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Nötigung im familiären Arbeitsklima

Spediteur wegen Fälschung von Fahrtenschreibern verurteilt / Konkurrenzdruck erzwingt Gesetzesverstöße der LKW-Fahrer  ■  Von Süster Strubelt

Er habe von nichts gewußt - der Zeuge wirft einen ängstlichen Seitenblick zu seinem Chef auf der Anklagebank und sieht dann wieder trotzig zum hohen Gericht auf. Auch die Drohung, ein Verfahren wegen Falschaussage gegen ihn einzuleiten, hilft der Staatsanwältin nicht weiter. Walter Büning, Kraftfahrzeugschlosser und seit 35 Jahren beim Spediteur Engelbert Vöcking in Ahaus tätig, will als Werkstattleiter nicht mitbekommen haben, was andere Zeugen schon detailliert geschildert haben: daß in seinem Betrieb mehrere Lastwagenfahrer ihre Fahrtenschreiber manipulierten, darüber fast täglich in der Kantine diskutiert wurde und der Chef diejenigen mit Entlassung bedrohte, die sich weigerten, bei solchen Betrugsmanövern mitzumachen. Obwohl viel gemunkelt wurde, sei er nie auf die Idee gekommen, nachzuprüfen, ob in den Lastwagen versteckte Schalter eingebaut wären, erklärt Büning dem inzwischen etwas ungehaltenen Richter - schließlich habe er dazu keine Weisung gehabt.

Gegen die patriarchalischen Abhängigkeitsstrukturen des 30 -Mann-Betriebes anzukämpfen, war für das Landgericht Münster vergangene Woche keine leichte Sache. Mehrere Fahrer scheuten sich, Engelbert Vöcking zu belasten, der sich wegen „fortgesetzter Nötigung und Anstiftung zur Fälschung technischer Aufzeichnungen“ verantworten mußte. Grund genug für die Verteidigung, das „gute Betriebsklima“ hervorzuheben. Daß auch gelegentlich mal der Spruch, „wem es hier nicht paßt, der kann ja gehen“ gefallen sei, wertete der Rechtsanwalt in seinem Plädoyer als Bestandteil der „rustikalen, aber herzlichen“ Gespräche abends beim Bier in der Kantine. Schließlich sei sein Mandant nicht der „böse Kapitalist“, sondern ein Chef, der jeden Tag im Betrieb sei und bei „Not am Mann auch mal selber Hand anlege“ und einen Lastzug fahre.

Hort des Mittelstandes

Die Mitarbeiter der Spedition, die Tiefkühlkost und Frischgemüse von Holland nach Hamburg und Berlin liefert, sind teilweise seit 30 Jahren dabei und haben schon unter dem Vater gearbeitet. Das ideale Klima, in dem Abhängigkeiten entstehen, erklärt Wolfgang Baars, ÖTV -Experte für Güterkraftverkehr, Spedition und Handel. Der Chef kennt alle persönlichen Schwächen seiner Mitarbeiter, die Verschuldung durch den Eigenheimbau, und kann sie individuell unter Druck setzen. Der münsterländische Speditionsbetrieb ist in der Branche kein Einzelfall.

Die kleingewerbliche Struktur des Fernverkehrs stammt noch aus der Zeit des Faschismus und wurde damals zur optimalen Truppenversorgung eingerichtet. 9.000 Betriebe mit 50.000 Fahrern sind in der BRD im Güterfernverkehr tätig, und angesichts der immer noch gültigen Reichsgesetze, die eine Begrenzung der Fernverkehrs-Lizenzen und Festpreise pro Transport (nach dem Reichskraftwagentarif) beinhalten, müßte der Gütertransport über 100 Kilometer, so Wolfgang Baars, eigentlich ein „Hort des Mittelstands“ sein. Tatsächlich werde das Gewerbe, so der ÖTV-Experte, jedoch von den Herstellerfirmen beherrscht. Sie vergeben ihre Transportaufträge an Speditionen, die mit unentgeltlichen Zusatzleistungen wie Lagerhaltung, Entladung etc. um die Gunst der Produzenten konkurrieren. Meistens vergeben die großen Speditionen widerum Unteraufträge an kleinere Fuhrbetriebe - zu ungünstigen Konditionen.

Schwächstes Glied in der Kette sind die Lastwagenfahrer. Zwei Drittel der Unternehmen fallen nach ÖTV-Berechnungen mit weniger als fünf Beschäftigten nicht einmal unter den Kündigungsschutz, in 90 Prozent der Speditionen gibt es keinen Betriebsrat. Da die Bundeswehr als „größte Fahrschule der Nation“ jede Menge Führerscheinbesitzer der Klasse zwei ausspuckt (einzige Vorraussetzung, um als Fernfahrer zu arbeiten), können die jungen Männer in diesem Beruf keine großen Ansprüche stellen. Zwar liegt der Tariflohn bei 11,50 Mark pro Stunde, aber de facto handeln die Spediteure mit ihren Fahrern meist monatliche Pauschalen aus, die dann manchmal auf einen Fünf-Mark-Stundenlohn hinauslaufen. Außerdem sind die Touren oft so festgelegt, daß die Arbeiter zur Mißachtung der gesetzlich festgelegten Lenk- und Ruhezeiten gezwungen sind. Wie man Fahrtenschreiber fälschen könne, sei doch auf jeder Autobahn-Raststätte zu erfahren, bekundeten mehrere Fernfahrer vor dem Münsteraner Landgericht. Und der hinzugezogene Sachverständige meinte resigniert: „Es gibt keinen Tachograph, der nicht manipuliert werden kann“.

Fahrer ist der Dumme

Wenn bisher, vor allem nach Unfällen, doch herauskam, daß die vorgeschriebenen Ruhezeiten nicht eingehalten wurden, waren meist die Fahrer die Dummen. Es habe in der Vergangenheit weit mehr Prozesse gegen Fernfahrer als gegen Spediteure gegeben, erklärt Wolfgang Baars. Der Ahausener Unternehmer Engelbert Vöcking hatte allerdings schon einmal ein Verfahren am Hals. 1985 mußte er sich in Berlin als Verantwortlicher seiner dortigen Zweigniederlassung wegen 12 Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeitregelungen verantworten. Daß seine Fahrer bis zu 38 Stunden ununterbrochen gearbeitet hatten und 15 Stunden ohne Pause hinter dem Steuer saßen, kostete ihn damals 2.400DM Bußgeld. Danach begann in Ahaus die fieberhafte Suche nach Möglichkeiten, die Gesetze geschickter zu umfahren.

Erst durch eine anonyme Anzeige kam schließlich ans Tageslicht, daß die Fahrer bei Engelbert Vöcking entweder mit einer zweiten Tachoscheibe fuhren oder öfter mal „ein Kabel im Fahrtenschreiber durchkniffen“. Das gute Betriebsklima litt nun darunter erheblich. 5.000 Mark setzte der Chef für denjenigen aus, der ihm den Verräter nenne. Das konnte die polizeilichen Ermittlungen jedoch nicht aufhalten. Nachdem in mehreren Lastwagen manipulierte Fahrtenschreiber gefunden worden waren, bekam der Spediteur in erster Instanz acht Monate Haft auf Bewährung und 48.000 Mark Geldstrafe. Im Revisionsverfahren bestätigte das Landgericht Münster jetzt dieses Urteil. Nach Meinung des ÖTV-Vertreters Wolfgang Baars könnte allerdings nur ein Entzug von Lizenzen Spediteure wie Engelbert Vöcking empfindlich treffen. Angesichts der zu erwartenden EG -Öffnung kämpfen kleinere Betriebe derzeit ums Überleben und werden sich kaum um Geldstrafen scheren. Schon jetzt, berichtet Dr.Bernd Andreses, Hauptgeschäftsführer des Verbands des Verkehrsgewerbes Nordrhein e.V., sei in der Branche eine Tendenz zur Konzentration zu beobachten. Größere Speditionen begännen kleinere zu schlucken, um mit einer besseren Angebotspalette aufwarten zu können, wenn ab 1993 deutsche Unternehmer auch in anderen EG-Ländern nationale Transporte ausführen und umgekehrt Spediteure aus Billiglohnländern im inner-bundesdeutschen Transport mitmischen. Die ÖTV befürchtet, daß sich durch die EG -Öffnung die kleingewerblichen Transportunternehmen von den Speditionen eher noch verstärken wird und letztendlich nach dem US-Vorbild - „50 Spediteure über 50.000 Trucker“ herrschen werden. Der selbstständige Lastwagenfahrer Symbol der US-Freiheit -, der nur ein einziges Fahrzeug besitzt, oft weniger als ein Arbeiter verdient und bei der ersten größeren Reparatur pleite ist - wäre dann unter „Knebelverträgen“ für die großen Vermittlungsbüros tätig und angesichts des ökonomischen Drucks völlig außerstande, sich an die gesetzlich vorgeschriebenen Fahrt-Pausen zu halten.

PS.: Der Prozeß ging am Montag, den 16.Januar, zu Ende.

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