: „Lucona“ zieht Wiener Politprominenz in die Tiefe
Der Schiffsuntergang aus dem Jahre 1977 beschäftigt einen öffentlichen Untersuchungsausschuß / Auf die „rote Loge“ - SPÖ-Politiker und Sponsoren - fällt der Verdacht von Mord, Versicherungsbetrug und Vetternwirtschaft / Blecha und Gratz sind bereits zurückgetreten / Die Affäre enthüllt Spitzelpraktiken der Staatspolizei ■ Aus Wien M.Kirfel & W.Oswalt
Österreich befindet sich in einer Regierungskrise, seitdem der erste öffentliche Untersuchungsausschuß der Zweiten Republik, der „Lucona-Ausschuß“, tagt. Erstes „Opfer“ war Innenminister Karl Blecha - er mußte in der vergangenen Woche zurücktreten. Nationalratspräsident Leopold Gratz kündigte am Mittwoch dieser Woche sein Ausscheiden aus dem Parlament an. Seine Funktion als stellvertretender Vorsitzender der sozialistischen Partei (SPÖ) will Gratz bis zum Herbst ausüben.
Gegenstand des Untersuchungsausschusses ist die Frage, inwieweit österreichische Politiker und staatliche Institutionen in die „Lucona„-Affäre verwickelt sind. Zwar ist der Frachter „Lucona“ bereits vor zwölf Jahren im Indischen Ozean versunken, die Wellen schlagen jedoch erst jetzt so hoch, daß österreichische Spitzenpolitiker um ihre Posten bangen, die Justiz in ein schiefes Licht und die Staatspolizei wegen illegaler Machenschaften ins Kreuzfeuer gerät.
Im Mittelpunkt der Ereignisse steht der Geschäftsführer der k.u.k. Hof- und Zuckerbäckerei Demel, Udo Proksch. Er ist landesflüchtig und wird von Interpol gesucht. Proksch ist auch der Besitzer der angeblichen „Uranerzmühle“, die mit der „Lucona“ versank. Proksch, der unmitelbar nach dem Untergang des Frachters 31 Millionen Schweizer Franken Versicherungssumme beanspruchte, wird schwerer Versichungsbetrug vorgeworfen. Was den spannenden Kriminalfall zur Staatsaffäre machte, war die Tatsache, daß Proksch - mit dem SPÖ-Filz bestens befreundet - seine Beziehungen offenbar dazu zu nutzen suchte, sich aus der Schlinge zu ziehen. Proksch war Sponsor des „Club 45“, einer „roten Loge“ einflußreicher SPÖ-Politiker. Sie tagte in den Räumen der Zuckerbäckerei. Dazu gehörten Nationalratsvorsitzender Leopold Gratz, Innenminister Karl Blecha und der frühere Verteidigungsminister Freiherr Karl Lütgendorf. Letzterer zum Beispiel hatte seinem Freund Udo hundert Kilo Sprengstoff zukommen lassen. Der Verteidigungsminister kam bald darauf auf mysteriöse Weise ums Leben. Offizielle Todesursache: Selbstmord. Wozu Proksch den Sprengstoff möglicherweise gebraucht hat und welche Rolle staatliche Institutionen und die etablierten Parteien dabei gespielt haben, ist eine lange Geschichte.
Der Untergang der „Lucona“
Im vergangenen Jahr erinnerte sich plötzlich der Kapitän: „Als ich auf die Brücke kam ... hörte ich ein gräßliches Geräusch. Meiner Ansicht nach lag das Schiff damals noch gerade... Zusammen mit einer fürchterlichen Explosion stieg aus Luke 1 eine 60 bis 70 Meter hohe weiße Rauchwolke auf, dann folgte eine zweite Explosion, und ich sah, wie die Flammen aufstiegen.“ So im Jahre 1988. An seine Aussage und an ein Gutachten aus dem Jahr 1988 wird nunmehr der Verdacht geknüpft, daß die „Lucona“ absichtlich durch eine Sprengladung versenkt wurde. In den Jahren zuvor hatte der Kapitän allerdings das Gegenteil behauptet und eine Sprengung ausgeschlossen. Ist er damals erpreßt worden? Wird er jetzt erpreßt? Oder bestochen? Fragen, auf die bisher niemand eine Antwort weiß.
Unklar ist fast alles in diesem Skandal, aus dem hauptsächlich die ÖVP mit Unterstützung der Boulevard-Presse Kapital schlägt. Sicher scheint eines: Am 23.Januar 1977, circa 15 Uhr 30 Seezeit, ging die „Lucona“ innerhalb weniger Sekunden im Indischen Ozean unter. Sechs der zwölf Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben. Die anderen fischte ein Öltanker auf.
Schrott an Bord?
Bäckerei-Chef Udo Proksch besaß die Chuzpe, sofort nach dem Schiffsuntergang die Versicherungsanstalt der Österreichischen Bundesländer um die Summe von 31 Millionen Schweizer Franken anzugehen. Er trat als Vertreter einer Firma auf, die sich sehr bald, zusammen mit ihren Geschäftspartnern, als Briefkastenfirma erwies. Ermittlungen ergaben, daß die mysteriöse Ladung der „Lucona“ - laut Proksch eine Uranerzaufbereitungsanlage, die von einem alten Fabrikgelände im österreichischen Piestung stammte. Anrainer wollen beobachtet haben, wie auf besagtem Werksgelände wertlose Schrotteile gesäubert, frisch gespritzt und fein säuberlich in Holzkisten verpackt wurden. Vier Lkws haben später in Piesting die Ladung der „Lucona“ abgeholt und nach Chioggia gebracht, wo der Frachter vor Anker lag.
Ob es jemals eine Uranerzmühle gegeben hat und - wenn ja wer sie für wen produziert hat, ist ungeklärt. Unter dem Vorwand, „Geschäftsgeheimnisse“ wahren zu müssen, weigerte sich Proksch längere Zeit, Firmenpapiere vorzulegen. Als er schließlich in Beweisnot kam, legte er Papiere vor, die die österreichische Botschaft in Bukarest auf Weisung des Gratz unterstehenden Außenamtes beschafft hatte. Diese Dokumente sollen beweisen, daß die Urananlage in Rumänien produziert worden sei. Die Papiere erwiesen sich als gefälscht. Einen weiteren Freundschaftsdienst erweis Gratz dem bedrängten Proksch, als er 1985 bezeugte, die ominöse Uranerzmühle in Chioggia besucht zu haben. Tatsächlich hatte er sich „zufällig“ einige Minuten lang in der Lagerhalle im Hafen aufgehalten, in der sich die Kisten befanden.
Justiz im schiefen Licht
Zuckerbäcker Proksch hatte die zahlungsunwillige Versicherung bereits 1977 verklagt. Im darauffolgenden Zivilprozeß geriet der Wiener Oberlandesgerichts-Senat ins Zwielicht. Einmal mußte er wegen Befangenheit und falscher Sachverhaltsdarstellungen ausgetauscht werden. Auch der zweite Senat, der wie der vorherige für Proksch entschied, agierte seltsam. Obwohl der Demel-Chef „keinen sicheren Eindruck“ bei der Vernehmung gemacht habe, werte er gerade dies als Indiz dafür, daß er „glaubwürdig“ sei. Proksch erhielt recht.
Auch das Verhalten der Staatsanwaltschaft ist in den Jahren, in denen die Ermittlungen bereits laufen, ins Gerede geraten. Ihr wird Rechtsbeugung und Politjustiz vorgeworfen. Zu lange habe sie lediglich „Vorerhebungen“ betrieben. Als der Fall schließlich nach mehreren Jahren „anklagereif“ geworden war, hatte sich Proksch längst durch die Vordertür
-nämlich völlig legal - abgesetzt.
Verfilzte Versicherung?
Die von der ÖVP beherrschte Bundesländer-Versicherung wird von der rechten Boulevard-Presse in der „Lucona„-Affäre geschützt. Dabei steckt sie selbst tief in der Sache. So hat sie niemals gegen Proksch, dem sie sechsfachen Mord unterstellt, Anzeige erhoben. Ganz im Gegenteil. Sie bot 100 Millionen Schilling als Vergleich an - nach dem Motto: Wir zahlen die Hälfte der Schadenssumme und dann reden wird nicht mehr davon.
