: Unternehmer legen doppelt so viel wie Arbeitnehmer zu
■ Jahreswirtschaftsbericht: Bonns Prognose für 1989 / Für '88 Sondereinflüsse eingestanden
Bonn (dpa) - Vor dem Hintergrund der von ihr selbst erhöhten Konsumsteuern und in der Erwartung leicht anziehender Ölpreise ist die Bundesregierung für das laufende Jahr offenbar besorgt über die Entwicklung der allgemeinen Verbraucherpreise. In ihrem Jahreswirtschaftsbericht, den das Bundeskabinett an diesem Dienstag beschließen wird, erwartet sie einen Preisanstieg um 2,0 bis 2,5 Prozent nach 1,4 Prozent 1988. Um diese Werte einzuhalten, die nicht als Gefährdung der Stabilität des Geldwerts angesehen werden, sollen Unternehmer und Gewerkschaften möglichst „Disziplin“ bei den Löhnen und Preisen wahren.
Bei dem erwarteten Rückgang beim Wachstum des Bruttosozialprodukts von real rund 2,5 Prozent nach 3,4 Prozent im vergangenen Jahr wird in dem Bericht auf positive „Sondereinflüsse“ für 1988 hingewiesen: „günstige Witterung und gute Ernte, reale D-Mark-Abwertung, abermaliger Ölpreisrückgang, im Hinblick auf die Gesundheitsstrukturreform vorgezogene Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, aber auch expansive Wirkungen der Geld- und Finanzpolitik“. Einige dieser Effekte würden sich im laufenden Jahr nicht wiederholen. Wegen dieser Sondereinflüsse 1988 bedeute die niedrigere Wachstumsrate 1989 keine Abschwächung der inneren Wachstumskräfte. Bei der Interpretation des überdurchschnittlichen Wachstums hieß es im vergangenen Jahr allerdings immer: gute Wirtschaftspolitik.
Besondere Stütze für die bundesdeutsche Wirtschaft ist dem Bericht zufolge der Export, der um vier bis fünf Prozent zulegen soll nach 5,1 Prozent im vergangenen Jahr. Ein neuer Export-Weltrekord steht also an. Bei der Inlandsnachfrage ist dagegen eine Abschwächung auf ein Plus von rund 2,5 Prozent nach 3,7 Prozent im Jahr 1988 zu verzeichnen. Mit anziehender deutscher Wirtschaftsleistung wird ein deutlicher Anstieg der Einfuhren von 4,5 bis 5,5 (plus 6,3) Prozent erwartet.
Die Bundesregierung erwartet im Jahresdurchschnitt einen Anstieg der Erwerbstätigenzahl um rund 150.000 Personen, etwa so viel wie im vergangenen Jahr mit plus 170.000. Auch die Unternehmen des Bau- und des verarbeitenden Gewerbes planten wieder eine Ausweitung ihrer Belegschaften. Im Dienstleistungsbereich „dürfte die Schaffung von Arbeitsplätzen in kaum vermindertem Umfang weitergehen“, heißt es in dem Bericht.
Durchschnittlich wird ein Abbau der Zahl der Arbeitslosen um nur rund 40.000 auf 2,2 Millionen angenommen. Für die immer noch zu große Lücke zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsplatz sei jetzt auch die „kräftig steigende Zahl von Übersiedlern und deutschen Aussiedlern sowie von ausländischen Erwerbspersonen“ zunehmend verantwortlich. Daneben spiele die wichtigste Rolle „die weiter zunehmende Erwerbsneigung der Frauen“. Derzeit geht die Bundesregierung von einer Zunahme der Bruttolöhne und -gehälter je beschäftigtem Arbeitnehmer um rund 2,5 Prozent aus. Hierbei sei entsprechend den getroffenen Vereinbarungen der Tarifpartner „eine erhebliche Reduzierung der tariflichen Arbeitszeit berücksichtigt“. Unter Einschluß weiter steigender Beschäftigung „und gewisser Entlastungen bei den Sozialbeiträgen“ würde dies einen Anstieg der Bruttoeinkommen für die Arbeitnehmer um 3,0 bis 3,5 (1988: 3,8) Prozent bedeuten. Die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen lägen mit plus fünf bis plus sechs (zehn) Prozent deutlich darüber.
„Nicht zuletzt deswegen erwartet die Bundesregierung, daß Unternehmensinvestitionen und Beschäftigung kräftig steigen“, heißt es dazu. Die Tarifvertragsparteien sollten Lohnerhöhungen weiterhin nur im Rahmen der Produktivität vereinbaren. Die Unternehmen sollten „preispolitische Disziplin“ wahren. Diesen Appell verbindet die Bundesregierung mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeitnehmer sonst lohnpolitischen Nachschlag fordern könnten. Es liege jetzt „auch weitgehend an der Preispolitik der Unternehmen“, die Stabilitätserwartungen der Arbeitnehmer nicht zu enttäuschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen