: Leuchtender Stern über Bethlehem: 2.000 Jahre nach Christi Geburt leuchten die Suchscheinwerfer von Militär-Patrouillen über der arabischen Stadt. Eine Reise nach Israel und den besetzten Gebieten.
Angela Kandt LEUCHTENDER STERN
ÜBER BETHLEHEM
2.000 Jahre nach Christi Geburt leuchten die Suchscheinwerfer von Militär- Patrouillen über der arabischen Stadt. Eine Reise nach Israel und den besetzten Gebieten.
Wenn Reverent Riah Abu el Assal sich morgens einen Weg durch die engen Gassen Nazareths bahnt und dabei über schlendernde Bibelreisende stolpert, murmelt er zuweilen vor sich hin: „Zur Hölle mit ihnen.“ Wenn er in seinem Büro der evangelikalen Kirche ankommt und in seiner Post wieder Hilfegesuche von Angehörigen politischer Gefangenen findet, möchte er am liebsten zu den Touristenschlangen an der Verkündigungsbasilika schräg gegenüber rennen und ihnen zurufen: „Kümmert Euch doch lieber um die Lebenden!“
Unserer fünfköpfigen Reisegruppe, darunter ein Student, eine Lehrerin und zwei Vikare, geht es in erster Linie um die Lebenden. Zusammen mit David, dem israelischen Reiseleiter, wollen wir vierzehn Tage durch die Landschaften zwischen Jordan und den weißen Stränden des Mittelmeeres streifen und den Blick an den Stätten der Bibel vorbei auf „das arabische Gesicht der Region“ richten. Was so folkloristisch klingt, ist der Titel der Studienreise eines norddeutschen Veranstalters und meint schlichte Realität: die Lage der 800.000 Palästinenser in Israel und der 1,5 Millionen in den besetzten Gebieten. Eine Reise in ein Land im Krieg.
Als wir den Reverent in seinem Arbeitszimmer aufsuchen, hat er gerade wieder ein Stück Realität zu spüren bekommen. „Da hätten Sie sich ja fast mit zwei bis an die Zähne bewaffneten Polizisten die Klinke in die Hand gereicht“, sprudelt es aus ihm hervor und seine dunklen Augen funkeln halb wütend, halb belustigt, als er erzählt, daß sie einen Brief von Herrn Schamir vorbeigebracht hätten. Zum dritten Mal wurde der palästinensische Christ unter Landarrest gestellt: keine Auslandsreise, kein Briefkontakt mit dem Ausland, nicht einmal mit seinem Sohn in Amerika. „Die Israelis versuchen alles zu kontrollieren, aber es wird ihnen nicht gelingen.“
Der zornige Herr aus Nazareth arbeitet seit sechs Jahren in der Gesellschaft der Freunde der politischen Gefangenen und hilft Familien, die oft ihren Ernährer, seit dem Aufstand in den besetzten Gebieten, der „Intifada“, auch ihre Kinder an das Gefängnis verloren haben.
In der alten Stadt im Herzen Galiläas, wo der Jungfrau Maria die Geburt ihres Sohnes verkündet wurde und Jesus der Legende nach Wunder vollbrachte, mag man heute nicht auf Wunder warten. „Das ist die Zeit der Aktion“, verspricht der Reverent. „Als die Juden in Deutschland vernichtet wurden, haben die Kirchen geschwiegen. Hier in Israel dürfen sie nicht schweigen.“
Nazareth ist mit 55.000 Einwohnern die größte arabische Bastion im Lande, doch längst thront ein Stück jüdisches Israel am Rande: eine moderne Wohnanlage für 25.000 Menschen - mit eigenem Rathaus. Alte Spuren des jungen Staates finden sich auch wenige Meter vor den Stadtgrenzen. Ruinen einer Kirche, ein paar Mauerreste. Vor vierzig Jahren stand hier noch das arabische Dorf Migdal Haemeq - es wurde von israelischen Bulldozern niedergewalzt. Die Menschen flüchteten nach Jordanien, in die Lager der Westbank und in den Gaza-Streifen, weiß der Taxifahrer und zeigt auf eine Gruppe von Häusern weiter geradeaus: das neue Migdal Haemeq
-eine jüdische Siedlung.
