Karpow legt Streitkräftevergleich vor

UdSSR-Abrüstungsexperte legt Zahlen über Stärke des Warschauer Pakts vor / Unterlegenheit gegenüber Nato in Truppenstärke und Angriffsflugzeugen festgestellt / Weitgehende Reduzierungsvorschläge angekündigt  ■  Aus Genf Andreas Zumach

Der militärische Kräftevergleich zwischen Ost und West, den der Warschauer Pakt (WP) nächste Woche vorlegen will, weicht bei Truppen und einer Reihe von Waffensystemen deutlich vom im November 88 präsentierten Streitkräftevergleich der Nato ab. Bei den am 9.März in Wien beginnenden Verhandlungen über konventionelle Truppen und Waffen in Europa, für die Streitkräftevergleiche die Eingangspositionen der beiden Bündnisse markieren, wird der WP sehr viel weitergehende Reduzierungsvorschläge machen als die Nato. Außerdem will er eine vorläufige Ausklammerung der Waffensysteme, in denen der Westen überlegen ist, nicht akzeptieren. Dies geht aus Äußerungen hervor, die der sowjetische Vizeaußenminister und Chefabrüstungsexperte Karpow sowie der im Moskauer Verteidigungsministerium für Abrüstungsfragen zuständige General Chervow anläßlich einer Tagung des UNO -Forschungsinstituts für Abrüstung diese Woche in Genf machten.

Hinsichtlich der atomaren Kurzstreckenraketen in Europa, deren „Modernisierung“ auf westlicher Seite der Nato -Oberkommandierende John Galvin heute auf der Wehrkundetagung in München erneut fordern wird, wiederholten Karpow und Chervow den Vorschlag für eine beiderseitige Null -Lösung. Während die Nato von einer großen Überlegenheit des östlichen Bündnisses bei den Truppenstärken ausgeht, konstatiert der Pakt mit 3,5 Mio. eigenen und 3,6 Mio. Nato -Soldaten im Verhandlungsgebiet Europa zwischen Atlantik und Ural eine leichte Unterlegenheit. Hinsichtlich der Fähigkeit, im Krisen-oder Kriegsfall zusätzliche Truppen und Material vom US-Festland bzw. von jenseits des Ural nach Europa zu verlegen, sei die Nato fünffach überlegen, bei der Heranbringung von Seestreitkräften sogar zehnfach. Bei den Panzern, von denen der WP laut Chervow „fast doppelt soviele wie die Nato“ habe, kommen sich die Angaben beider Seiten sehr nahe, nicht jedoch bei der Zahl der Angriffsflugzeuge und Kampfhubschrauber. Hier stellt der WP eine anderthalb bzw. zweifache Überlegenheit der Nato fest. Karpow machte deutlich, daß die vom Westen verlangte vorläufige Ausklammerung der Flugzeuge nicht in Frage kommt. Der WP -Verhandlungsvorschlag sieht danach das Erreichen von gleichen Höchstgrenzen vor allem, so Karpow, „bei den gefährlichsten offensivfähigen Waffen“ vor. Er listete unter dieser Kategorie neben Panzern und Artillerie ausdrücklich Kampfhubschrauber und Angriffsflugzeuge auf. In einer zweiten Phase sollten die Truppenbestände auf beiden Seiten um je 25 Prozent oder je 500.000 Soldaten reduziert werden. Das ist weit mehr, als die im Nato-Vorschlag angebotene Verringerung auf 95 Prozent des heutigen Nato-Niveaus.

In dieser zweiten Phase, so Chervow, müßten dann auch Seestreitkräfte miteinbezogen und reduziert werden, da „sonst die Nato hier eine gefährliche Überlegenheit erlange“. Seestreitkräfte wurden - neben chemischen und atomaren Waffen - auf westlichen Wunsch hin im Mandat für die Wiener Verhandlungen ausgeschlossen. Unterdessen hat der sowjetische General Alexej Lisatschow, der sich zur Zeit in Prag aufhält, angekündigt, daß auch die CSSR in Kürze eigene Abrüstungsmaßnahmen vornehmen wird.