Eine Zielvorstellung ist zur Realität erklärt

■ Bilanz der High-Tech-Politik des Senats: Inszenierungsgewinne / In wichtigen Sektoren bleibt die Wirtschaft zurückhaltend / Der Technologie- Transfer hat nur in Einzelfällen Barrieren und Reibungsverluste abgebaut / Hochschulkontakte der Unternehmen spielen nur geringe Rolle

Elmar Pieroth ist ein Aktivposten der Berliner Landesregierung - er hat an entscheidender Stelle mitgewirkt, das Gefühl des „Wir sind wieder wer“ zu erzeugen. Im wesentlichen positive Wirtschaftsdaten sprechen eine deutliche Sprache. Die Zahl der Arbeitsplätze wächst, auch wenn die Zahl der Arbeitslosen - aufgrund demographischer Entwicklungen, wie man sagt - nicht gemindert werden konnte. Das Wachstumstempo des Bundesgebiets wurde in etwa wieder erreicht. Und Berlin ist als neues High-Tech-Mekka ins Gerede gekommen. Kurz und bündig: In Berlin wird nicht mehr wie „vorher“ über die ungünstige Lage gejammert, sondern etwas angepackt.

So scheint es jedenfalls. Denn „die Anfangserfolge von Pieroth sind in ihrem Kern Inszenierungserfolge. Eine gute Inszenierung kann Akteure zu Leistungen beflügeln, die über ihr normales Leistungsvermögen hinausgehen. Wenn der Regisseur sich ein falsches, weil zu gutes Bild von der Leistungsfähigkeit seiner Akteure macht, wird er auf Dauer scheitern. Die Berliner Akteure füllen die ihnen in dieser Inszenierung zugewiesenen Rollen auf Dauer nicht aus.“ In diesem Bild faßt Jürgen Kunze, ehemaliger FDP-Abgeordneter im Landesparlament und Professor an der Fachhochschule für Wirtschaft, die Wirtschaftspolitik Elmar Pieroths knapp zusammen.

Trefflicher Beleg dieser These ist das zentrale Element des wirtschaftspolitischen Kredo: die High-Tech-Orientierung der Berliner Wirtschaft, oder besser: der Versuch einer solchen Orientierung. Seit seinem Amtsantritt vor nunmehr acht Jahren sendet der Wirtschaftssenator dieselbe Botschaft in bundesdeutsche Lande: Berlin hat aufgrund seiner exponierten Lage nicht nur Standortnachteile. Es besitzt vielmehr wegen seiner besonderen Konzentration wissenschaftlicher Einrichtungen einen besonderen Standortvorteil: die Möglichkeit des Technologietransfers. Denn Technologietransfer bedeutet die Umsetzung neuer Technologien in neue Produkte, bedeutet wirtschaftliches Wachstum, bedeutet Zukunft. Ein weiterer Vorteil ist der hohe Zuwachs an kleinen und mittleren Unternehmen, die, anknüpfend an die Erfolgsstories des Silicon Valley, zwischenzeitlich zum Inbegriff unternehmerischer Flexibilität und Innovationsfreudigkeit geworden waren.

Was lag also näher, als eine Zielvorstellung - im Sinne einer sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung - zur Realität zu erklären. „Berlin ist High-Tech-Standort wegen seiner Hochschuleinrichtungen und seiner kleinen und mittleren Unternehmen“, hieß das neue Leitbild wirtschaftspolitischer Selbstdarstellung. Leider entspricht es nicht den Gegebenheiten. Die Forschungseinrichtungen in Berlin sind zum allergrößten Teil öffentliche Einrichtungen. Da der Technologietransfer zwischen diesen Einrichtungen und der industriellen Anwendung bekanntermaßen nicht so recht klappt, stellt sich ein wirtschaftspolitisches Problem: gezielte Versuche, Barrieren und Reibungsverluste abzubauen, waren nur in Einzelfällen erfolgreich. Die neuen An -Institute, das heißt die privatwirtschaftliche Organisierung der Wissenschaft an den Universitäten, kommen nur höchst mühsam auf die Beine.

Die Einschätzung der Berliner Industrie hinsichtlich der Leistungsfähigkeit dieser Einrichtungen ist eher skeptisch. Selbst im Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG), dessen Ziel Institutionalisierung formeller und informeller Kontakte zwischen Hochschulforschern und jungen Unternehmen war, spielen die Hochschulkontakte der Unternehmen eine denkbar geringe Rolle.

Die Industrie selbst hält sich hinsichtlich eigener Forschungsaktivitäten in Berlin eher bedeckt. Zwar gab es in der jüngeren Vergangenheit einige spektakulär ausgeschlachtete Ansiedlungserfolge. Die neuen Einrichtungen können aber zumeist nur als „Forschungsunterabteilung -Arbeitsgruppen“ bezeichnet werden. Die Kontakte zur Konzernzentrale sind im Normalfall wichtiger als die Anbindung an Berliner Forschungseinrichtungen. Bezeichnend für die Berliner Situation ist auch die Tatsache, daß ein neues Förderprogramm des Wirtschaftssenators mit dem Ziel, industrielle Projekte zu fördern, wahrscheinlich wieder eingestellt wird. Seit ungefähr 18 Monaten, in denen das Programm in dieser Form existiert, stellte die Berliner Wirtschaft keinen Antrag.

Bleiben die besonders innovationsfähigen kleinen und mittleren Unternehmen. Die „Innovationsforschung“ beschreibt größenbedingte Nachteile dieser Unternehmen bei der Entfaltung eigener Innovationsaktivitäten; und es war bekannt, daß es in Berlin zwar einen kleinen Anteil hochinnovativer Unternehmen gab, in der Breite jedoch erhebliche Defizite zu verzeichnen waren. Die Antwort des Senats war eine Unmenge von Förderprogrammen unterschiedlichster Art.

Die Einschätzung dieser Programme ist bei geförderten Unternehmen überwiegend positiv. Eine noch nicht veröffentlichte Studie im Rahmen der Berlin-Forschung der Freien Universität zeigt jedoch, daß im wesentlichen nur der kleine Anteil hochinnovativer kleiner und mittlerer Unternehmen von den Programmen überhaupt erreicht werden. Die Förderprogramme verfehlen also ihr Ziel: zusätzliche Innovationsfähigkeit zu mobilisieren.

Es bleibt der Klimawechsel. Hier liegt die besondere Leistung des PR-Fachmanns Pieroth. Er hat es verstanden, Berlin als etwas zu verkaufen, was es nicht ist: eine High -Tech-Metropole. Man schuf ein „günstiges Investitionsklima, ein gutes Innovationsklima und ein positives Klima zur Gründung sowie Modernisierung und Sanierung bestehender Unternehmen“ (Zielformulierung des Ersten Strukturprogramms). Ein begrenzter Gründungsboom und vor allem erhöhte Aufmerksamkeit folgten. Berlin war wieder im Gespräch, und zwar in erster Linie in positiver Hinsicht. Nur: Ein gutes Klima allein verändert vielleicht kurzzeitig die Stimmung und spornt zu größeren Leistungen an. Die reale Situation verändert sich dadurch noch nicht.

Dieter Bickenbach