Während gegen Proksch bisher nur der Verdacht auf Versuchungsbetrug besteht, sitzt der Ex-Direktor der Versicherung, Kurt Ruso, wegen vielfachen Versicherungsbetrugs im Gefängnis. Er hatte zahllose Schadensmeldungen gefälscht und seinen Parteifreunden, führenden ÖVP-Funktionären, Millionenbeträge zukommen lassen. Vielleicht ist die „Lucona„-Affäre lediglich ein skuriler Einzelfall im Großskandal der Bundesländer -Versicherung, den die mitregierende ÖVP bisher verstanden hat, aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten? Auch der jetzt tagende Untersuchungsausschuß darf sich auf Druck der ÖVP nicht mit der Bundesländer-Versicherung befassen.
Am 1.Juli hatte der von der Versicherung mit Nachforschungen über die „Lucona“ beauftragte Privatdetektiv Dietmar Guggenbichler auf eigene Initiative hin Proksch wegen Mordes, versuchten Mordes und schweren Betrugs bei der Kripo Salzburg angezeigt. Die Kripo begann mit den Ermittlungen, für die bereits nach wenigen Tagen das Innenministerium ein seltsames Interesse zeigte. Innenminister Blecha setzte der Kripo einen Staatspolizisten zur Seite. Jetzt wird ihm vorgeworfen, die Ermittlungen gegen seinen Freund Proksch auf „unübliche Weise“ beobachtet und sogar verzögert zu haben. Dafür gibt es jedoch keine Beweise.
Eine andere brisante Sache wurde jedoch nachgewiesen: Unter der Verantwortung Blechas wurden die beiden wichtigsten Proksch-Verfolger, der Detektiv Guggenbichler und der Autor Pretterebner, von der Staatspolizei bespitzelt. Beide behaupten, daß Anschläge auf sie verübt wurden. Was zunächst von der Massenpresse wie eine Sonderleistung Blechas für Freund Udo dargestellt wurde, offenbarte such als Strukturfehler des österreichischen Staatsgefüges. Es wurde öffentlich, daß die Staatspolizei systematisch und illegal unzählige Staatsbürger und praktisch sämtliche politischen Veranstaltungen bespitzelt. Eine öffentliche Diskussion über die Rolle der Staatspolizei, die weit über den „Lucona„ -Skandal hinausgeht, entstand.
Richtige Rücktritte aus falschen Gründen
Österreichisches Spezialphänomen ist, daß in Wien Politiker
-wenn sie schon zurücktreten - nie aus wirklich schwerwiegenden Gründen zurücktreten. So steckte Blecha, genauso wie vor ihm Sinowatz, der ebenfalls aus lächerlichem Anlaß im Frühjahr 1988 zurücktrat, tief im Noricum -Waffenskandal. Blecha und Sinowatz haben mitzuverantworten, daß die staatliche Waffenfabrik Noricum illegal Waffen in den Iran exportierte. Beim Rücktritt Blechas war von seiner Beteiligung an diesem Skandal und darüberhinaus von seiner Veranwortung für brutale Foltermethoden bei der österreichischen Polizei keine Rede. Auffällig ist außerdem, daß Politiker, die tief in Skandale verstrickt sind, weiter Karriere machen können, weil Partei-, Wirtschafts- und Medieninteressen hinter ihnen stehen. Prominentes Beispiel: Bundespräsident Waldheim. Waldheims Freund Außenminister und Vizekanzler Alois Mock (ÖVP) gehört auch dazu. Mock hatte unlängst einen Koffer mit zehn Millionen Schilling Bestechungsgeldern von einem Industriellen angenommen. Er gab den Koffer erst nach Tagen zurück, als die Geschichte drohte, zum Skandal zu werden.
Die „Lucona“ wird von der ÖVP genutzt, um die SPÖ zu demontieren. In wenigen Wochen wird in drei österreichischen Bundesländern gewählt. Gleichzeitig kommt der Skandal der innerparteilichen Säuberung durch den Industriellen-Clan um Vranitzky (er selbst war früher Chef der Länderbank) zugute. Für Vranitzky gehören Blecha und Sinowatz zu einer „linkeren“ Politikergeneration, die der Modernisierung der SPÖ in Richtung noch stärkerer Industrieabhängigkeit im Wege stehen.
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