: „Wider die Entmündigung“
Auszug aus der „Kölner Erklärung“ von 163 Theologieprofessoren und -professorinnen ■ D O K U M E N T A T I O N
„Verschiedene Ereignisse in unserer katholischen Kirche veranlassen uns, eine öffentliche Erklärung abzugeben. Drei Problemfelder bedrücken uns am meisten:
1. Von der römischen Kurie wird mit Nachdruck die Konzeption verwirklicht, Bischofssitze in der ganzen Welt unter Mißachtung der Vorschläge der Ortskirchen und unter Vernachlässigung ihrer gewachsenen Rechte einseitig zu besetzen.
2. Auf der ganzen Welt wird qualifizierten Theologen und Theologinnen die kirchliche Lehrerlaubnis in vielen Fällen verweigert. Dies ist ein bedeutender und gefährlicher Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre und in die dialogische Struktur der theologischen Erkenntnis, die das Zweite Vatikanische Konzil an vielen Stellen betont hat. Die Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis wird als Instrument der Disziplinierung mißbraucht.
3. Wir werden Zeugen des theologisch höchst fragwürdigen Versuchs, neben der jurisdiktionellen die lehramtliche Kompetenz des Papstes in unzulässiger Weise geltend zu machen und zu überziehen.
(...) Wenn Ortskirchen durch Bischofsernennungen oder durch andere Maßnahmen (wie in Lateinamerika, in Sri Lanka, in Spanien, in den Niederlanden, in Österreich, der Schweiz und hier in Köln), die oft auf falschen Analysen und Verdächtigungen beruhen, diszipliniert werden, werden sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. Die Öffnung der katholischen Kirche für die Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen, die eines der zentralen Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist, wird in einem neuen römischen Zentralismus erstickt.
Die Herrschaftsausübung, wie sie in den neueren Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, steht im Gegensatz zur Brüderlichkeit des Evangeliums, zu den positiven Erfahrungen mit der Entfaltung der Freiheitsrechte und zur Kollegialität der Bischöfe. Die derzeitige Praxis behindert den ökumenischen Prozeß in wesentlichen Punkte. Bezogen auf die 'Kölner Affäre‘ halten wir es für skandalös, in einem laufenden Verfahren die Wahlordnung zu ändern. Das Bewußtsein für Verfahrensgerechtigkeit wurde dadurch empfindlich getroffen. Ansehen und Würde des päpstlichen Amtes erfordern einen sensiblen Umgang mit der Macht und mit gewachsenen Institutionen. Die Kandidatenauswahl für das Bischofsamt bringt die Vielgestaltigkeit der Kirche angemessen zum Ausdruck; der Ernennungsvorgang ist keine private Auswahl des Papstes.
(...) Die theologisch begründete und teilweise auch durch Konkordate geschützte Zuständigkeit und Verantwortung des Ortsbischofs, die kirchliche Lehrerlaubnis zu erteilen beziehungsweise zu entziehen, muß gewahrt bleiben. Die Bischöfe sind keine ausführenden Organe des Papstes. Die derzeitige Praxis einer innerkirchlichen Verletzung des Prinzips der Subsidiarität bei klaren Zuständigkeiten des Ortsbischofs in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre ist ein unhaltbarer Zustand.
(...) In jüngster Zeit hat der Papst ... die Lehre über die Geburtenregelung ohne Rücksicht auf die Gewißheitsgrade und auf das unterschiedliche Gewicht kirchlicher Aussagen mit fundamentalen Glaubenswahrheiten wie der Heiligkeit Gottes und der Erlösung durch Jesus Christus so verknüpft, daß sich Kritiker der päpstlichen Lehre über die Geburtenregelung mit der Verurteilung konfrontiert sehen, 'fundamentale Eckpfeiler der christlichen Lehre anzugreifen‘, ja mit der Berufung auf die Würde des Gewissens in Irrtum zu geraten, das 'Kreuz Christi vergeblich‘, das 'Geheimnis Gottes zunichte‘ zu machen und die 'Würde des Menschen‘ zu leugnen. Die Begriffe der 'grundlegenden Wahrheit‘ und der 'göttlichen Offenbarung‘ werden vom Papst herangezogen, um eine höchst spezielle Lehre zu vertreten, die weder aus Heiligen Schrift noch aus den Traditionen der Kirche begründet werden kann.
(...) Nach der Überzeugung vieler Menschen in der Kirche stellt die Geburtenregelungsnorm der Enzyklika 'Humanae Vitae‘ von 1968 eine Orientierung dar, welche die Gewissensverantwortung der Gläubigen nicht ersetzt. Bischöfe ... und Moraltheologen haben diese Auffassung vieler Christinnen und Christen für richtig gehalten, weil sie der Überzeugung sind, die Würde des Gewissens bestehe nicht nur im Gehorsam, sondern gerade auch in der Verantwortung. Ein Papst, der auf diese Verantwortung der Christinnen und Christen im Bereich innerweltlichen Handelns so häufig zu sprechen kommt, sollte diese im Ernstfall nicht systematisch mißachten. Im übrigen bedauern wir die intensive Fixierung des päpstlichen Lehramtes auf diesen Problembereich.
(...) Die Theologen, die im Dienst der Kirche stehen, haben ... die Pflicht, öffentlich Kritik zu üben, wenn das kirchliche Amt seine Macht falsch gebraucht, so daß es in Widerspruch zu seinen Zielen gerät, die Schritte zur Ökumene gefährdet und die Öffnung des Konzils zurücknimmt. Der Papst beansprucht das Amt der Einheit. Seines Amtes ist es deshalb, im Konfliktfalle zusammenzuführen. (...) Seines Amtes ist es nicht, ohne jeden Versuch eines Dialoges Konflikte zweitrangiger Art zu verschärfen, sie einseitig lehramtlich zu entscheiden und zum Gegenstand der Ausgrenzung zu machen. Wenn der Papst tut, was nicht seines Amtes ist, kann er im Namen der Katholizität nicht Gehorsam verlangen. Dann muß er Widerspruch erwarten.“
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