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Ein Spitzel für zwei Dienste

Jahrelang bediente sich der Berliner Verfassungsschutz eines V-Mannes in der Kreuzberger Szene, der gleichzeitig den Rang eines Polizeihauptmeisters innehatte Diese Personalunion verstößt eindeutig gegen das im Grundgesetz verankerte Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Der Tip kam vom Verfassungsschutz: Im einem Keller in der Lübbenerstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg sollten drei Munitionskisten lagern, aus deren Inhalt sich Brandsätze zusammenbauen ließen. Ein Schreiben des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) teilte dies am 9.Dezember vergangenen Jahres der Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei mit. Am Abend des 15.Dezember wurden die Ermittler bei einer Durchsuchung des Kellers dann auch fündig. Um 19 Uhr 30 übergaben die Mitarbeiter des VS der polizeitechnischen Untersuchungsabteilung die drei Kisten. Noch in den frühen Morgenstunden des 16.Dezember wurden daraufhin mehrere Wohnungen durchsucht und insgesamt sieben Personen festgenommen. Der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft den Festgenommen damals zur Last legte: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Diese Meldung kam zur rechten Zeit. Denn von Skandalen und inneren Querelen geschüttelt konnte das Berliner Landesamt einen Erfolg dringend gebrauchen. Wiederholt waren die Machenschaften des Berliner VS in die Schlagzeilen geraten und das Ansehen des Dienstes hatte selbst in CDU-Kreisen seinen Tiefststand erreicht. Noch am Tage der Festnahmen ließ die Justizpressestelle verbreiten, der Hinweis auf den Keller wäre vom Verfassungsschutz gekommen. Sechs Wochen vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus griff Springers 'Bild'-Zeitung die Meldungen begierig auf: Unter den Festgenommenen befand sich die Tochter des Kreuzberger Baustadtrates Orlowsky, der über die Alternative Liste zu Amt und Würden kam. „Tochter von Baustadtrat wegen Sprengstoff verhaftet“ titelte 'Bild‘ zentimeterdick, und auch der Berliner CDU-Fraktionschef Landowsky nutze die Gelegenheit zur Wahlkampfpolemik. Über die Festnahme von Claudia Orlowsky versuchte er, den AL-Vertreter Wolfgang Wieland, aus dem eben erst eingesetzten Untersuchungsausschuß „über mögliche Fehlentwicklungen beim Landesamt für Verfassungsschutz“ zu kippen.

Fünf Jahre

in der Szene „zuhause“

Nur wenige Tage vor dem Wahlgang scheint sich der vermeintliche Erfolg des Berliner VS jetzt aber zu einem erneuten Debakel für die politisch Verantwortlichen der Berliner Spitzelbehörde zu entwickeln. Bei der Aktion gegen die Festgenommen, die von der Staatsanwaltschaft dem Umfeld der „Amazonen“ zugerechnet werden, bediente sich der VS nicht nur eines V-Mannes, der jahrelang in der Kreuzberger Szene plaziert war.

Der V-Mann wird zudem auch noch als Polizeibeamter im Range eines „Polizeihauptmeisters“ geführt. Über die bisher bekannten Machenschaften hat der Berliner Verfassungsschutz damit nun auch das im Grundgesetz verankerte Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten durchbrochen.

Eben dieser V-Mann ist auch der Besitzer des durchsuchten Kellers, der sich unter dem Namen Eberhard Schuhmacher seit etwa fünf Jahren in der Kreuzberger Szene in den verschiedensten Zusammenhängen bewegte. Angemietet hat der 1955 geborene Schuhmacher den Keller im Februar 1986, und wie er dem VS mitteilte, im Auftrag der Beschuldigten Claudia Orlowsky. Eberhard Schuhmacher ist aber nur der Name seiner Legende. In Wirklichkeit heißt er Eberhard Benzing. Am 16.Dezember zu einer ausgesprochen ungewöhnlichen Uhrzeit - in den frühen Morgenstunden um 1 Uhr 50 - belastete Benzing alias Schuhmacher in seiner Aussage vor der Polizei die 28jährige.

Sie habe ihn gebeten, einen Keller anzumieten, den sie mitbenutzen wollte. Vier Stunden später, kurz nach sechs Uhr, stürmten dann Beamte des Staatsschutzes zusammen mit den Mitgliedern eines Sondereinsatzkommandos die Wohnungen von Claudia Orlowsky und die ihres Bekannten Wolfgang Behling. Die Wohnungen wurden durchsucht und insgesamt sieben Personen festgenommen.

Claudia Orlowsky und Wolfgang Behling wurden anschließend dem Haftrichter vorgeführt, der gegen beide Haftbefehl wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung erließ. Die Indizien, die der leitende Oberstaatsanwalt Ludwig präsentierte: In den drei Blechkisten seien elektronische Bauteile, eine Perücke und knapp 50 Gramm „Selbstlaborat“ gefunden worden, Teile, aus denen sich Brandsätze herstellen ließen. Weiter behauptete die Staatsanwalt, die sichergestellten Zünder wären identisch mit jenen Zündvorrichtungen, die bei einem Anschlag auf eine Filiale des Kaufhauses Karstadt im Dezember 1988 verwendet worden sind.

Damals hatte sich eine Gruppe mit dem Namen „Amazonen“ zu dem Anschlag bekannt. Als weiteres Indiz soll ein Videoband aus einer Observation die beiden Verhafteten zeigen, wie sie mehrmals das Anwesen in der Lübbener Straße 12 mit einem Rucksack betreten. Am 20.Dezember werden beide Wohnungen nochmals durchsucht, das besondere Augenmerk gilt diesmal Rucksäcken, aber auch Schreibmaschinen, Werkzeug und verschiedene Papiere werden beschlagnahmt.

