere Frauen ansprichst oder dich sogar „bewaffnest“.
Eine Art der Auseinandersetzung, die wir mit den Anzeigen erreichen wollen, ist auch, daß Frauen sich überlegen, was sie machen würden, wenn sie angegriffen werden. Durch die gedankliche Auseinandersetzung legst du dir vielleicht ein Hilfsmittel zurecht und hältst die Schrecksekunden, von denen die Typen profitieren, möglichst gering.
Ihr könntet aber doch auch allgemeine Verhaltenratschläge geben. Warum diese konkreten Ortsangaben, die Angst machen, und warum die Täterbeschreibungen, die jedoch so allgemein sind, daß sie auf jeden dritten Mann zutreffen? 1,80 groß, dunkelblond, heller Anzug. Ist das, was ihr wollt, daß jede Frau jeden Mann als potentielle Gefahr ansehen soll?
Das sollten Frauen nicht tun, sondern sie tun es ohnehin. Wenn ein Mann nachts auf der Straße mit dir zusammen den Schritt beschleunigt oder verlangsamt, dann ist er eine potentielle Gefahr!
Warum dann die Personenbeschreibungen in euren Anzeigen?
Daß die Beschreibungen so allgemein sind, daß sie auf jeden dritten Mann zutreffen, liegt daran, daß wir keine genaueren Beschreibungen bekommen. Die Frauen gucken sich die Typen nicht so genau an. Wir wollen aber trotzdem einen gewissen Anhaltspunkt geben.
Diese Anzeigen haben ja Ähnlichkeit mit Fahndungsaufrufen. Haben sie jemals dazu geführt, daß ein Vergewaltiger überführt worden ist?
Das sind keine Fahndungsanzeigen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Vergewaltiger zu überführen. Das müssen die Bullen schon selber machen. Die Anzeigen sind nur für Frauen gemacht. Aber wenn ein Täter geschnappt worden ist und sich zuvor mehrere Frauen auf diese Anzeige gemeldet haben, können wir diese Frauen zusammenbringen, und sie können dann gemeinsam ein Verfahren gegen ihn führen.
Das Gespräch führte:
Vera Gaserow
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