Inzwischen wächst Gras über die Reste arabischer Kultur, doch nicht über die Erinnerung und den Lebenswillen der Palästinenser, der gerade durch die Intifada neuen Aufschwung bekommen hat. „Die Menschen in den besetzten Gebieten kämpfen für ihren Staat, wir hier erst einmal für Gleichberechtigung“, erklärt Ibrahim Nimer Housin bei unserem Besuch im wenige Kilometer von Haifa landeinwärts gelegenen Dorf Shefaram. Der Bürgermeister beklagt, daß die israelischen jüdischen Regionen die komfortabelsten Kliniken hätten, während für die 35.000 Menschen in und um seine Gemeinde nur ein Gesundheitszentrum und zehn Ärzte zur Verfügung stünden.
Vierzig Jahre Israel, zum Feiern ist da auch Hussein aus Haifa nicht zumute. 220.000 Menschen leben in seiner Stadt, die über Hügel und Senken vom Meer den Carmel hinaufkriecht. Mitte der dreißiger Jahre lebten hier noch zu 85 Prozent Araber, heute ist nur noch jeder zehnte palästinensischer Herkunft.
Hussein arbeitet als Sozialarbeiter in einem Verband für soziale und wirtschaftliche Entwicklung in den arabischen Stadtteilen. Sein größtes Sorgenkind ist die Wohnsituation seiner palästinensischen Landsleute in der arabischen Altstadt von Haifa, nicht weit vom Hafen. Dort führt er uns durch Gespensterstraßen. Die Häuser sind heruntergekommen, die Fassaden bröckeln, die Fenster und Türen sind mit groben Betonklötzen zugemauert. „Wenn die Häuser baufällig sind, bekommen die arabischen Bewohner keine Renovierungsgenehmigung, statt dessen die Aufforderung, die Häuser wegen eben dieser Baufälligkeit zu verlassen“, beschreibt Hussein die vertrackte Lage. Da kaum ein jüdisches Neubauviertel arabische Nachbarn duldet, bleibt vielen nur noch der Weg aufs Land, ins arabische Dorf.
Doch manchmal kommen auch arabische Altstädte in den Genuß israelischer Finanzspritzen - zumindest teilweise wie in Akko, eine halbe Autostunde nördlich von Haifa. Gesegnet mit einem niedlichen Hafen, einer langen Corniche und einem Strand, hat Israel begriffen, wo hier die Ressourcen liegen: im Tourismus. Überall wird heftig gehämmert und gemalt. Handwerker töpfern in den renovierten alten Häusern und verkaufen arabisches Kunsthandwerk made in Israel. Eine schöne Fassade für Touristen, flankiert von Segelbooten, grellen Plastikstühlen und Sonnenschirmen. Weiter hinten, wo das Leben von 8.000 arabischen Menschen pulsiert, ist kein baufälliges Haus restauriert.
Der irakische Jude Latif Dori mit den lustigen Augen strahlt wie einer, der gerade einen Preis gewonnen hat, als wir ihn in Tel Aviv aufsuchen. Und tatsächlich hängt sein ganzer Stolz an der Wand in dem neondurchfluteten Zimmer der Mapam -(Arbeiter)Partei. Viele Zeitungsfotos mit einem lachenden Dori und mittendrin eine Urkunde. Der Israeli wurde als erster orientalischer Jude, wie er selber augenzwinkernd betont, von der Dr.Bruno-Kreisky-Stiftung in Wien für seine Verdienste um die Menschenrechte ausgezeichnet. Solche moralischen, weniger finanziellen Ehren, kann er gerade gut gebrauchen, denn in wenigen Tagen schließen sich hinter dem heftigen Streiter der Friedensgruppe „Dialog“ für sechs Monate die Gefängnistore.
Der Grund: Dori hat 1987 in Bukarest Gespräche mit PLO -Vertretern geführt und damit gegen ein Gesetz verstoßen, das solche Kontakte bei Haft verbietet. Doch unbekümmert äußert er sich weiterhin: „Ja zum Dialog, ja zur PLO - das ist kein Slogan, das ist Realität.“ Für ihn ist die Intifada längst nicht mehr nur eine Sache der Palästinenser, sondern auch eine Sache der Juden. Doch er weiß auch, daß die Israelis nicht den Preis für den Frieden bezahlen wollen noch nicht. Das hieße Rückzug aus den besetzten Gebieten, nicht nur für die Militärs, sondern auch für die 50.000 Siedler, außerdem Rückzug aus Ost-Jerusalem, der heiligen Stadt an den Toren zur Westbank.
Für unsere Reise heißt Jerusalem Halbzeit und Schnittpunkt zwischen Israel und besetztem Gebiet. Goldgelb schimmern die hellen Kalksteinhäuser im sanften Abendlicht, freidlich, trügerisch. Denn Jerusalem ist schon heute eine geteilte Stadt. Während sich die Passanten in den Fußgängerzonen des Westens fast auf die Füße treten, herrscht in den arabischen Suks des Ostens gähnende Leere. Statt verkaufslustiger orientalischer Händler begegnen uns Gesichter vor unerbittlich geschlossenen Eisentoren. Der monatelange Streik belastet nicht nur ihr Portemonnaie, sondern auch ihre Laune. Nur ein paar Kinder springen herum und verkaufen Postkarten zu Dumpingpreisen. Sie lassen sich selbst von den Trupps patrouillierender Soldaten nicht stören, die halb gelangweilt, halb bedrohlich ihre schweren Stiefelschritte durch die langen Gänge hallen lassen.
Während hier die Mauern brüchig werden, haben die Israelis den jüdischen Teil der Altstadt renoviert. Schöne Kunstgewerbeläden und schicke Cafes singen das Lied des modernen Israel, während die arabische Folklore auf Hochglanz blitzt. Die Araberin beim Brotbacken, der arabische Bauer bei der Feldarbeit - die Palästinenser, ein Sujet für Touristenpostkarten. Auf einem T-Shirt prangt eine Witzfigur mit dicker Beule. Darunter ist zu lesen: I got stoned in the Westbank. Auch Galgenhumor läßt sich vermarkten.
Der Taxifahrer vom Jaffa-Tor in Jerusalem ist etwas unsicher, ob er uns nach Bethlehem ins Hotel fahren soll. Sein Wagen trägt nicht das blaue Schild der besetzten Gebiete, sondern das gelbe Israels, und ist damit willkommene Zielscheibe von kessen Steinewerfern. „Nun wird's allmählich mulmig“, brummelt leise einer aus der Gruppe, als wir dann doch in dieses andere Land fahren, besetztes Land.
Hier ist nicht das Dörfchen Isfiya bei Haifa, wo wir uns in der ersten Reisewoche unter Pinien- und Oleanderduft in den Schlaf wiegten, hier hängt Spannung in der Luft, selbst das noch so ferne Hundegebell wirkt unheimlich in der Stille. Die Straßen sind fast menschenleer, auf dem Platz vor der Geburtskirche tummeln sich nur ein paar Touristen, dafür aber um so mehr Soldaten in ihren Jeeps.
Hoch oben auf dem kahlen Wipfel eines Baumes weht ein Stückchen Stoff in Schwarz, Weiß, Grün mit rotem Keil - die Flagge der PLO -, und an einer Stromleitung flattern dünne Bänder im Abendwind. Zwillen.
Die dicke Luft war nicht nur ein Gefühl. In derselben Nacht wird das Flüchtlingslager Dhesche am Rande Bethlehems geschlossen. Wie ein Gefängnis sieht es aus. Mindestens vier Meter hoch reicht der Drahtzaun, davor rollt sich stacheliger Draht. Der Eingang ist mit dicken Ölfässern versperrt und von israelischen Soldaten bewacht. Kein Mensch ist zu sehen, nur ein paar Kinder schauen neugierig aus einer Fensterluke, Ausgangssperre. „Stört uns nicht bei der Arbeit“, fordert uns ein Soldat höflich, aber drohend auf.
Schon eher wie ein Dorf liegt ein anderes Lager in der Landschaft. Kalandia, vor den Toren Ramallahs. Kinder kommen herangelaufen. 15 habe sie, erzählt uns Farres und zerrt gleich ein paar Fotos aus der Tasche, Fotos ihrer Söhne, die von den Israelis in den Libanon deportiert wurden. In zwei winzigen Zimmern wohnt sie mit ihren Kindern und dem kranken Ehemann, kaum haben die Schlafliegen für so viele Menschen darin Platz. Gerade hat jemand von der UNO einen Sack Getreide und eine Dose mit Milch vorbeigebracht. Das ist die einzige Nahrung für Etaff und ihre Familie. Die Mutter holt ihren zwölfjährigen Sohn zu sich heran und zeigt auf die Narben an seiner Schulter. „Soldaten haben ihn nachts aus dem Bett geholt und so zugerichtet“, sagt sie und ihre Stimme überschlägt sich vor Erregung.
„Die Palästinenser in der Westbank haben es eigentlich besser als die mit einem israelischen Paß“, erklärt wenig später ein französischer Hochschullehrer von der arabischen Birzeit-Universität. „Die haben keine Identitätsprobleme, ihr Feindbild ist ganz klar. Die israelischen Palästinenser müssen um ihre Gleichheit kämpfen, sie müssen sich also arrangieren.“
17 Jahre alt war Elias Ghanem, als er wenige Kilometer von Bethlehem entfernt in dem Dorf Beit Sahour starb. Mitten auf der Straße von einem Stein erschlagen sah ihn sein zwei Jahre jüngerer Bruder plötzlich neben sich liegen. Fest umklammert hält er das Bild des Toten, als wir ihn in Elias Zimmer gegenübersitzen. Wie versteinert die Gesichter seiner Eltern, über ihren Köpfen schielt der Filmkämpfer Stallone aus einem riesigen Poster. Die Soldaten vom Checkpoint im fünften Stock des danebenstehenden Hauses hätten den Stein geworfen. Darin sind sich die Leute von Beit Sahour einig. „Warum hätten sie sonst gleich Tränengas versprüht, damit keiner sein Elternhaus besuchen kann“, fragt Manal Jamal Ghanem. In den Augen der Cousine des jungen Elias blitzt mehr stolze Wut als Trauer, als sie sagt: „Wir haben den ersten Märtyrer in Beit Sahour. Und wenn die noch mehr töten und ins Gefängnis stecken, dann nehmen wir Frauen eben alles allein in die Hand.“ Das Gesicht der jungen Chemiestudentin zeigt die Entschlossenheit eines Menschen, der nichts zu verlieren hat.
Und die Friedensbewegung? „Wir müssen miteinander sprechen“, wünscht sich Johanan Flusser der religiösen Friedensgruppe „Os we Shalom“. Doch gleichzeitig kann er es sich nicht verkneifen, die Armee zu fordern. „Die Palästinenser haben ja ihre Molotowcocktails“. Und Jael von „Peace now“: „Zwei Staaten, Seite an Seite, darüber müßte man reden.“ Doch auch sie schränkt ein. „Unser Militär in den besetzten Gebieten, das muß sein, erst mal.“ Ein junger Soldat, orientalischer Jude aus Libyen, hat in Israel den Himmel auf Erden gefunden. „Wir wollen hier in Frieden leben, doch die anderen machen ja nur Ärger.“
Soldaten wie er waren alle schon einmal in Jad Vaschem, der Holocaust-Gedenkstätte, ein Pflichtprogramm für Politiker und Touristen. Während arabische Arbeiter aus der Westbank die Plattform vor dem Mahnmal zum Aufstand im Warschauer Ghetto ausbessern, werden im Ausstellungsgebäude amerikanische jüdische Touristen an einer riesigen Bilderwand vorbeigeführt. Das letzte Bild zeigt einen weinenden Löwen und einen sprießenden Kaktus. Der Kaktus ist Symbol für die in Israel geborenen Juden, der Löwe meint den starken Staat. „Und die Tränen sollen uns immer an all das Leid erinnern, was über uns gekommen ist“, erklärt der Reiseführer den Amerikanern vor uns. „Totale Gehirnwäsche“, brummt ein junger Israeli. „Die Angst schüren, daß so etwas wie der Holocaust wiederkommen könnte, und aus uns ewige Krieger machen.“
Hell leuchtet der Stern über Bethlehem. Der Schweif ist mal länger, mal kürzer, schwenkt hinab ins Tal, klettert die Häuserwände entlang und verschwindet dann um die nächste Straßenecke. Der Stern von Bethlehem ist 2.000 Jahre nach Jesu Geburt der Suchscheinwerfer einer Militärpatrouille. Schüsse in der Ferne. Leute unten in der Straße, sie reden, Autos fahren vor und wieder weg. Dann herrscht wieder Stille in dieser arabischen Stadt.
„Ich werde zu Hause meinen sechsarmigen Leuchter einpacken und mit bestem Dank an die israelische Botschaft in Bonn schicken“, sagt Karl Heinz, der junge Pastor, beim letzten Frühstück in Bethlehem. Und Dagmar ist noch ganz aufgewühlt, weil sie erleben mußte, wie zwei kleine palästinensische Jungs vor ihren Augen von Soldaten mit Stöcken grün und blau geschlagen wurden. Ihr Vergehen: Sie hatten mit Dagmar ein paar Worte gewechselt. Dorothea wollte eigentlich nach dem anstrengenden Politprogramm noch eine Woche lockeren Urlaub im Lande verbringen. Doch die Lust ist ihr vergangen.
Am Flughafen treffe ich eine Gruppe von Pilgerreisenden aus Schwaben. „Es war ja so wunderschön“, schwärmt die Frau neben mir und strahlt, gebräunt von Israels Sonne. „Nur etwas heiß.“
Veranstalter: Studienreisen G.Begemann, im OeBZ Internationales Freundschaftsheim, Weinberg 10, 3062 Bückeburg, Tel. 05722/25048
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