: Gefordert: Homosexualität in Forschung und Lehre
Im Rahmen des Unistreiks werden an der Berliner FU auch Schwule aktiv / Nach dem Vorbild der „Homostudies“ an niederländischen Universitäten fordern sie ein Zentralinstitut Homosexualität ■ Aus Berlin Elmar Kraushaar
Auch sie arbeiten nach dem aktuellen Streikmuster, mit Vollversammlung, autonomen Arbeitsgruppen, „Bienenkörbe“ genannt, und eigenem Forderungskatalog. Rund 180 schwule Männer folgten am 19.Dezember dem Aufruf der AG Homosexualität zur ersten Vollversammlung an der „Befreiten Universität“ in Berlin. Hoch ging es her, der „schwule Diskussionsbedarf“ im Lehr- und Wissenschaftsbetrieb stand zur Debatte. „Es ist an der Zeit, auf die eigene Lage aufmerksam zu machen“, so Thomas, einer der Initiatoren.
Der fulminante Start mündete im neuen Jahr in Bienenkörben zu Themen wie „Schwule und Patriarchat“, „Schwule Seminarinhalte“ und „Sexualität gibt es nicht“. Als erste Ergebnisse dieser Arbeit machen derzeit schwulenspezifische Forderungen auf den Fachbereichsvollversammlungen die Runde, um Mehrheiten zu finden, damit sie in den zentralen Streikforderungskatalog aufgenommen werden. Die Anschaffung von Literatur zum Thema Homosexualität in den Uni -Bibliotheken und die Thematisierung der bislang eher peinlich verschwiegenen homosexuellen Lehrinhalte in Seminaren und Vorträgen wird ebenso verlangt wie Lehrstühle für Minderheitenforschung, eine homosexuellengerechte Faschismusforschung und die Weiterbildung von DozentInnen zum Thema. Kernstück der Forderungen ist die Einrichtung eines Zentralinstituts (ZI) Homosexuellenforschung nach dem Vorbild der „Homostudies“ in den Niederlanden. Seit zehn Jahren arbeiten an verschiedenen niederländischen Universitäten SozialwissenschaftlerInnen, JuristInnen, MedizinerInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen in den interdisziplinären Einrichtungen der Homostudies und bieten für StudentInnen aller Fachbereiche Seminare an, die für das jeweilige Fachstudium angerechnet werden können.
Doch bis zu den niederländischen Verhältnissen ist in Berlin noch ein weiter Weg. Unterdessen wird der schwule Aufwind genutzt, im kommenden Semester unter den gegebenen Möglichkeiten für homosexuelle Seminarinhalte zu sorgen. Eine Gruppe schwuler Theaterwissenschaftler hat schon eine Themenliste erstellt, die im Seminarprogramm des nächsten Semesters am Fachbereich berücksichtigt werden soll. Da steht das Thema „Pornographie“ ebenso an wie „Die Theaterstücke von Klaus Mann“ und „Schwule Filme in England“. Für den 2.Februar ist eine uniweite Veranstaltung mit niederländischen WissenschaftlerInnen der Homostudies geplant, die ihr Modell vorstellen werden.
Daß „ein durch Fakten begründetes wissenschaftliches Interesse an der Enttabuisierung von Homosexualität in Forschung und Lehre“ besteht, so die AG Homosexualität in der Streikzeitung 'Besetzt‘, daran gibt es für das Plenum der Bienenkörbe keinen Zweifel. Thomas: „Ich studiere Germanistik, und da ist Homosexualität ein solch vorrangiges Thema in der Literatur, daß ich es unglaublich finde, daß man das so totschweigen kann.“ Mit der Einrichtung eines ZI will man absichern, daß die Behandlung des Themas gewährleistet ist. Ein Romanist: „Ich sitze in einem Seminar über Andre Gide, und der Dozent weigert sich schlichtweg, dabei auch über den homosexuellen Gide zu diskutieren. Sowas darf nicht mehr vorkommen.“
Trotz der uniweiten Streikeuphorie ist eine Unterstützung der schwulenspezifischen Forderungen durch die heterosexuellen KommilitonInnen nicht selbstverständlich. Zwar haben die Vollversammlungen der Germanisten, Romanisten, Historiker und Kunsthistoriker schon einstimmig den Forderungen der Bienenkörbe zugestimmt, doch gehen die Diskussionen im „Inhaltsrat“ - das fachbereichsübergreifende Gremium, das die entscheidenden Debatten für den zentralen Forderungskatalog führt - nur schleppend voran. Christoph: „Wenn man da nicht ständig Druck macht, läuft das da nicht durch. Da gibt es zwar das allgemeine Nicken - wir sind ja so liberal -, aber damit auseinandersetzen will sich niemand.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen