: Die letzte Wahlkämpferin Berlins
■ Wenn die Sozis zweimal klingeln / Mit der SPD-Genossin Heidemarie Fischer unterwegs an Weddinger Wohnungstüren
Die ältere Dame öffnet die Tür ihrer Weddinger Mietswohung nur um einen kleinen Spalt. Mißtrauisch lugt sie auf den Flur, beäugt die unbekannten Personen vorsichtig über die Sicherheitskette hinweg: „Ja bitte?“ Dann folgt die Antwort, die Heidemarie Fischer in den letzten drei Jahren schon zehntausendmal gegeben hat: „Guten Abend. Ich bin ihre SPD -Abgeordnete. Ich wollte mich Ihnen nur einmal vorstell...“ Rumms wird die Tür zugeknallt, mehrere Ketten fallen klirrend ins Schloß. Auch im roten Wedding gibt es schwarze Schafe.
Seit die 44jährige Sozialdemokratin 1986 ins Abgeordnetenhaus nachrückte, hat sie etwa zwei Drittel der Haushalte rund um den Schillerpark besucht. Jetzt ist Endspurt: Die gelernte Sozialversicherungsfachangestellte ist „wild entschlossen“, ihrem CDU-Konkurrenten Paul Bunkowski das direkte Mandat für den Wahlkreis zwei abzujagen. 600 Stimmen mehr hatte der beim letzten Mal.
Also: Treppen rauf, Treppen runter, jeden Tag vier Stunden: Vormittags von zehn bis zwölf, abends von halb fünf bis 19 Uhr 25. Dann ist Feierabend. Da kann man klingeln, solange man will: „Wenn die Abendschau anfängt, macht keiner mehr auf!“
Meistens bleibt es während des sozialdemokratischen Marsches durch die Mietskasernen beim Smalltalk. „Gunabend, bitteschön“ - eine Papptüte mit SPD-Aufdruck und Werbematerial wird übereicht - „und wennsemal Probleme ham, hier is meine Nummer.“ Und wenn Frau Fischer tatsächlich mal einen Fuß in der Tür hat, geht es um viel zu laute Nachbarn, Mieterschutz, Fluglärm, KiTa-Plätze und was im Wedding sonst noch alles nicht in Ordnung ist. „Ich tue da, was ich kann!“ meint sie und organisiert, je nach Problemlage, Kontakte zu Sozialstadträten, Bürgerinitiativen oder Mietervereinen.
Überzeugungsarbeit am Tresen
Letzten Freitag hat Frau Fischer mit ihrer Truppe Stimmen in drei Weddinger Kneipen geangelt. Einen, der „wegen der Ausländer“ die Republikaner wählen wollte, konnte sie, nach stundenlanger Diskussion, noch umstimmen.
Die Debatte war so aufregend, daß ein Skatverein seine Sitzung unterbrach und die Damen und Herren an der Theke ihr Bier stehen ließen. Frau Fischer erzählte dem abtrünnigen Sozialdemokraten was über Ernst Reuter und wie er das gemeint hat mit den Völkern der Welt. Daß die BerlinerInnen für den Rest der Welt ja auch mal der letzte Dreck waren. Obwohl er das einsah, wurde deutlich, wie es unter der Decke rumort.
Vor allem den Aussiedlern und Polen schiebt man die Wohnungsnot in die Schuhe; und wenn einer seit Jahren eine andere Wohnung will, aber keine bekommt, wird die „Überzeugungsarbeit“ schwierig. Diesen einen aber konnte man noch „umdrehen„; mit Tränen in den Augen versprach er, nicht vom Tanker SPD zu springen und ans andere Ufer zu schwimmen.
„Klar wähl ich SPD“, meint ein anderer, „aber das mit dem kommunalen Wahlrecht für Ausländer, das macht Ihr doch nicht, oder?“ fragt er ungläubig. Frau Fischer wird noch viele Treppen steigen müssen.
„Bei mir keen Problem!“ meint ein Rentner, der vormittags gerade sein Haus verläßt, „ick hab von Bürgermeister Otto Spiller 'ne Auszeichnung jekriecht!“ Solche Stammwähler tun gut beim „Klinkenputzen“, und im seit 1949 durchgehend sozialdemokratisch regierten Wedding gibt es sie zuhauf.
Die Wahl wird aber vor allem von den vielen Unentschlossenen entschieden oder denen, die diesmal zu Hause bleiben wollen: „Ihr habt zu früh aufgegeben, und Eure Plakate, naja...!“ beschwert sich ein Handwerker bei Hans Nisbe, der Heidemarie Fischer unterstützt. Der ehemalige Abgeordnete, der jetzt in der Bezirksverordnetenversammlung Wedding sitzt, kontert mit der Bemerkung, daß noch nie soviele Plakate von privat abgeholt worden seien; das mit dem Polizisten sei sogar schon weg. Überzeugt ist der Kritiker trotzdem nicht.
Wie man ohne viel Worte Wähler findet, macht Nisbe anschließend in der Eckkneipe vor. Mit einem souveränen „Guten Abend“ gibt er jedem Gast die Hand: „Hallo, hier ist Euer Mann aus dem Kiez.“ - „Gebongt, Hans, wir wählen Dir.“
Im roten Wedding ist unterm Strich eben noch alles in Ordnung mit der SPD-Wählerschaft. Aber im Rest von West -Berlin sieht es düster aus: In zehn von zwölf Bezirken regiert die CDU.
ccm
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