Über seine Teilnahme an Manöverbehinderungen im September 1983 in Hildesheim kam Eberhard Benzing in das „Westberliner Unabhängige Plenum“. Von dort aus schloß er sich einer Gruppe „Antimilitaristische Stadtspiele“ an. Da diese mit der Bürgerinitiative Gatow eng zusammenarbeitete, war Eberhard Benzing auch hier bald festes Mitglied. Bis zur Auflösung der BI, die gegen den damals in Bau befindlichen Schießplatz in Gatow protestierte, im September 1986 bleibt er dabei. Noch im Laufe des Jahres 1986 fand er Kontakt zur „Schwemme“, einem nichtkommerziellen Kneipenprojekt in Kreuzberg und Treffpunkt für die verschiedensten Gruppen der Kreuzberger Szene.

Bereits 1983 erste Hinweise auf den Spitzel

Die früheren Bekannten von Eberhard Benzing mußten nach dessen Enttarnung festellen, daß sie ihren früheren Mitarbeiter eigentlich gar nicht kannten. Benzing hatte ihnen aufgetischt, daß er für seinen Vater, einem Subunternehmer einer Speditionsfirma, arbeitet. So fiel es nicht weiter auf, wenn er tagelang nicht zu erreichen war. Für seine Bekannten war er zur Arbeit in Westdeutschland unterwegs.

Frühere Bekannte stellten jetzt fest, daß Eberhard Benzing schon einmal 1983 als Spitzel verdächtigt wurde. Von anderen Bekannten wurde er zudem als die Person wiedererkannt, die in Begleitung seines Bruders in den Jahren 1979 und 1980 wiederholt in Polizeiuniform und Streifenwagen vor die Kneipe der Eltern im Wedding vorgefahren war. Im Herbst 1983 war er dann bei den von autonomen Gruppen organisierten Fahrwachen - anläßlich des Fußballänderspieles zwischen der Bundesrepublik und der Türkei - auf der Seite der Veranstalter gesichtet worden. Der Hinweis auf die Tätigkeit Benzings für die Polizei ging aber nach dessen Umzug 1984 in den Stadtteil Kreuzberg unter.

Daß Eberhard Benzing nicht für den VS arbeitet, sondern auch den Titel eines Polizeihauptmeisters trägt, geht unzweifelhaft aus einem Vermerk des Landesamtes an die Staatsschutzabteilung der Berliner Polizei hervor. Der Skandalchronik des Berliner Verfassungsschutzes wird damit ein neues Kapitel angefügt. Getreu den früheren Aussagen der Innenbehörde, daß nicht sein kann, was nicht sein darf, erklärte der Sprecher des Berliner Innensenators Birkenbeul auch diesmal: „Das Trennungsgebot ist und wird sehr genau und sorgfältig eingehalten.“ Auf die Nachfrage, ob das bedeutet, daß ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes nicht gleichzeitig Polizeihauptmeister sein könne, erklärte Birkenbeul: „Messerscharf geschlossen“.

Es dürfte spannend sein, wie die Berliner Innenbehörde den Vermerk des VS - unter dem Briefkopf des Innensenators erklären will. Wörtlich heißt es darin: „In seiner dienstlichen Tätigkeit hatte der PHM Eberhard Benzing dem LfV (Landesamt für Verfassungsschutz, d. Red.) mitgeteilt...“ Aus einem anderem Vermerk wird ersichtlich, daß der VS dem Polizeihauptmeister auch die Wohnung in der Lübbener Straße bezahlte: „für dienstliche Zwecke“ wurde sie „von einem bei mir später tätigen Beamten angemietet“.

Nach der Bespitzelung von Parlamentariern, der Ausforschung der taz als Ganzes, der Überwachung von Journalisten, Politikern und Gewerkschaftern hat die Berliner Skandalbehörde nun nachweislich auch gegen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst nachhaltig verstoßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die drei westlichen Militärgouverneure dem verfassungsgebenden Rat in einem sogenannten „Polizeibrief“ ausdrücklich aufgetragen, für eine strikte Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei zu sorgen. Die Entscheidung der Alliierten fußte auf den Erfahrungen mit der „Gestapo“, die als Teil der „Sicherheitspolizei“ (Sipo) zusammen mit der Kriminalpolizei und dem Sicherheitsdienst (SD) unter den Nationalsozialisten im „Reichssicherheitshauptamt“ (RSH) zusammengeschlossen war.

Bestrebungen, diese Trennung aufzuweichen, hat es immer wieder gegeben, eine Personalunion von Polizei und Verfassungsschutz bisher jedoch nicht. Über die Person Benzings hinaus hat in diesem Fall aber auch die Zusammenarbeit zwischen dem Kriminalkommissariat, Staatsschutz und dem Verfassungsschutz reibungslos funktioniert. Am selben Abend der koordinierten VS -Staatschutzaktion trafen sich die Mitarbeiter der „Schwemme“, um über die weitere Arbeit zu reden. Eberhard Benzing war dabei.

Zeitgleich wurden die drei Blechkisten aus dem Keller von Mitarbeitern des VS sichergestellt und zur eingehenden Untersuchung weggeschafft. Und während das Schwemme-Plenum noch tagte, überlegten die Strafverfolger, ob es nicht ratsamer wäre, die Kisten zu markieren und zurückzubringen. Die Experten, die die Untersuchung führten, wandten aber ein, eine solche Kennzeichnung würde mit einiger Warscheinlichkeit bemerkt werden. Nach Rücksprache auf höchster Ebene, mit dem Landespolizeidirektor Leupolt und dem Polizeipräsident Kittlaus, ordnete Kriminaloberrat Brandt dann die Festnahmen und die Durchsuchungen den Wohnungen an.

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