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Kulturprovinzialismus

■ Betr.: „Noten so blau, so blau, so blau“, taz vom 24.1.89

Verehrte Redaktion, über Eure Kulturberichte habe ich mich nicht zum ersten Mal geärgert oder zumindest gewundert. So auch über obigen Artikel. Wahrscheinlich wollte der Autor in seiner Überschrift sagen, Johnny Winter habe blue notes gespielt, also sehr bluesig. Es zeugt schon von einer gehörigen Portion Kulturprovinzialismus, dies dem geneigten Leser mit blau zu überstzen; Blues ist mitnichten blaue Musik. Auch waren weniger blue notes zu hören als Rhythm-& -Blues-Klänge. Schon der Untertitel macht dann vollends deutlich, wie sehr der Autor sein Metier versteht: Blues ist nicht unverändert (der vom Winter schon gar nicht), sondern eine Musikform, die durch Interpreten wie Winter eine zeitlose Aktualität bewahrt hat. Weder die Musik noch das Puplikum hatten etwas von jenem peinlichen immerwährend Jung -Sein-Wollens. Richtig ist, daß Highway 61 tatsächlich nicht gespielt wurde; falsch ist die Annahme, es würde sich hierbei um einen für Winter typischen oder klassischen Song handeln. Johnny B. Goode hingegen wurde gespielt. Aber vielleicht war ja auch der Autor einfach ein bißchen zu blue und gehört ohnedies zu den Leuten, die Konzertgenuß mit dem aha-kenn-ich-doch-Mitgröleffekt verwechseln. Wenn das Englisch schon nicht ausreicht, einen Texaner zu verstehen, wofür Verständnis aufzubringen wäre, hätte man als Redakteur doch mal auf Plakate in der Halle schauen können. Da standen sogar die Namen der Mitspieler drauf. Immerhin hat der Autor ins Rocklexikon geschaut und tratscht uns Winters Geburtstag - aber wo hat er bloß her, daß Winter nicht mehr mit Bruder Edgar spielt.

Lieber Freund, das ist mehr als ein Jahrzehnt her und dürfte selbst für die taz damit den Anstrich des Aktuellen verloren haben. Vielleicht ist das bei blauer Musik wirklich so, daß sidemen keine Geige spielen. Blues ist in der Regel kommunikative Musik. Auch wenn im Trio naturgemäß das einzige Soloinstrument dominiert: beide sidemen hatten ihre Soli. Blues braucht keinen „Chef im Ring“ - vielleicht ist das der Unterschied zur blauen Musik?

Erstaunt war ich auch, über die Sangeskünste des Publikums zu lesen: Winter „werde noch mit 72 Jahren über eine unverwechselbare Stimme verfügen 'wird‘. Genauso verhält es sich offenbar mit seinem Publikum.“ Für einen schwarzen Gitarristen hat sich Winter sicher nie gehalten, aber vielleicht für einen schwarzen Musiker (das hat soziale Bezüge) und für einen schwarzen Sänger (das hat musikalische Bezüge). In Memphis Tennessee wäre die Musik vielleicht gar nicht so passend gewesen - aber wir haben halt Bildungsnotstand schon seit Jahren und da muß der tolerante taz Leser hinnehmen, daß Autoren ihren kulturhistorischen Horizont ausschließlich aus Chuck Berry Songs beziehen. Immerhin hat der Autor uns noch brav slide Spiel mit rutschen übersetzen können. Der Autor wähnte sich offenbar auf einer Party, auch das erklärt manches Mißgeschick, denn wenn einer auf einer Party ist kann er ja schlecht gleichzeitig einen Artikel über ein Blueskonzert schreiben. Bei dem übrigens eine Gruppe aus Bremen-Nord im Vorprogramm auftrat. Aber das interessiert auf der taz-Lokalseite ja genausowenig wie in einer linken tageszeitung die Tatsache, daß für 30 DM Vorverkauf oder 33 DM Abendkasse die Atraktion des Abends ganze 65 min. auf der Bühne stand. Mit blauen Grüßen

Lothar Knatz

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