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Werden die „Zwei von Breda“ begnadigt?

Im niederländischen Parlament wird über eine Freilassung der letzten beiden deutschen Kriegsgefangenen in Breda diskutiert / Der Fall bewegt die noch lebenden Opfer des 2. Weltkriegs / Entscheidung fällt am Freitag  ■  Von Henk Raijer

Berlin (taz) - Das niederländische Parlament wird am Freitag nachmittag über die Begnadigung der beiden letzten in Breda einsitzenden deutschen Kriegsverbrecher, Franz Fischer (87) und Ferdinand aus der Fünten (79) entscheiden. Auf diesen Termin legten sich die Fraktionschefs der am späten Dienstag abend fest. Nur die zweitgrößte Fraktion, die sozialdemokratische Partei der Arbeit (PVDA), wollte die Debatte erst in der nächsten Woche beenden, um der Bevölkerung die Gelegenheit zu geben, mit ihren Volksvertretern über die moralisch delikate Sache zu sprechen.

Obwohl das Kabinett formell nicht dazu verpflichtet ist, möchte es doch dem Parlament das Entscheidungsrecht in dieser Angelegenheit einräumen. Der Ausgang der Abstimmung ist noch völlig ungewiß; die Abgeordneten unterliegen in diesem Fall keinem Fraktionszwang. Nur die größte Fraktion CDA (51 Sitze) wird voraussichtlich geschlossen für eine Begnadigung abstimmen.

Nach 1951, als es anläßlich der Weigerung von Königin Juliana, das Todesurteil einer der damals noch vier deutschen Kriegsverbrecher zu unterzeichnen, fast zu einer Verfassungskrise gekommen war, nach 1963, als eine Initiative von zwei Rechtsgelehrten für die Freilassung eine Welle heftigster Proteste hervorrief, und nach 1972, als der damalige Justizminister van Agt durch seinen Vorschlag, die dann restlichen „Drei von Breda“ aus „humanitären Gründen“ zu begnadigen, fast seine Karriere aufs Spiel gesetzt hatte, soll es nun zum vierten Mal zu einer Entscheidung über die Begnadigung der Gefangenen von Breda kommen.

Ferdinand aus der Fünten und Franz Fischer sind zwei der insgesamt 141 Naziverbrecher, die nach dem Krieg in den Niederlanden zum Tode verurteilt worden waren. In 40 Fällen wurde damals das Urteil vollstreckt, bei den restlichen 101 wurde das Urteil in lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt. 98 von ihnen sind im Laufe der Jahre freigelassen worden, starben oder entkamen aus Arbeitslagern. „Es wäre besser gewesen, das Todesurteil gegen die beiden wäre damals vollstreckt worden“, so der Tenor in der Gruppe der 19 Unterzeichner einer Initiative für deren Freilassung.

Gut 200 Anrufe gingen am Dienstag bei der„Koordinationsstelle für Hilfe an Kriegsopfer“ ein, größtenteils von Menschen, die während der Naziherrschaft unmittelbar mit den beiden konfrontiert gewesen waren. Für die Rabbiner Amsterdams wäre die Begnadigung „unerträglich“. In einem Telegramm an die Regierung schreibt eine „Stiftung Kriegsbetroffener“: „In diesem Fall Gnade vor Recht ergehen zu lassen, heißt, die Opfer in eine erneute tiefe Krise zu stürzen.“ Das „Auschwitz-Komitee“ findet das Vorhaben der Regierung nicht mal eines Kommentars würdig.

Einige Abgeordnete, die sich von dem Kabinettsbeschluß völlig überrumpelt fühlten, äußerten sich ebenfalls besorgt über den Zeitpunkt der möglichen Begnadigung: Das Kabinett rätselt zur Zeit darüber, wen sie anstandshalber zur Beerdigung des japanischen Kriegsverbrechers Hirohito schicken soll. Außerdem findet am kommenden Sonntag die jährliche Auschwitz-Gedenkfeier statt und kurz darauf der Gedenktag für die Opfer des Februaraufstands von 1941.

Die Bundesregierung in Bonn hat - seit Richard von Weizsäcker 1985 erklärt hatte, die Begnadigung sei ausschließlich Sache der Niederlande - seit 1981 keinen Versuch unternommen, auf diplomatischem Weg die Freilassung der beiden Deutschen zu erwirken. Bundeskanzler Kohl hatte an Weihnachten 1981 entgegen einer Empfehlung seiner Botschaft in Den Haag ein Begnadigungsersuchen eingereicht. Vor ihm hatten der ehemalige Bundeskanzler Adenauer sowie die Bundespräsidenten Heinemann, Scheel und Carstens bei den niederländischen Behörden auf Freilassung gedrängt.

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